Die kolumbianische Welle

Neue Bands aus Kolumbien erobern Deutschland

Von einer Welle zu sprechen mag etwas übertrieben sein, aber es ist schon ungewöhnlich, dass in diesem Jahr gleich mehrere Bands aus Kolumbien in Deutschland auftraten und sowohl beim Publikum wie auch in den Medien ein begeistertes Echo hervorriefen.

von Torsten Eßer

Die Band „Meridian Brothers“ aus Bogotá mischt vor allem kolumbianische Rhythmen wie die cumbia mit elektronischen Klängen und Farfisa-Orgeln zu einem originellen Klanggebilde zusammen. Sie kam im Jahr 2010 zum ersten Mal nach Deutschland, wie Eblis Álvarez, Kopf der Gruppe, vor einem Konzert in Essen berichtet.

 

„Meine erste Erfahrung mit Deutschland war ein Treffen mit den Leuten vom ‚Haus der Kulturen der Welt‘ in Berlin. Sie suchten neue, innovative Sounds von Bands aus Lateinamerika und so kamen sie auf uns. Außerdem gab es zu dieser Zeit einige Labels in Europa, die Musik von innovativen lateinamerikanischen Bands veröffentlichen wollten. So erschien von uns dann ein Album auf dem deutsch-französischen Label ‚Staubgold‘. Aber es existiert noch ein anderes musikalisches Band zwischen Deutschland und Kolumbien: Fast der gesamte Techno, der in Bogotá gespielt wurde, stammte aus Berlin. Und Bands wie ‚Kraftwerk‘ sind in Kolumbien sehr populär, und auch für mich eine Referenz.“ 

 

Auch „Monsieur Periné“ haben ihr erstes Album auf einem deutschen Label veröffentlicht und kommen seither immer wieder: 

 

„Vor drei Jahren hat Basti Hoffmann von ‚flowfish Records‘ aus Berlin Kontakt mit uns aufgenommen. Er wollte unser Debütalbum herausbringen. So kamen wir dann 2012 hier an und inzwischen haben wir wohl mehr Auftritte in Deutschland absolviert, als in unserer Heimat. Wir waren hier schon in mehr Städten als in Kolumbien und profitieren sehr davon, das Publikum natürlich auch. Die Deutschen können eine für sie ‚exotische‘ Musik hören, und wir lernen hier auch neue Musiker und Sachen kennen, vor allem ein sehr respektvolles und neugieriges Publikum“, berichtet Santiago Sarabia, der verschiedene Saiteninstrumente spielt, u.a. eine „Strohgeige“ (violin corneta). „Das ist ein seltenes Instrument. Während einer Recherche über den Tango kam es mir entgegen. Sein Klang ist einzigartig und ich finde es sehr schön. Ich begab mich auf die Suche und fand jemand in Kalifornien, der Replikate baut. Er hatte nur noch eine und die habe ich sofort gekauft.“

 

„Monsieur Periné“ mischen die Rhythmen ihrer Heimat und Lateinamerikas mit Manouche-Jazz, eine bisher einzigartige Kombination, die gut ankommt: 

 

„Der Manouche-Jazz ist ja weiterhin eine fröhliche, tanzbare Musik im Gegensatz zum Jazz, der sich zu einer intellektuellen Hörmusik gewandelt hat. Er hat zwar auch Soli und einen intellektuellen Überbau, aber ist eine Musik, um Spaß zu haben. Und dieser Mix aus tanzbarer, rhythmischer Musik aus Lateinamerika und tanzbarer, intellektueller Musik aus Europa, bewirkt eine Explosion“, erzählt Santiago Sarabia vor einem Konzert im Kölner Clubbahnhof Ehrenfeld. Diese Musik lernten Santiago und Nicolás Junca durch das Internet kennen: „Wir waren etwa 15 Jahre alt und luden uns Musik von Plattformen wie Napster herunter. Und zufälligerweise war von Django Reinhardt ‚Minor swing‘ dazwischen. Wir beide als Gitarrenschüler waren sofort begeistert von diesem Stil, diesem Rhythmus, den Gitarren und Violinen. Zuerst haben wir das nur nachgespielt, aber dann beschlossen, diese Musik zu variieren, zu transformieren, sie zu unserer Musik zu machen, indem wir sie mit der Musik mischten, die wir den ganzen Tag hörten, zuhause, im Taxi, im Bus.“ Und so entstand der „suin a la colombiana“. Sowohl bei „Monsieur Periné“ als auch bei „Meridian Brothers“ trägt die Instrumentierung ihrer Songs zum Erfolg bei, sei es Strohgeige oder Farfisa-Orgel: „Die häufige Verwendung von Orgeln und Melodicas hat mit einigen lateinamerikanischen Musikern zu tun, die ich sehr schätze. Der wichtigste für mich ist dabei Jaime Llano González, ein Hammondorgel-Spieler, der Easy-Listening mit kolumbianischer Musik gemischt hat und vor allem in Kolumbien sehr bekannt ist“, erklärt Eblis Álvarez seine Vorliebe. 

