Lateinamerikas aktuellster Begriff ist immer noch der "Neoliberalismus" für die einen eine Hoffnung, für andere ein Horror. Viele sehen in diesem Reformansatz den weg aus der lateinamerikanischen Misere, die Gegenseite sieht darin die Fortsetzung der Ausbeutung der Unterschichten. Unterhalb der polemischen Ebene gibt es durchaus Ansätze zur Kritik sowohl an dem vermeintlichen Lösungsmodell als auch an der Pauschalverurteilung.
Das Reformprojekt hat Grenzen: Auch der Internationale Währungsfonds erkennt die Notwendigkeit zur Sozialpolitik an, um den makroökonomischen Fortschritt nicht zu gefährden und die klein betriebliche Seite fördern zu können. ,,Erst die wirtschaftliche Entwicklung, dann an das andere denken" bleibt aber die Regel. Lateinamerika sucht die Modernisierung (schon seit 200 Jahren), die Suche wird aber zur materialistischen Sucht nach Profit, die in einer Aufbruchstimmung wie in den siebziger Jahren mit Großbaustellen der Welt beweisen will, dass man auch ,,entwickelt" ist. Viele Spätfolgen, die durchaus als Auswüchse bezeichnet werden können, bleiben bei dieser Modernisierung außer Betracht, obwohl sie nach leidvoller Erfahrung bereits bekannt und wirtschaftlich kalkulierbar geworden sind. Diesem Aspekt ist der Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe von MATICES gewidmet.
Grundsätzliches zur Situation der Umwelt in Lateinamerika skizziert Torsten Eßer. Die mit dieser Natur eng verbundenen altamerikanischen Völker tragen aus verständlichen Gründen den nach Nordamerika und Europa blickenden Fortschrittsglauben nur sehr bedingt mit. Ansätze zu einer unorthodoxen, ihre Belange berücksichtigende ,,Bioethik" erläutert im Interview der Befreiungstheologe Leonardo Boff.
Der Schutz der natürlichen und architektonischen Denkmäler (beides identitätsstiftend, anders als die weltweit fast identisch aussehenden Betonklötze der Nachkriegszeit) muß nicht als Fortschrittsbremse, sondern als notwendig zu berücksichtigender und bilanzierender Faktor des Fortschritts gesehen werden. Darauf weisen Ralf Mittmann und Stephan Küffner Andrade hin. Beide Artikel sehen in der touristischen Industrie eine Interessensgruppe, die sich private Institution sich der gedankenlosen Zerstörung widersetzen könnte. Es bleibt unsere Hoffnung, daß vor allem nicht staatliche Interessengruppen, seien sie indigene Gruppen, Umweltschützer oder Agroindustrielle, deren Geschäftsgrundlage direkt vom Untergang der Umwelt bedroht werden, einen Einfluß geltend machen können, der die Idee der nachhaltigen Entwicklung erreichbarer macht.
die Redaktion
Politik
Spezial: Umweltschutz versus Entwicklung?
Kultur
Bücher