O Sussurro do Jaguar

„Ich habe nicht die Grenze überschritten, die Grenze hat mich überschritten.“

Vier Monate lang sind die beiden Filmregisseur*innen und einstige Kommiliton*innen Simon(e) Paetau und Thais Guisasola durch den brasilianischen Amazonas gereist. Einen Monat lang lebten sie bei einem Ayahuasca-Schamanen. Auf der spirituellen Suche nach sich selbst und den indigenen Wurzeln ihrer Vergangenheit, entwickelten sie den experimentellen Performance-Film „O Sussurro do Jaguar“. Entstanden ist daraus eine tropische (Traum-)Welt, in der jegliche Grenzen aufgebrochen werden und das Flüstern des Jaguars das Sagen hat. Während des Kino Latino Festivals 2018 in Köln sprach Matices mit Simon(e) Paetau.

Von Julia Brekl und Sonja Hofmann

Wie ist die Idee zur Geschichte des Films entstanden? 

Alles fing an mit dem Satz „Ich habe nicht die Grenze überschritten, die Grenze hat mich überschritten“. Uns hat die Idee der Grenze interessiert. Ich bin halb kolumbianisch, Thais ist aus Brasilien. Welche Grenzen sehen wir? Auf der einen Seite geographische Grenzen, die durch das Kolonialregime auferlegt worden sind. Aber auch Binaritäten, zum Beispiel von Geschlechtern oder die Grenze zwischen Mensch und Natur. So haben wir uns an den verschiedenen Facetten von Grenzen abgearbeitet. Thais und ich haben vier Jahre keine Förderung bekommen und trotzdem waren wir entschlossen, diesen Film zu realisieren. Während unserer Studienzeit in Kuba kam uns schon die Idee zu diesem Projekt. Wir wollten zur Art des Filmemachens vor der Industrialisierung des Films zurückfinden. Als kollektive Erfahrung, die Improvisationen zulässt. Vorher habe ich viel im Theater gearbeitet, daher weiß ich, wenn man ein vorgefertigtes Drehbuch hat, rennt man viel seinen Vorstellungen hinterher. Aber gerade in einem Film, in dem es mitunter um die Dekonstruktion von kolonialen Vorstellungen und um Projektionsflächen geht, ist eine offene Herangehensweise wichtig. Thais kommt aus São Paulo und kannte den Amazonas zuvor auch nicht. Wir wussten vorher, dass es um den Tod gehen soll und dass wir die drei bedeutenden Rituale: Rapé, Ayahuasca und Kambô mit in den Film bringen wollten. Was wir dann vor Ort erlebt haben, ist Teil des Drehbuchs geworden.

 

Spiritualität spielt eine große Rolle im Film. Wie seid Ihr auf die Schaman*innen gestoßen, die im Film während der Rituale zu sehen sind?

Sie alle sind Menschen, denen wir auf unserer Reise im Amazonas begegnet sind. Zum Beispiel praktiziert die Kambô-Hexe ihre Spiritualität seit 25 Jahren und war tatsächlich das erste Coca-Cola Model Brasiliens. Thais praktiziert selbst auch Candomblé, eine afrobrasilianische spirituelle Praxis, die in Kuba so ähnlich in Form der Santería existiert. Sie hatte daher mehr Zugang zum spirituellen Teil als ich. Während der Reise waren wir sehr wach und haben nach Zeichen und Menschen gesucht, die das repräsentieren, was wir in dem Film sagen. Die Chronologie des Films spiegelt gleichzeitig auch die Chronologie unserer Reise wider. Dabei sind wir auch selbst zum Praktizieren gekommen. Einen Tag vor dem Dreh der Ayahuasca-Szene haben wir das Ritual auch selbst mitgemacht. Wir wollten es möglichst genauso filmisch umsetzen, wie wir es erlebt haben.

 

Im Film wird die spirituelle Szene im Amazonas aber auch kritisch durchleuchtet. Einige Szenen zeigen eher Esoterik als Authentizität. Habt Ihr das auch dort vorgefunden?

