Musikrezensionen 98

Coladera

La Dôtu Lado (Agogo Records/Indigo)

Hinter Coladera verbirgt sich ein transatlanti- sches Projekt von zwei Musikern aus Brasi- lien und Portugal/Kap Verde. Für ihre zweite CD „La Dôtu Lado“ haben Vitor Santana (Gitarre) aus Belo Horizonte und João Pires (Gesang/ Gitarre) insgesamt 11 neue Titel eingespielt. Das Album vereint lateinamerikanische und afrikani- sche Rhythmen mit der portugiesischen Sprache. Durch eine Reihe von Kollaborationen wird die volle Bandbreite der lusophonen Musik abgebil- det, mitgewirkt haben u.a. Dino D‘Santiago, Ana Sofia Paiva sowie der bekannte brasilianische Per- kussionist Marcos Suzano. Gitarren, Percussion, Stimmen, alles wird hier auf wunderbare Art und Weise fusioniert. Stücke wie „Primer Letra“ oder „Céu Azulino“ haben ein zeitloses Latin-Feeling und auch sämtliche anderen Tracks zwischen Samba, Fado und afro-brasilianischen Stilen kommen druckvoll, aber zwanglos zur Geltung. Da Angaben zu Coverversionen fehlen, stammen vermutlich alle Stücke von Santana/Pires. Neben der regulären CD-Version wird „La Dôtu Lado“ von Agogo auch auf Vinyl veröffentlicht.

 

Frank Keil 

Alfredo Rodríguez / Pedrito Martinez

Doulogue (Mack Avenue)

Alfredo Rodríguez, kubanischer Jazzpianist, zeigt sich auch auf seinem 5. Album expe- rimentierfreudig. Wie sein älterer Kollege Omar Sosa, interpretiert er neben Eigenkompositionen Titel aus Folklore und Pop. Mit seinem Duo- Partner Pedrito Martinez, taucht er schon zu Beginn tief in das afrikanische Erbe der kubani- schen Musik ein, in einem nahezu poppigen Song mit santería-Gesang. Leichtfüßig geht es weiter, irgendwo zwischen fast tanzbarem Afrocuban-Jazz und Pop. Meist schnelles, perkussives Klavierspiel, feiner Gesang, schöne Melodien und kubanische Perkussion vereinen sich zu einem harmonischen Ganzen („Estamos llegando“/ „Cosas del amor“). Michael Jacksons „Thriller“ bekommt in der Latin- Jazz-Version des Duos einen ganz neuen drive. Hier zeigt sich (und vor allem im schnellen Titel- track), das in Kuba traditionell das Klavier auch als perkussives Instrument betrachtet wird. Rodríguez ist musikalisch auch mit Jazz groß geworden, bleibt aber sehr mit seiner Heimat verbunden, das zeigen die vielen traditionellen Klassiker des Cuban-Songbook auf seinen Alben. Hier ist es “El punto cubano”, eine tanzbare Hommage an das Genre punto, das seine Wurzeln in Andalusien und Afrika hat und im 17. Jh. auf der Insel entstand. Leider gibt es auf „Doulogue“ auch zwei Ausfälle: „Flor“ und „Mariposa“ klingen wegen des seichten Gesangs und des Synthesizerspiels sehr kitschig. Die lustige und gelungene Latin- Jazz-Version der Melodie des Videospiels „Super Mario“ versöhnt einen aber sofort wieder mit diesem sonst sehr gelungenen Album. Gut, dass Quincy Jones, der dieses Album produziert hat, Alfredo Rodríguez im Jahr 2006 für die Musik- bzw. Jazzwelt entdeckt und gefördert hat!

 

 

Torsten Eßer 

grUta20

El Manto del GIF (PopArt Discos)

Rock aleatorio – „zufälliger Rock“: so benen- nen die drei jungen porteños um Frontmann Arturo Federico ihren spannenden Stil aus funki- gen Basslines, britischem Rocksound und anderen Genres wie Tango oder Flamenco. Der Name ist Programm: Neben elektronischen Klängen und ei- nem an Radiohead angelehnten sanft-melodischen Lead-Gesang zwingen spontane Stimmungswech- sel zum Zuhören.

Das talentierte Trio wurde gleich in ihrem Gründungsjahr 2016 auf dem Festival Ciudad Emergente in Buenos Aires ausgezeichnet, das jedes Jahr das Beste auf die Bühne bittet, was die Jugendkultur zu bieten hat. Dadurch gewann grUta sogar eine Aufnahme in dem legendären Abbey Roads Studio. Es ist also nicht verwunderlich, dass ihr erstes Album „Paciuda“ (2017) aus diesem Hause stammt. In ihrem neuen Song „Manto del Gif“ werden die aleatorischen Charakteristika fein kombiniert – eine Single mit Ohrwurm-Garantie, die auf mehr hoffen lässt.

 

Raban Brauner 

Daniel García Trio

Traversuras (ACT)

„Flamenco und Jazz sind Brüder“, sagt der spa- nische Pianist Daniel García, und reiht sich mit seinem neuen Album „Traversuras“ ein in die Schar der Musiker auf der iberischen Halbinsel, die diese „Verbrüderung“ genial umgesetzt hat: Paco de Lucía, Pianist Chano Domínguez, Bassist Carlos Benavent, Saxophonist Perico Sambeat, Gitarrist Gerardo Núñez oder Flötist Jorge Pardo, der hier auf zwei Titeln als Gast auftritt, um nur die wichtigsten zu nennen. Mit seinen Trio-Kollegen Michael Olivera am Schlagzeug und Reinier Elizarde am Bass entwirft García seine meist lebhafte und mitreißende Version des Flamencojazz.

