¡Si la mujer no está, la democracia no va!

Frauenbewegungen und Feminismus in Lateinamerika - ein Blick in die Vergangenheit und Gegenwart

Die Stimme der Frau ist in vielen Ländern Lateinamerikas besonders laut. Und sie wird lauter und lauter. Sie muss es sein, will sie aus dem engen von patriarchalen Gesellschaftsstrukturen geschnürtem Korsett ausbrechen. Eine Demokratie, in der die Hälfte der Bevölkerung keine Stimme hat, ist keine Demokratie. Wie war die Situation der Frauen damals im Vergleich zu heute? Wie entwickelten sich Frauenbewegungen im Laufe der Zeit? Gibt es „den“ einen Lateinamerikanischen Feminismus oder ist er eine Utopie?

Von Dana Elena Harms

Feminismus in Lateinamerika 

„Feminismus“ als Schlagwort sorgt bis heute für eine starke Polarisierung in Lateinamerika. Viele Frauen, vor allem in den ländlicheren Gegenden, sind von dem Begriff als solchem zunächst abgeschreckt, selbst wenn sie eigentlich für Frauenrechte einstehen. Sie verbinden Feminismus mit westlichen Werten und der Bourgeoisie, welche strikt abgelehnt wird. Eine weitere Interpretation besteht in dem Glauben, Feministinnen seien „Männerhasserinnen“. Die Geschichte Lateinamerikas ist stark durch die Kolonialisierung geprägt. Die meisten Länder erreichten ihre Unabhängigkeit zwischen den 1820er und 30er Jahren. Die geographisch und kulturell sehr unterschiedlichen Gebiete wurden durch den eurozentristischen Blickwinkel homogenisiert und zu einem Lateinamerika. Um Feminismus in Lateinamerika gerecht zu werden, muss der multikulturelle und vielfältige Charakter der Gesellschaften Beachtung finden. Durch ähnliche politische und ökonomische Prozesse lassen sich zwar viele Gemeinsamkeiten feststellen, dennoch muss jede Region und jede feministische Gruppierung für sich betrachtet werden. Von „dem“ Feminismus in Lateinamerika könne keine Rede sein, so Marta Lamas, eine der einflussreichsten Feministinnen in Mexiko. Feminismus lebt von seiner Vielschichtigkeit, der doch letztlich, runtergebrochen auf seine wichtigsten Ziele, immer dieselben Kerngedanken hat, welcher alle Frauen miteinander vereint.

 

Lokale Feminismen: „El Feminismo comunitaro“

Adriana Guzmán Arroyo, Vertreterin des in Bolivien geborenem „feminismo comunitario“ (komunitärer Feminismus), grenzt diesen klar vom europäischen Feminismus, welcher durch Konzepte wie Individualismus, Moderne und Privateigentum stark beeinflusst ist, ab. Im „feminismo comunitario“ steht die Gemeinschaft, die Liebe und Verbundenheit mit den Völkern, das gute Leben, die zirkulierende Zeit, Selbstbestimmtheit über den eigenen Körper und Wissensaustausch im Vordergrund. Die Basis des Kampfes liegt in der Gemeinschaft, nicht beim Individuum. Ziel ist nicht nur eine Entpartriachalisierung, sondern auch eine Entkolonialisierung und eine Entneoliberalisierung der Gesellschaft. Dieser lokale Feminismus definiert sich mehr über Aktion, als über Theorie. Das System, welches bekämpft werden soll, unterdrückt alle Menschen, nicht nur Frauen. Ziel ist ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft und im Einklang mit der Natur. Den Feministinnen der letzten 30 Jahre gehe es laut Fransesca Gargallo (2004) nicht mehr nur darum dem Mann gleichgestellt zu sein, sondern darum eine feststehende Ordnung zu brechen, die Frauen in der Auslebung ihrer Individualität hindert. Es gehe darum die Trennung zwischen der Natur und dem Menschen aufzuheben und wieder zur Pluralität zurückzukehren.

Marta Lamas setzt sich für eine Verbindung von Theorie und Praxis im Kampf gegen patriarchale Gesellschaftsstrukturen ein. Innerhalb der letzten dreißig Jahre kam es zu einer Spaltung zwischen den praktisch orientierten Frauenbewegungen und jenen, die sich auf akademischer – und somit theoretischer – Ebene mit dem Thema auseinandersetzten. Ein Zusammenkommen und voneinander profitieren sei für Lamas unabdingbar. 

