Musikrezensionen 101

Nice Brazil - Minhas Raízes

Minhas Raízes (GLM/Fine Music)
Minhas Raízes (GLM/Fine Music)

Nice Brazil kam in den 1990er Jahren als junge Frau aus Brasilien nach Deutschland. Im Gepäck die Música Popular Brasileira, kurz MPB. Im Laufe ihrer Karriere unternahm sie mittels Cover-Versionen zunächst einen musikalischen Streifzug zwischen Choro, Baião, Samba und Bossa Nova bis hin zum Brasil-Jazz. Auf der aktuellen CD „Minhas Raízes“ halten sich Fremd-Kompositionen und eigene Stücke annähernd gleichberechtigt die Waage. Alle Titel zwischen „Deixa“ (Baden Powell) über die eigenen „Quando Te Vi“ und „Pra Lá e Pra Cá“ bis hin zu „O Cantador“ (Dori Caymmi) unterstreichen ihr Verständnis und ihre Begeisterung für jazzige Arrangements. Auch ihre Texte haben genug Tiefgang, während ihre brasilianisch-europäische Begleitband (u.a. mit Gitarrist und Arrangeur João Luis Nogueira Pinto) durchweg auf hohem Niveau agiert. Da braucht es sogar nicht immer Worte, so wie beim eindrucksvollen „Te Amei“, einem Instrumental, mit dem

sich Cleonice nachträglich von ihrem verstorbenen Vater verabschiedet. Mit diesem, ihrem vierten Album, ruft sie uns nicht nur ihre Wurzeln, sondern die brasilianische Musik generell in Erinnerung.

 

Frank Keil 


Tiganá Santana - Vida-Código

Vida-Código (Ajabu! Records/Broken Silence)
Vida-Código (Ajabu! Records/Broken Silence)

Der 1982 in Salvador da Bahia im Nordosten Brasiliens geborene Tiganá Santana ist ein Multitalent. Als Gitarrist, Komponist, Dichter/Philosoph und Sänger ist er mittlerweile

auch außerhalb Brasiliens bekannt. Mit „Vida-Código“ veröffentlicht er aktuell sein viertes Album auf dem schwedischen Label Abaju! Records. Tiganá, der auf Afrikanisch, Portugiesisch, Spanisch, Englisch oder Französisch singt, rückt Chansons und elektronische Elemente bei seinen neuen Aufnahmen in den Vordergrund. Während er singt und gelegentlich Gitarre spielt, hat er die Stücke gemeinsam mit Perkussionist Sebastian Notini produziert. Zahlreiche Gäste, darunter Aline Falcão (Keyboards, Akkordeon) und Ldson Galter (Bass) ergänzen das kleine, aber feine Line-Up. Ilê Aiyê ist der zweitälteste Afro-Block in Salvador, eine Musik- und Kulturgruppe, die bereits 1974 gegründet wurde und beim Karneval vor allem den Samba-Reggae populär gemacht hat. Ihnen zollt Santana mit einer Neuinterpretation des Songs „Ilê Aiyê“ gebührend Respekt.

 

Frank Keil


Baco Exu do Blues - Não tem Bacanal na Quarentena

Não tem Bacanal na Quarentena (999 / Altafonte)
Não tem Bacanal na Quarentena (999 / Altafonte)

Keine Fete in Quarantäne – die aktuelle Situation setzt dem bekannten Rapper aus Bahia anscheinend ziemlich zu. Ein Titel heißt Preso em casa, cheio de teisao (Zu Hause eingesperrt, voller Anspannung), in einem anderen erinnert ihn die Freiheitseinschränkung an die Sklaverei.

Die fehlende Ausgeglichenheit konnte „O Baco“ in Kreativität umsetzen und in drei Tagen neun Tracks im Home-Studio zu produzieren, die wieder mal tanzbaren Hip-Hop und entspannte Beats liefern. Sein ursprünglich geplantes Album Bacanal sollte nicht inmitten der Pandemie veröffentlicht werden. Die Doppeldeutigkeit des Titels erschließt sich also erst auf den zweiten

Blick. Im Vergleich zu dem vorigen, mit Hits gespickten Album „Bluesman“ fokussiert sich der 24-Jährige in der Neuerscheinung etwas mehr auf Rap und Trap. Trotzdem müssen seine Fans nicht komplett auf eingehende HUKs verzichten: Ela é Gostosa Pra Caralho steht früheren Erfolgen wie

Te amo desgraça musikalisch und lyrisch in nichts nach. Hier kommen seine typischen erotischen, aber nicht übertrieben vulgären Texte, für die er so gefeiert wird, am meisten zum Tragen.

 

Raban Brauner