Dass García eine klassische Ausbildung genoss, kommt seinem Spiel zugute, kann er doch durch seine Technik alle Ideen umsetzten, die er hat, und auch Klänge aus dem klassischen Repertoire in seine Jazz-Flamenco-Kompositionen einbauen, hier zum Beispiel von Frederic Mompou. Und obwohl auch Elemente aus dem Rock, der elekt- ronischen Musik und verschiedener Musikfolklo- ren in seine Stücke einfließen, klingt alles wie aus einem Guss, ausgehend von der Harmonie und Rhythmik des Flamencos. Anspieltipps: „Oniria“ (in dem man auch die Stimme des dreijährigen Daniel hört) und „Alegrías pa Averío“.

 

Torsten Eßer 

João Gilberto

The Master Of The Bossa Nova (Aquarela do Brasil/inakustik)

Ein Muss für alle Bossa-Nova-Fans. Auf der vorliegenden CD sind drei Alben zusammen- gefasst, die João Gilberto zwischen 1958 und 1961 zusammen mit Antonio Carlos Jobim eingespielt hat. Gilberto, dem legendären Sänger, Musiker und Komponisten aus Rio de Janeiro, der 2019 seinen 88. Geburtstag feiert, wird damit ein würdiges Denkmal gesetzt. Die insgesamt 39 Titel der CD kommen auf annähernd 80 Minuten Spielzeit. Welthits wie „Chega De Saudade“, „Corcovado“ und „Samba Da Minha Terra“ fehlen selbstver- ständlich nicht. Ergänzt wird diese mit einem 20-seitigen Booklet versehene Zusammenstellung um drei weitere Titel: „Manhã De Carnaval“, „O Nosso Amor“ und „A Felicidade“ wurden 1959 als Originale für den Film „Orfeu do Carnaval“ von Marcel Camus eingespielt. Charakteristisch für Gilbertos Stil sind vor allem der leise Gesang und der Rhythmus seines Gitarrenspiels. Sein letztes reguläres Studioalbum „ João Voz e Violão“ erschien bereits im Jahr 2000. 2003 tourte er zu- letzt im Ausland, in Japan. Seitdem ist es auch in Brasilien still um ihn geworden, medienwirksam wird dort leider nur der Familienstreit zwischen seiner Ex-Frau Miúcha, Tochter Bebel Gilberto, Sohn João Marcelo sowie seiner aktuellen Ehefrau Claudia Faissol aufbereitet.

 

Frank Keil 

Marilay Pacheco Trio & WDR Funkhausor- chester feat. Joo Kraus

“DANZÓN CUBANO” (LIVE IN VIERSEN) (Neuklang)

Im September 2017 erlebten die Besucher des „31. Internationalen Jazzfestivals Viersen“ kubanische Musik im Orchestergewand: Die Pianistin Marialy Pacheco hatte Klassiker und Eigenkompositionen für das WDR-Funkhausorchester (FHO) arrangiert: „Das macht sehr viel Spaß - und die kubanische Musik mit großem Orchester klingt toll. Das sind zwei Welten, aber die Mischung ist perfekt“, erklärte sie dazu. Sie gehört zur jungen Generation außergewöhnlicher Pianisten aus Kuba. Beim Einstiegssong, einer jazzigen Komposition des Dirigenten Gordon Hamilton, ist Pacheco allerdings noch nicht zu hören. Aber es folgt sofort ein Klassiker des „Cuban Songbook“: „Ay! Mamá Inés“ von Eliseo Grenet, den auf Kuba jedes Kind singen kann, der aber auch als Orchesterversion Charme und Lebensfreude versprüht, wie auch der folgende, mexikanische Titel „La bikina“. Mit „Burundanga“ geht es weiter: der Titel teilt sich in einen schwungvollen Orchester- und einen eher introvertierten Trio-Jazz-Teil mit einem Bass-Solo von Juan Camilo Villa auf, um am Ende das Publikum von den Stühlen zu reißen. Der Danzón „Tres lindas cuba- nas“ von Antonio María Romeu, bei dem Gasttrompeter Joo Kraus zum ersten Mal zu hören ist, und die ruhige Eigenkomposition „Danzón“ boten dem Publikum eine Atempause bei diesem sonst so lebhaften Konzert. „Sale el Sol“ und „Metro“, zwei Eigenkompositionen von Marialy Pacheco, zeigen eine mögliche Zukunft der kubanischen Musik: virtuose Jazzmusiker betten ihr Spiel in die leichtfüßigen Klänge eines großen Orchesters ein. Das treibende „Metro“, „in dem es um den Traum von einer U-Bahn in Havanna geht“, lebt vor allem von den elektronischen Effekten des Trompeters Joo Kraus, die dem Stück einen „spacigen“ Charakter verleihen. Aber schon im nächsten Titel schaltet Kraus wieder auf klas- sische Trompete um, und spielt mit Pacheco und dem FHO zum Abschluss eine jazzige Version des neben „Guantanamera“ wohl meistinterpretierten kubanischen Titels „El Manisero“. Ein wunderbares Album, das die traditionelle kubanische Musik fortschreibt und somit bewahrt.

 

Torsten Eßer