Die kulturelle Aneignung ist ein starker Bestandteil von den Hippie-Communities im Amazonas. Ich habe das eher kritisch und ambivalent empfunden. Auf der einen Seite steckt hinter den medizinischen Pflanzen sehr viel Wissen. Aber wer hat Zugang dazu? Viele Mestizos sind inzwischen zu evangelikalen Religionen konvertiert und haben ihre Traditionen aufgegeben. Der genmanipulierte Mais im Film symbolisiert diesen Traditionsverlust. Mais ist in ganz Lateinamerika ein wichtiges Symbol, aber es ist auch genau dieser Mais, der durch die ganzen Monokulturen momentan den Amazonas zunehmend zerstört. Das zeigt, wie der Neoliberalismus eine Fortführung von kolonialen Strukturen ist.

 

Es geht um indigene Traditionen, Spiritualität und das koloniale Erbe in einer Region, in der die meisten Indigenen Brasiliens leben. Warum sieht man keine Indigenen im Film?

Wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Wir wollten keinen anthropologischen Film machen, der koloniale Bilder reproduziert. Uns ging es um die Dekonstruktion von Authentizität. Dieses Verlangen nach indigener Repräsentation im Film ist eine starke Zuschreibung, die auch eine koloniale Projektionsfläche ist. Für uns geht es um eine Selbsterfahrung und nicht um den Blick auf die Anderen. Bei letzterem geht es ja auch immer um Hierarchie zum Beobachteten, die wir brechen wollten.

 

Ihr habt Euch mit dem Film auch politisch positioniert. Zwischendurch hört man zum Beispiel Radioausschnitte vom Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff im Jahr 2016. Wie waren die Reaktionen in Brasilien auf den Film und wie geht es jetzt weiter, wo nun ein Rechtsextremist in Brasilien an der Macht ist?

Der Film läuft bald auf dem größten lateinamerikanischen Queer Film Festival „Festival Mix de Cultura da Diversidade“ (November 2018) in São Paulo. Uns schlackern die Ohren davor. Es ist ein unglaublich harter Moment für alle Queers. Wir wissen nicht was passiert, viele Menschen haben Angst. Aber gerade deswegen ist es wichtig, den Film jetzt zu zeigen. Wir wissen nicht, ob das Festival nächstes Jahr noch existieren wird. Während der Dreharbeiten hatten wir noch überlegt, einen Ausschnitt von Bolsonaro’s Stimme in den Film einzubauen, haben uns dann aber doch dagegen entschieden. Mit dem Rechtsruck und der rechtspopulistischen Debatte ist es jetzt wichtig, DEN Menschen eine Stimme zu geben, die nicht gesehen werden, aber konstruktiv an dieser Gesellschaft teilhaben. 

 

In Cartagena de Indias auf dem größten kolumbianischen Filmfestival hat „O Sussurro do Jaguar“ die beste Regie gewonnen. Wie wurde der Film dort wahrgenommen? 

Ich fand es gut, dass der Film dort nicht nur als „queer“ gelabelt wurde, sondern in einem offiziellen Wettbewerb gelaufen ist. Besonders bei der jungen Szene dort ist der Film gut angekommen. Aber auch insgesamt hatten wir das Gefühl eine Breite von Menschen damit zu erreichen. In Kolumbien gibt es nun zum ersten Mal seit den Friedensverhandlungen eine Allianz zwischen der schwarzen, der queeren, der indigenen Bewegung und linksorientierten Gruppierungen. Wir sind dort umarmt worden und wir haben uns als Teil dieser Bewegung gefühlt. Das war wunderbar! Der Film ist bisher auch tatsächlich am meisten in Kolumbien gezeigt worden.

Grenzen zwischen Mensch-Natur und Geschlechtern brechen auf.
(c) Simon(e) Paetau: Grenzen zwischen Mensch-Natur und Geschlechtern brechen auf.
Protagonistin Ana, gespielt von Co-Regisseurin Thais Guisasola, begibt sich auf eine spirituelle Suche nach sich selbst.
(c) Simon(e) Paetau: Protagonistin Ana, gespielt von Co-Regisseurin Thais Guisasola, begibt sich auf eine spirituelle Suche nach sich selbst.