Kaffee statt Koka

Ein Pilotprojekt in Kolumbien soll den Drogenhandel unterbinden - und setzt die Bauern unter Druck

Nach mehr als 50 Jahren gewaltsamen Konflikts steht Kolumbien an einem Wendepunkt. Doch eine der größten Herausforderungen ist weiterhin der Kampf gegen den Drogenhandel. Über 90.000 Hektar illegale Koka-Plantagen sollen daher durch Kaffee oder Kakao ersetzt werden. Was für die Regierung ein wirtschaftliches Vorzeigeprojekt werden soll, bedeutet für viele Bauern ein Dilemma: finanzielle Sicherheit oder Legalität?

 

 

von Julia Gurol

Wer sich auf die Reise nach Palmichal begibt, muss Zeit mitbringen. Zeit und einen starken Magen. Rund sechs Stunden holpert der Minibus von der nächstgrößeren Gemeinde Briceño durch die Anden bis in das Dorf. Der Bus ist voll: zwei Kälbchen, ein paar Hühner, acht Menschen auf fünf Sitzplätzen, vier weitere auf dem Dach. Der Blick aus dem Fenster zeigt schnell, dass hier der Koka-Anbau floriert. In 98 Prozent der umliegenden Dörfer wird die Pflanze angebaut. Endlose Steilhänge, auf denen sich die kleinen, unscheinbaren Sträucher im Wind bewegen.

 

Eine trügerische Idylle. Denn nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags im November 2016 beginnt jetzt der Kampf gegen das Koka, das die Grundlage für Kokain darstellt. Der Kampf gegen die Drogenpolitik ist neben dem endgültigen Waffenstillstand, der Entschädigung der Kriegsopfer, der Garantie der politischen Teilhabe der Ex-Guerilleros und einer Landreform, einer der zentralen Punkte des Friedensabkommens. Seit Juli 2016 läuft in Palmichal dazu ein Pilot-Projekt, an dem die Regierung, die FARC-Guerilla, die Vereinten Nationen und die lokalen Kokabauern beteiligt sind. Bald soll der Bus nach Palmichal entlang von Kakao- und Kaffeesträuchern fahren.

 

Jhon García ist so etwas wie der Dorfvorsteher von Palmichal und baut selber Koka an. Seitdem das Projekt im Sommer beschlossen wurde, trifft er sich mehrmals wöchentlich mit Vertretern der Regierung und der FARC-Guerilla. In einer Grundschule, zwischen Kinderbildern und Kreidestummeln, setzt sich Garcia mit den ganz Großen des Landes zusammen und passt auf, dass die Interessen der Bauern nicht in dem verzweifelten Versuch untergehen, das Land möglichst schnell, möglichst nachhaltig zu befrieden. „Ich stehe weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Ich kämpfe nur für eine einzige Sache und zwar für die Gemeinschaft.“ Mit diesen Worten stellt sich Jhon gerne vor. Seine Neutralität ist ihm wichtig. Beinahe unscheinbar wirkt er neben den breitschultrigen FARC-Guerilleros, die mit am runden Tisch sitzen. Camouflage neben rotem Pullover, grobe Stiefel neben ausgetretenen Vans, 1,90 Meter neben knappen 1,60. 


Anbau legaler Nutzpflanzen als gleichwertige 
Alternativen

Während der sogenannten „mesas temáticas“ („Runde Tische“) diskutiert Jhon mit FARC und Regierung darüber, wie nach und nach alle Koka-Plantagen durch legale Anbauten ersetzt werden können. Kakao ist eine Möglichkeit, Kaffee eine andere. Auch Bananen würden die Bauern anbauen. Der Versuch, Koka durch legale Nutzpflanzen zu ersetzen ist an sich nichts Neues. In der Vergangenheit gab es bereits zahlreiche solcher Projekte – die meisten scheiterten. Neu ist dieses Mal, dass sich die FARC, die bis zu 70 Prozent des gesamten Koka-Anbaus in Kolumbien kontrollieren, aktiv an dem Projekt beteiligen. Das Projekt soll in zehn Dörfern stattfinden: Pueblo Nuevo, El Orejón, La Calera, La América, El Pescado, La Mina, Buena Vista, Altos de Chiri und Palmichal.

 

Alle Familien, die derzeit von der Koka-Industrie leben, sollen von der Regierung unterstützt werden, damit sie andere Feldfrüchte anbauen. Wer dabei freiwillig seine Koka-Pflanzen zerstört, dem werden im Gegenzug Landrechte festgeschrieben. Doch was passiert danach? Mit dieser Frage beschäftigt sich Jhon täglich. Seit Beginn des Projektes ist er viel eher Vermittler als Cocalero, also Kokabauer, und verbringt seine Tage, statt auf dem Feld, in Diskussionsrunden. Jhon vertritt dabei nicht nur seine eigenen Interessen als Kokabauer sondern auch die des Dorfes. Er fordert vor allem eines: gleichwertige Alternativen zu Koka, von denen die Bauern leben können. „Wir wollen weg aus der Illegalität. Wir sind bereit für den Wandel, aber nur unter der Bedingung, dass die Regierung uns Alternativen bietet. Ansonsten: Nein!“, betont Jhon und muss die Stimme erheben, um im aufkommenden Protestgewirr nicht unterzugehen.

