Der elektronische Sound von Faauna im Wandel

Ghetto, Psychedelia und der Kampf für Minderheiten

Interview von Anne Lorenz

Sie sind frühe Pioniere der Cumbia Digital Bewegung. Jene scheppernde Folklore, aufbereitet mit elektronischen Beats, die in den 2000er Jahren die Clubs der ganzen Welt erobert hat. Im Juni waren sie zu Gast bei der Cumbia-Partyreihe Babilla Club. Dort haben sie ein rasantes Set abgeliefert und das Publikum mit offenen Mündern und verschwitzten T-Shirts zurückgelassen. Matices hat die Gelegenheit genutzt und dem Duo nach ihrer Show noch schnell fünf Fragen gestellt. 

Alles begann 2004 mit Drum and Bass und Jungle Beats in Mendoza. Dort hat sich Produzent und Mastermind Cristian Del Negro mit einem Freund zusammengetan, um gemeinsam Musik für die Tanzflächen zu erschaffen. Damals waren Drum and Bass und Jungle noch der Sound der Stunde. Mit folkloristischen Elementen haben sie ihren treibenden Beats einen erdigen Touch verpasst - bis dato einzigartig. Durch die Decke ging es für Faauna dann 2008, als sich das Duo dem Label Zizek anschloss. Durch deren regelmäßige, rauschende Partys wurden sie wichtiger Bestandteil der Clubszene in Buenos Aires und schnell auch international bekannt. Damals spielten sie schon auf MegaFestivals wie Coachella oder Roskilde in Dänemark.

 

Mittlerweile ist Faauna in der 4. Besetzung. Nach immer wechselnden Partnern hat Cristian Del Negro sich nun mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und mittlerweile Ehefrau Estefi Spark zusammengetan. Die Künstlerin aus Buenos Aires gibt Faauna nochmal einen ganz neuen Touch. Estefie ist Sängerin und Tänzerin. Mit ihren halsbrecherischen Twerk- Performances hat sie schon so manche Trophäe gewonnen und sich eine solide Fanbase aufgebaut. Bei den Bühnenshows von Faauna steht sie im Zentrum der Aufmerksamkeit. Gemeinsam lassen die beiden ihre lateinamerikanischen Roots mit elekt- ronischen Beats, mächtigen Bässen und jeder Menge trippy Vibes verschmelzen. Ihre Texte sind poetisch, doppeldeutig und meistens sehr politisch. Cristian Del Negro alias Color Kit braucht zur Beschreibung des Faauna Sounds nur 5 Wörter: Farben, Psychedelia, Sex, Liebe und Bass!

 

15 Jahre Bandgeschichte, Touren um die ganze Welt, drei Alben und vier verschiedene Bandbesetzungen - wie würdet ihr den Sound von Faauna heute beschreiben?

 

Cristian Del Negro: Vieles hat sich verändert in den letzten 15 Jahren. Einiges ist über die Zeit weggefallen, manches neu dazugekommen. Aber was immer geblieben ist, ist unsere elektronische Seele. Elektronische Musik bildet den musikalischen Kern von Faauna. Der Loop, das Repetitive, die Steigerung - diese Energie, die die Menschen zum Tanzen bringt. Dazu kommen psychedelische Elemente - die sind quasi unsere zweite Konstante.

 

Estefi Spark: Diese elektronischen, psychedelischen Klänge vermischen wir dann mit Rhythmen aus den Ghettos: Cumbia, Reggaetón, Dembow, Kuduro. Musik aus den ökonomisch weniger privilegierten Regionen dieser Welt. Und fertig ist der Sound von Faauna!

 

Typisch für die Songtexte von Faauna ist eine gewisse Doppeldeutigkeit. Sie klingen erstmal nicht politisch, doch beim zweiten Hinhören wird eine weitere Message deutlich. Was sind aktuell Themen, die euch in eurer Musik beschäftigen?

 

Cristian Del Negro: Wir versuchen, mit unserer Sprache politische Themen zu umschiffen. Politik ist etwas so Weltliches. Musik dagegen ist wunderbar spirituell. Auf der anderen Seite sind wir nun mal sehr politische Menschen, also sind auch die Botschaften in unseren Songs politisch. Das fängt schon mit unserem Sound an, wir haben uns nicht umsonst den Sounds der Ghettos verschrieben. Wir identifizieren uns mit Minderheiten. In unseren Texten klingt das immer durch, nur eben nicht wortwörtlich. Wir lieben das Abstrakte (lacht).