 

Bei der Band „fatsO“, die dieses Jahr auf der internationalen Musikmesse „jazzahead“ in Bremen auftrat, ist die Instrumentierung auch eher ungewöhnlich, aber vor allem die Stimme von Bandleader und Bassist Daniel Restrepo hebt sich heraus, die an Tom Waits erinnert. In der Musik von „fatsO“ schlägt sich vor allem Restrepos Biografie nieder: 

 

„Ich habe zwischen meinem vierten und neunten Lebensjahr in den USA gelebt, also hat mich die dortige Kultur sehr geprägt, von der Musik bis zum Comic. Mein Vater war ein Melomane, aber seine Plattensammlung bestand fast nur aus anglophonen Künstlern, wie Led Zeppelin, Pink Floyd, Tom Waits oder Rolling Stones. Der Jazz á la Frank Sinatra begegnete mir vor allem als Musik in alten Filmen. Als ich dann nach Kolumbien kam – ich sprach nicht gut Spanisch - war es schwer, mich in diese Welt einzufinden, zumal ich in eine bilinguale Schule ging und somit weiterhin Vieles auf Englisch passierte. Erst so mit 14 Jahren, als ich meine erste Band gründete, kam ich mit kolumbianischer Musik in Berührung, und sie gefiel mir erstmal nicht besonders. Erst zu Beginn des Studiums fiel mir auf, dass ich ein kolumbianischer Musiker war, der ausschließlich die Musik eines anderen Landes spielte. Das wollte ich ändern, und so hörte ich sehr viel Folklore, besuchte Festivals im ganzen Land, lernte Percussion und eignete mir so die Musik meines Landes an. Am besten gefielen mir darin die Bläser, Trompeten und Posaunen. Und die hätte ich gerne in meine ‚Jazz‘-Kompositionen übernommen. Aber in Kolumbien gibt es keine guten Jazztrompeter oder -posaunisten, alle spielen nur Salsa oder andere lateinamerikanische Stile. Technisch oft brillant, aber ohne jede Kenntnis vom Jazz oder Rock. An der Hochschule gab es eine Gruppe von Musikern, die unter anderem mit Freejazz experimentierte, aber die Bläser waren alle Saxophonisten oder Klarinettisten. Also fragte ich sie schließlich, ob sie mit mir spielen wollten und so kam es zu der außergewöhnlichen Besetzung mit vier Saxophonen bzw. Klarinetten und der Rhythmusgruppe aus Bass, Schlagzeug und manchmal Gitarre.“ 

 

Auf dem Debütalbum von „fatsO“ gibt es somit nur einen Titel, der auf einen einheimischen Rhythmus, den bunde, zurückgeht, das spanischsprachige Stück „Oye Pelao“, in dem es um die vielen versprengten Flüchtlinge des Bürgerkriegs geht, die durch Bogotá irren. Daniel Restrepo verarbeitet problemlos die politischen und gesellschaftlichen Missstände in seinem Land, die beiden anderen Bands sind schon vorsichtiger, denn Politik und Musik scheint immer noch ein heikles Thema zu sein in Kolumbien. Catalina García von „Monsieur Periné“ singt auf dem neuen Album Texte über die (neue) Rolle der Frau und über Umweltprobleme, die „Meridian Brothers“ halten sich eher zurück: 

 

„In Kolumbien gibt es Musiker, meistens bei den Linken, die über solche Dinge singen, ‚Juanes‘ wiederum spielte für Präsident Uribe, aber insgesamt ist es delikat, über Politik in Kolumbien zu singen“, sagt Eblis Álvarez. Santiago Sarabia erklärt: „Ich denke, dass Leute, die über problematische Sachen schreiben, sich einer gewissen Gefahr aussetzen, in den Städten weniger. Aber es gibt auch nicht viele, die das machen. Denn die Musikszene bewegt sich momentan in die Richtung, die Politik zu ignorieren, sich zu vergnügen, nicht nachdenken zu müssen über die Probleme.“

 

Die drei Bands, so unterschiedlich ihre Musik auch ist, kommen in Kolumbien gut an, auch wenn dort die Mehrheit der Menschen reggaeton, vallenato und internationalen Pop bevorzugt, wie Daniel Restrepo berichtet. International profitieren sie auch von der explosionsartig gestiegenen Beliebtheit der cumbia, obwohl sie selbst diesen Stil selten oder gar nicht – wie fatsO – spielen. Auf jeden Fall sind alle ihre Alben hörenswert.

 

Torsten Eßer ist Musikredakteur bei Matices und WDR5.

Bands wie Meridian Brothers, Monsieur Periné oder fatsO begeistern Publikum und Medien.