 

Die Geschichte der Frauenbewegungen in Lateinamerika 

Mit der Kolonialisierung des Südamerikanischen Kontinents verbreite sich ein weibliches Tugendideal, welches dem der Männer genau entgegengesetzt war: das Bild der engelsgleichen Hausfrau und Mutter, die unterwürfig und gehorsam zu sein hatte und sich im Hinblick auf sexuellen Fragen und sozialen Konventionen dem Willen des Mannes zu fügen hatte. Die Vorstellungen einer gut bürgerlichen Frau wurden zunächst von der spanischen Kultur geprägt und maßgeblich durch die Dramen berühmter Klassiker, wie z.B. Lope de Vegas, Calderón de la Barca oder Cervantes genährt. Sie handeln häufig von der bedrohten Ehre der Männer, die durch das Verhalten einer Frau gefährdet wird und allein durch das Eingreifen eines Mannes wiederhergestellt werden kann. Wenig ist hingegen über die Situation von Frauen im vorkolonialen Amerika bekannt. Verschleppung, Versklavung und Gewalt haben die Frauen auch schon vor der Ankunft der Europäer erfahren. Jedoch waren die Hierarchie und das Ansehen der Frauen ein anderes.

Frauen haben in Lateinamerika schon immer im Kampf sozialer Bewegungen partizipiert. Hin und wieder stach die eine oder andere Frau in der Geschichte heraus, doch in der Regel blieben diese Frauen im Verborgenen. Nationale Heldinnen konnte es nur geben, wenn die Normen des Frauenbildes – der Frau als tugendhafte, sorgende Mutter - gewahrt wurden. Es war jedoch kaum möglich für Frauen politisch aktiv zu werden, ohne diese sozialen Normen zu missachten. Diejenigen, die den größten Beitrag zur Unabhängigkeit beitrugen, finden bislang keinerlei Aufmerksamkeit, denn es handelte sich dabei um Frauen aus den unteren Gesellschaftsschichten.

 

Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert entstanden in fast allen Ländern des Lateinamerikas auffällig viele Frauenbewegungen. Frauen haben die repressive Staatsmaschinerie in verschiedensten Formen und mit unterschiedlichsten Motivationen herausgefordert: Als Mütter, die ihre vermissten Kinder oder Ehemänner suchen, als unterdrückter und marginalisierter Teil der Gesellschaft, als Feministinnen und als Umweltkämpferinnen. Die Betonung der Mutterrolle war und ist bis heute in Lateinamerika von großer Bedeutung und wurde teilweise auch als Waffe für soziale und politische Forderungen eingesetzt. Eine der bekanntesten Frauenbewegungen, welche sich auf ihre Rolle als Mütter und Ehefrauen berufen haben, stellen die argentinischen „Madres de Plaza de Mayo“ (Mütter des Platzes der Mairevolution) dar. Sie protestierten während der Militärdiktatur von 1967- 1983 gegen das unaufgeklärte Verschwinden ihrer Söhne und Ehemänner. Es ging in vielen Frauenbewegungen anfänglich nicht um Chancengleichheit. Mit einer Berufung auf die Mutterrolle wurde darauf aufmerksam gemacht, dass man dieser durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Missstände nur erschwert nachkommen konnte. Die Organisierung gegen staatliche Gewalt hatte großen Einfluss auf die spätere Entwicklung des feministischen Diskurses und zivilen Widerstandes. 

 

Frauen betreten die politische Bühne

Auch die Industrialisierung und Modernisierungsprozesse veränderten die soziale Position der Frau. Sie eroberten mit kleinen Schritten einen Teil des Arbeitsmarktes (anfangs vor allem Fabriken und Schulen) und schufen damit einen neuen sozialen Raum für gegenseitigen Austausch und Solidarität. Die weltweite Welle des Feminismus der 70er Jahre (auch bekannt als „Second Wave Feminism“) machte auch vor Lateinamerika kein Halt und beeinflusste das Denken und Handeln vieler Frauen. Plötzlich betraten mehr und mehr Frauen die politische Bühne mit klaren feministischen Zielen. Eine neue feministische Kraft entstand, die anfänglich größtenteils von gebildeten Frauen aus der Mittel- und Oberschicht gespeist wurde. Mit zunehmenden Bildungsmöglichkeiten für Frauen wurde ein selbstbestimmteres Leben in vielen Ländern möglich. Die Forderung, dass auch das Private politisch sei, wurde zu einem der wichtigsten Slogans. Der Fokus auf den privaten Raum rückte immer mehr in den Vordergrund. Besonders Vergewaltigungen und innerfamiliäre Gewalt gerieten ins öffentliche Blickfeld. 