 

Mehr als 2.000 Familien in der Region sind auf Koka als Einnahmequelle angewiesen

 

Mit dem Projekt testen FARC und Regierung, was später auf ganz Kolumbien ausgeweitet werden soll. Ein Experiment mit unbekanntem Ausgang, das für die betroffenen Bauern jedoch ein Dilemma darstellt. Denn jeder Neunte lebt direkt oder indirekt vom Anbau und Verkauf von Koka. Es ist oft ihre einzige Einnahmequelle. Auch für Jhon. Alle zwei Monate pflückt er Koka und stellt mithilfe von Kerosin, Kalk, Natriumkarbonat und anderen Chemikalien die berühmte Koka-Paste her, die sich später zu Kokain verarbeiten und für viel Geld verkaufen lässt. Aus einem Zentner Koka lässt sich dabei rund ein Kilogramm Paste gewinnen – alle zwei Monate. Etwa 1,30 Dollar bekommt ein Cocalero für ein Kilo Kokablätter.

 

Kaffee- und Kakao-Kulturen sind zwar legal, benötigen jedoch ein gutes Jahr bis sie zum ersten Mal Gewinn abwerfen. Problematisch ist auch, dass die meisten Bauern im Durchschnitt nur etwa zwei Hektar bewirtschaften. Für den Koka-Anbau reicht diese Fläche. Nicht aber, um Kakao, Kaffee oder Zitrusfrüchte rentabel anzubauen. Keine gute Alternative, finden daher viele der Bauern.

 

Palmichal und Umgebung haben eine lange Geschichte des sozialen, politischen und bewaffneten Konfliktes und lagen im Epizentrum der kriegerischen Auseinandersetzungen. Fast alle Akteure, die im Jahrzehnte andauernden Konflikt in Kolumbien aktiv waren, sind dort noch präsent, während der Staat die Region vernachlässigte. Zu lang die Fahrt dorthin, zu abgelegen das Gebiet. Dadurch hatte die FARC leichtes Spiel, die Autorität in der Region zu erlangen. Der Bürgerkrieg, andauernde Geldsorgen und die Unfähigkeit des Staates, die abgelegenen Regionen in den Anden zu kontrollieren, trieben vor allem in den 80er und 90er Jahren zehntausende Bauern in die Arme der Drogenmafia. Noch bis zum Friedensschluss im November kontrollierten die guerrilleros die Region und den dortigen Koka-Anbau.

 

Doch mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags ist das Problem nicht aus der Welt geschafft: Nicht nur die FARC profitierten vom Koka-Anbau. Auch verschiedene bewaffnete Gruppen, die von der kolumbianischen Regierung verharmlosend als „kriminelle Banden“ bezeichnet werden, beteiligten sich an dem illegalen Geschäft. Sie haben gewissermaßen nur darauf gewartet, dass sich die FARC aus dem Koka-Geschäft zurückziehen, um selber die Kontrolle über Kolumbiens illegale Drogen zu erlangen. „Das Problem am Koka ist: solange eine Nachfrage besteht, wird es auch ein Angebot geben. Deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass die Regierung es schafft, den Koka-Anbau in Kolumbien komplett einzudämmen“, betont auch Jhon.

 

„Die FARC sind nicht unser einziges Problem.“

 

Eine dieser Gruppen in Palmichal und Umgebung ist das Verbrechersyndikat Los Urabeños. Die Gruppe gilt als mächtigste kriminelle Organisation Kolumbiens und rekrutiert sich vor allem aus ehemaligen Kämpfern der Paramilitärs. Sie verdienen Millionen mit dem Handel von Kokain und bieten den Bauern im Gegenzug weiterhin finanzielle Sicherheit. Da die Urabeños nicht in den Friedensprozess mit der Regierung eingebunden sind, stellen sie derzeit die größte Bedrohung für die Region dar und arbeiten gegen Regierung und FARC. Jhon sieht daher auch den Frieden kritisch, den es seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens offiziell im Land gibt. „Frieden ist für mich ein schwieriger Begriff. Klar, die FARC ist jetzt im Frieden mit der Regierung. Aber was ist mit all den anderen bewaffneten Gruppen?“ Bis der Frieden wirklich bei der Bevölkerung ankomme, sei es noch ein sehr langer Weg.

 

Mit seinen 132 Einwohnern ist Palmichal ein Spiegel all dessen, was den Friedensprozess in Kolumbien so schwierig macht. Die ersten Bauern haben nun bereits angefangen, Kaffee und Bananen anzubauen. Auch Jhon hat einige seiner Koka-Stauden durch Kaffee-Pflanzen ersetzt, vorerst zusätzlich zum Koka-Anbau. Die kolumbianische Regierung kündigte an, rund 320 Millionen Euro in das Pilotprojekt zu investieren, um die Bauern zu unterstützen.

 

Ob es reicht? Die Zweifel in Palmichal bleiben. Jeden Morgen, wenn der Nebel noch zwischen den Bergen hängt und das Dorf langsam aufwacht, beginnt dort von Neuem ein Kampf. Zwischen dem gewünschten Frieden und der Angst vor dem Unbekannten. Zwischen dem Wunsch, die FARC solle die Region verlassen, und der Ungewissheit, ob die Regierung das dadurch entstehende Machtvakuum füllen kann und es schafft, Sicherheit in der Region zu garantieren. Und zwischen dem Wunsch, legale Pflanzen anzubauen und der Gewissheit, mit Koka doch ein sicheres Einkommen zu haben und der Armut zu entkommen.

 

Julia Gurol ist als freie Journalistin im Raum Köln und Bonn tätig und arbeitet in freier Mitarbeit für die WirtschaftsWoche Online. Wenn sie gerade nicht an ihrer Masterarbeit sitzt, ist sie mit einem guten Buch, Kamera und Stift in der Welt unterwegs. Durch Kolumbien reiste sie insgesamt einen Monat.