Bücher der Unruhe

Aspekte der portugiesischen Literatur

Ausgabe 97: Amazonas
Ausgabe 97: Amazonas

Portugal Wegen die Welt ist das Motto des Themenschwerpunktes auf der Frankfurter Buchmesse. Wege in die Welt", da klingt jedem geschichtsbewussten Leser ein unschöner Ton mit. War es nicht Portugal, welches das schmerzhafte Erbe eines Kolonialreiches bis tief in das 20. Jahrhundert trug? War es und ist es und ist es heute nicht das offizielle Portugal, welches die angeblichen Großtaten einer Zeit Hochhalt, die zwar mit den Kühnheit Vasco da Gamas begann, aber später mit sehr viel Blut auf afrikanischem Boden endete? Nun, die Veranstalter der Buchmesse verstehen, das nicht ganz Makellose ins Positive kehren. Wege in die Welt" bedeutet für sie Weltoffenheit, Offenheit "für Kulturen, mit denen wir (die Portugiesen) im Dialog standen" (Pressetext). Zwar taucht das offizielle Portugal nicht wieder in die schmerzhafte Diskussion um die Kolonialkriege ein, doch sieht man sich in einer Tradition eines fruchtbaren Austausches mit der Welt.

 

Wie sich der Leser in den Beitragen in diesem Heft überzeugen kann, ist es immer wieder die Literatur Portugals, welche das nationale Problem nicht ausschließlich, aber immer wieder und auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen angerissen, reflektiert und verarbeitet hat. "Es waren die Schriftsteller und Sänger," so Teo Ferrer de Mesquita während eines Interviews (Seite 46), "die sich der Vergangenheitsbewältigung in Bereichen angenommen haben, über die es bis heute keine befriedigende nationale Debatte gibt." Das Politische, oder vielleicht besser die Angelegenheiten des Landes, spielen also eine gewisse Rolle in der portugiesischen Literatur seit 1974. Sie sind immer wieder Thema, bilden einen Hintergrund, kehren immer wieder zurück. Es wäre jedoch verfehlt, die portugiesische Literatur auf dieses oder ein anderes Kriterium allein festzulegen - auch das zeigen die Beiträge in diesem Heft. Kriterien gibt es nicht, bestenfalls Tendenzen in einem Kosmos von "literarischem Individualismus" (Marga Graf auf Seite 38), Divergenzen und Konvergenzen in einem Wechselspiel von "Kontinuität und Wandel" (Helmut Siepmann auf Seite 26ff.). So muß sich auch ein Autor wie José Saramago gegen die Vereinnahmung als Aushängeschild der portugiesischen Literatur wehren. Er sagte kürzlich auf einer Pressekonferenz: "Was mich betrifft, so sehen Sie, daß ich für nichts und niemanden stehe. Erstens vertrete ich nicht die portugiesischen Schriftsteller, da ich von ihnen weder den Auftrag noch die Vollmacht erhalten habe, in ihrem Namen zu sprechen. Und zweitens würde ich mich noch viel weniger anheischig machen, die portugiesische Literatur zu vertreten, die in ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart zu groß ist, als das sie mich als ihr Sprachrohr anerkennen würde...

 

Vielleicht ist es eben diese "Große", der Raum, der Platz für ein sich voneinander-Entfernen und wieder Zusammenkommen laßt, welcher der portugiesischen Literatur als Ganzes soweit sich dies überhaupt sagen laßt einen so faszinierenden Eindruck von Unruhe und Bewegung verleiht, eine Unruhe, die in Deutschland zweifellos noch kaum entdeckt und viel zu wenig gewürdigt wurde.

 

Bücher der Unruhe Aspekte der portugiesischen Literatur seit 1974. Viel Spaß beim Lesen!

 

die Redaktion

Inhaltsverzeichnis

Politik

Spezial: Portugiesische Literatur seit 1974

Kultur

  • Der "andere" Mexikaner. Zum Umgang mit den Grenzen der Modernität bei Carlos Fuentes
  • ALA 98. La fiesta de las letras
  • Portugiesische Geschichten in London. Die provokativ-naturalistischen Bilder der Paula Rego
  • Los orichas en Cuba
  • Lisboa klingt wie eine Frau. Interview mit Michael Räsenberg
  • kurz notiert: literatur
  • kurz notiert: kunst
  • kurz notiert: musik

Bücher

  • Robert E. Quirk: Fidel Castro - Die Biographie
  • Mario Vargas Llosa: Los cuadernos de don Rigoberto
  • Joseba Sarrionandia: Von Nirgendo und Überall
  • Alejandro Jodorowsky: Wo ein Vogel am schönsten singt
  • Meredith Etherington-Smith: Dalí - Eine Biographie
  • Roland Motz: Spanisch für Lateinamerika in letzter Minute
  • Miguelanxo Prado: Die Endzeit der Delphine
  • Gisela Nohlkes-Doerk (Hrsg.): Kunst in Spanien im Blick des Fremden