Die Kosmetikerin - Melba Escobar

von Sarah Brendel

Der kolumbianischen Journalistin und Autorin Melba Escobar gelang mit „Die Kosmetikerin“ (original Titel: Casa de la Beleza) ein spannender und aufrührender Thriller mit internationalem Erfolg. Trotz des einige Jahre zurückliegenden Erscheinungsdatums (2015) sind die Themen des Buches aktueller denn je. Es geht um Gewalt gegen Frauen, Rassismus und eine gespaltene Gesellschaft, in der die Klassenzugehörigkeit über Leben und Tod entscheidet.

 

Die Geschichte wird erzählt aus der Sicht von Claire, einer Psychotherapeutin, die, nach dem sie lange Zeit in Paris lebte, zurückkehrt in die Stadt, in der sie aufwuchs: Bogota. Claire ist Mitte fünfzig, geschieden und betrachtet Bogotas oberflächliche und machthungrige High Society mit Abscheu. Obwohl sie als Europäerin und Akademikerin selbst zur Oberschicht gehört sieht sie sich als Außenseiterin. Bei einem spontanen Besuch im Kosmetikstudio „Casa de la Beleza“ trifft sie auf Karen, eine alleinerziehende Schwarze, der nichts anderes übrigblieb, als ihre karibische Heimat Cartagena für das verregnete Bogotá zu verlassen, um dort als Kosmetikerin mehr Geld für sich und ihren Sohn zu verdienen. Im Gegensatz zu den anderen Mitarbeiterinnen des Studios fällt sie Claire durch ihre sanfte Art und ihre atemberaubende, natürliche Schönheit auf. Im Laufe der Geschichte gerät Karen, die sich allein durch ihre Hautfarbe und ihren Status schon in einer schwierigen Ausgangslage befindet, in einer unaufhaltsamen Abwärtsspirale von einem Unglück ins nächste.

 

„Die Kosmetikerin“ erschafft beim Lesen einen Zustand der Schockstarre, was nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass Melba Escobar so spannend schreibt. Sie benennt eine brutale Realität von Gewalt und Machtmissbrauch, deren Opfer vor allem weiblich sind. Die Männer in der Geschichte haben Geld, Macht und Einfluss und müssen sich letztlich für keine ihrer Gräueltaten verantworten, während die Frauen sie bezahlen mit ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und ihrem Leben. Doch auch zwischen den weiblichen Protagonisten gibt es große Kontraste, die Melba Escobar treffend auf den Punkt bringt. So sieht sich Claire zunehmend als Karens Schutzbeauftragte und will ihr helfen, sie aus ihrem Unglück zu befreien. Wer zwischen den Zeilen liest, erkennt Claires Überlegenheitsdenken und auch die wiederholte Betonung von Karens Schönheit und Sanftmütigkeit deuten auf eine Kritik an der Stereotypisierung der schwarzen Frau hin. Das Kosmetikstudio, die Casa de la Beleza, ein helles, sauberes und duftendes Vakuum inmitten der brutalen Realität Bogotás, ist dabei der Ort der Begegnung und Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, an dem die verschiedenen Lebensrealitäten aufeinandertreffen. Hier treffen Frauen wie Karen, die ihre Schicht nach einer einstündigen Fahrt, im überfüllten, stinkenden und schwülen Bus antreten auf Politiker-Gattinnen, die für die dritte Massage innerhalb einer Woche mit der Luxuslimousine vorfahren.

 

„Die Kosmetikerin“ ist spannend und schonungslos und zeigt mit dem Finger auf so vieles, das sich nicht nur in Bogota ändern müsste. Ohnehin regt das Buch zum um-die-Ecke-Denken, Reflektieren und Hinterfragen an und darf deswegen auch zweimal gelesen werden. Denn, Melba Escobar widmet ihr Buch vor allem denen, die sich in Claire wiederfinden können. Die so empathisch, fürsorglich und liebevoll für Karen da sein will, es jedoch schlussendlich nicht schafft, sich von ihren Vorurteilen zu trennen.

 

 Sarah Brendel hat Regionalstudien Lateinamerika studiert und arbeitet unter anderem beim WDR.