 

Estefi Spark: Seit ich Teil der Band bin, spielen natürlich auch feministische Themen eine große Rolle. Dabei sind wir aber nie mit erhobenem Zeigefinger unterwegs. Mir gefällt es, solche Themen mit einem gewissen Augenzwinkern anzugehen, mit Humor und Ironie. Du entdeckst die Querverweise, nur wenn du genau hinhörst, und wenn du sie nicht hören willst, kannst du den Song auch auf eine nichtpolitische Art verstehen. Das ist typisch für die argentinische Musikszene. Die Leute warten nur auf solche angedeuteten Botschaften. Diese Art des Song- writings bedeutet für uns Freiheit: Freiheit, uns ausdrücken zu können wie wir wollen. Aber eben auch Freiheit für unsere Hörer, die Texte so verstehen zu dürfen wie sie mögen!

 

Woher nehmt ihr dabei eure Inspiration?

 

Estefi Spark: Wir haben das Glück, viel reisen zu können. Dabei lernt man andere Kulturen und andere Realitäten kennen. Probleme, die einem vorher riesig vorkamen, erscheinen in Relation plötzlich gar nicht mehr so groß. Das ist uns passiert, als wir durch Lateinamerika getourt sind. Unser Horizont hat sich erweitert. Ich komme aus keiner privilegierten Familie, aber auf diesen Reisen wurde mir plötzlich bewusst, wie viele Möglichkeiten ich trotzdem habe. Solche positiven Erkenntnisse versuchen wir dann auch in unserer Musik zu vermitteln.

 

Cristian Del Negro: Uns ist es vor Allem wichtig, immer authentisch zu sein. Und dabei sind wir uns unserer soziokulturell privilegierten Position sehr bewusst - dieser Freiheit, machen zu können, was wir wollen, ohne mit großen Konsequenzen rechnen zu müssen. Realistisch betrachtet haben wir gar nicht so viele Probleme. Wir sprechen in unserer Musik über unsere persönliche Reise, unsere Entwicklung. Oder eben darüber, was wir um uns herum beobachten.

 

Ihr seid berüchtigt für eure energetischen Live-Shows - was ist euer Geheimrezept?

 

Estefi Spark: Unsere neue Live-Show gibt es seit etwa einem halben Jahr. Wir wollten sie wie eine Art Rundum-Erlebnis gestalten. Wir beide tanzen unheimlich gerne und wir lieben es, das Publikum in die Show mit einzubeziehen. Die Energien sollen im Idealfall zwischen uns und dem Publikum hin- und herfließen. Es fängt ganz entspannt an - wie in einer Tanz- stunde - mit Aufwärmen und Stretchen und danach treiben wir es immer weiter auf die Spitze.

 

Cristian Del Negro: Seit vielen Jahren sind die Live-Shows eine unserer Stärken. Auf der Bühne fühle ich mich einfach wohl und Estefie ist eine Vollblut-Performerin. Mit ihrer charismatischen Erscheinung zieht sie alle Blicke auf sich, und wenn sie einmal loslegt, lässt sie das Publikum nicht mehr aus ihrem Bann. Bei unseren Auftritten können wir wir selbst sein. Dann fühle ich mich wieder wie ein kleines Kind. Damals wurde man immer aufgefordert: „Komm schon Kleiner, zeig mal was du kannst!“ und das ist in meinem Fall eben die Bühnenshow. Was eigentlich komisch ist, denn privat sind wir beide eigentlich eher schüchtern. Ein lustiger Widerspruch - aber so sind wir eben!

 

Ihr liegt gerade in den letzten Zügen für ein neues Faauna Album. Worauf können wir uns freuen?

 

Cristian Del Negro: Die Rhythmen werden noch rasanter als man es bisher von uns gewohnt war. Wir haben in letzter Zeit viel Trance gehört, das klingt auf jeden Fall durch. Aber auch altvertraute Sounds wie Dembow und Cumbia sind selbstverständlich wieder mit dabei. Ihr könnt euch auf knapp zehn Songs freuen. Hybride, die sich irgendwo zwischen den Club-Genres bewegen. Das war immer unser Ding: Du hörst Faauna, kannst den Sound nicht so ganz einordnen, musst aber auf jeden Fall tanzen!

 

Estefi Spark: Ein multirhythmischer Trip! Das besondere für mich ist der Kontrast zwischen den erdigen, organischen Sounds der lateinamerikanischen Tradition und den glatten, harten Elementen der Elektronik. Thematisch wird es teilweise doch sehr politisch. Ein Song ist zum Beispiel ein Cover der chilenischen Folklore-Band „Inti-Illimani“ - darin geht es um die ungleiche Behandlung von verschiedenen Ethnien. Ein anderer Song ist der homosexuellen Community und ihrem Kampf um Gleichberechtigung gewidmet. Wir singen aber zum Beispiel auch über LSD-Trips... (lacht) Wir mischen immer ein bisschen Psychedelisches mit in die harte Realität! 

Anne Lorenz ist Redakteurin bei WDR Cosmo und Mitveranstalterin der Partyreihe Babilla Club