Mit der Wirtschaftskrise der 1980er Jahre entwickelte sich eine neue Dynamik innerhalb der Frauenbewegungen. „Der Feminismus des Überlebens“ (Birte Rodenberg) war in den Vororten großer Städte, wie beispielsweise Mexiko-Stadt, geboren – wie der Name schon sagt, aus der Not heraus. Wirtschaftliche Engpässe brachten die Frauen, die nun neben der Bewerkstelligung des Haushalts noch nach weiteren Einkommensquellen suchen mussten, aus pragmatischen Gründen zusammen. Es entstanden Nachbarschaftsinitiativen, in denen Frauen sich gegenseitig unterstützten und sich gemeinsam der Wirtschaftskrise stellten. In Mexiko wurde dieses Phänomen „Feminismo popular“ genannt. Es kam zu einem Austausch zwischen den Feministinnen der 70er Jahre und den Frauenbewegungen des „Feminismo popular“. 

In den 1990er Jahren fand eine Institutionalisierung vieler Frauenbewegungen statt. Es entstanden viele NGO’s, die zwar einerseits das revolutionäre Potential der Bewegungen ausbremsten, anderseits einen legalen Rahmen zur Verfügung stellten, welcher auch finanzielle Unabhängigkeit ermöglichte. In Mexiko wurde die Frau vom Staat als potentielle Wählerin und in wirtschaftlicher Hinsicht als Konsumentin gesehen. Frauenbewegungen wurden zunehmend instrumentalisiert und für eigene politische Zwecke genutzt. Das alles geschah im strengen Korsett des chauvinistischen Regierungssystems, welches wenig Raum für echte Entfaltung bot. Spätere Folgen waren eine starke Spaltung zwischen den autonomen und den institutionellen Feministinnen. Die Institutionalisierung des feministischen Strebens nach Autonomie durch Ermächtigung hat zweifellos neue Räume der Freiheit für Frauen geschaffen. Doch was ist der Preis dieser neuen Freiheit? Die Frauenemanzipation ist in den Motor der Kapitalakkumulation eingespannt, während Versorgungsarbeit weiterhin auf den Schultern der Frauen liegt. Sie wurden vom Staat als Produzentinnen und Konsumentinnen auf den Markt geschubst und tragen somit eine doppelte Bürde.

 

Ein Blick in die Gegenwart 

Welche Themen bestimmen heute feministische Debatten in Lateinamerika? Wo stehen wir heute? Die Frau hat sich ihren Weg ins öffentliche und politische Leben hart erkämpft und ist aus diesem nicht mehr wegzudenken. Stolz können Frauen auf einige Errungenschaften zurückblicken, beispielsweise das kürzlich durchgesetzte Abtreibungsgesetz in Argentinien, welches ohne den widerstandsfähigen Einsatz vieler Frauen nicht möglich gewesen wäre. In Ländern wie Chile, Argentinien und Brasilien wurde selbst das Präsidentenamt von einer Frau besetzt- vor wenigen Jahrzehnten wäre das noch undenkbar gewesen. Die Bewegung „ni una menos“, die in Argentinien entstand, kämpft gegen sexistische Gewalt und vor allem gegen Frauenmorde („Femicidios“), die nach wie vor eine traurige Realität darstellen. Durch soziale Medien gewann die Bewegung sogar an internationaler Unterstützung und machte sich in vielen Ländern in Lateinamerika breit. Gewalt an Frauen ist ein sensibles Thema und stellt für viele nach wie vor Teil des Alltags dar. Aus der Gewaltspirale zu entkommen und das im besten Fall lebend, stellt für viele Frauen eine unüberwindbare Herausforderung dar. Neben der Bekämpfung von sexistischer Gewalt bestimmen Debatten über Abtreibung und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung die feministische Politik in vielen Ländern. Die Frage ist nicht „Abtreibung: ja oder nein?“ sondern „Abtreibung: legal oder illegal“. Der gesellschaftliche Diskurs, spiegelt die hohe Zahl an Vergewaltigungen wieder, weshalb, neben anderen Gründen, auf ein Recht auf Abtreibung plädiert wird. In Argentinien polarisierte die Debatte die Gesellschaft wie kaum ein anderes Thema. Letztlich folgte das Land dem Vorbild von Uruguay, Cuba, Guyana, Puerto Rico, französisch Guyana und Guadalupe. Die Lateinamerikanischen Gesellschaften unterliegen nach wie vor starken „Machismo-Kultur“, einige mehr, andere weniger. Doch der Funke des gerechten Kampfes und des Widerstandes, der vor langer Zeit gesät wurde, breitet sich immer weiter aus und entzündet das Bewusstsein von immer mehr Menschen.