Wenn der eigene Körper tabu ist

Restriktive Abtreibungsgesetze in Lateinamerika verletzen fundamentale Menschenrechte

In vielen Ländern Lateinamerikas existieren veraltete Gesetzgebungen zum Schwangerschaftsabbruch. Deren fatale Folgen werden aber oft ignoriert. Anstatt die Gesundheit von Frauen und Mädchen zu beschützen, wie es solche Gesetze eigentlich vorgesehen haben, werden Leben aufs Spiel gesetzt. Die Betroffenen können damit ihr Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper nicht wahrnehmen und klischeehafte Frauenbilder werden weiter verfestigt.

 von Maja Liebing

Sie wurde während ihrer Kindheit von ihrem Stiefvater wiederholt sexuell missbraucht. Mit 10 Jahren wurde Mainumby (Name geändert) dann schwanger. Trotz der hohen Risiken der Schwangerschaft, der Vergewaltigung und der Tatsache, dass sie noch ein Kind ist, wurde sie gezwungen, die Schwangerschaft fortzuführen.

 

Die Situation des Mädchens aus Paraguay ist kein Einzelfall. Fast überall in Lateinamerika gelten strenge, oft drakonische Abtreibungsgesetze. In Ländern wie El Salvador ist der Schwangerschaftsabbruch sogar grundsätzlich und ohne Ausnahmen verboten. Befürworter solcher restriktiver Gesetze schreiben sich dabei den „Schutz ungeborenen Lebens“ auf die Fahne. Auch religiöse und kulturelle Gruppen üben gesellschaftlichen Druck aus, damit sich am Status Quo nichts ändert. Fünf Länder Lateinamerikas halten an einem absoluten Abtreibungsverbot fest. Paraguay ist nicht einmal darunter. In dem südamerikanischen Land ist ein Schwangerschaftsabbruch gestattet, wenn das Leben der Frau in akuter Gefahr ist. Das, so befand das Gesundheitsministerium, sei bei Mainumby allerdings nicht der Fall gewesen.

 

Die gravierenden Folgen der Abtreibungsgesetze

 

Trotz zum Teil lebensbedrohlicher gesundheitlicher Probleme werden Frauen in weiten Teilen Lateinamerikas an einem Schwangerschaftsabbruch gehindert. In Ländern, in denen der Schwangerschaftsabbruch nur dann gestattet ist, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist, werden Ärzte in eine Zwangslage gebracht. Sie müssen Frauen die notwendige medizinische Betreuung so lange verweigern, bis sich deren Gesundheitszustand so weit verschlechtert hat, dass sie eingreifen dürfen. Andernfalls würden sie selbst auf der Anklagebank landen. Diese Gesetzgebung führt dazu, dass Schwangere große Schmerzen, Angst und Unsicherheit ertragen müssen. Gleichzeitig kann das medizinische Personal seiner Pflicht, die Gesundheit der Patienten zum obersten Gebot zu machen, nicht nachkommen.

 

In El Salvador werden wegen des absoluten Verbots eines Schwangerschaftsabbruchs das Leben und die Gesundheit von Frauen komplett missachtet. Dies verdeutlicht der Fall von Beatriz (Name geändert). Sie leidet u.a. an  der Autoimmunkrankheit und einem Nierenleiden. Als sie nach einer ersten, schwierigen Schwangerschaft ein zweites Mal schwanger wurde, ergaben die medizinischen Untersuchungen, dass der Fötus nur wenige Stunden oder Tage überleben würde. Ihm fehlten große Teile des Gehirns und des Schädels. Als sich Beatriz‘ Gesundheitszustand deutlich verschlechterte, beantragten ihre Anwälte am Obersten Gerichtshof, ihr den dringend benötigten lebensrettenden Eingriff zu gewähren. Erst nach Verzögerungen von mehreren Monaten gab die Regierung die Einwilligung für einen Kaiserschnitt. Beatriz überlebte, während der Fötus nach wenigen Stunden starb. Da sie mehr als 20 Wochen schwanger gewesen war, konnte der Eingriff aus medizinischer Sicht als „Einleiten von Wehen“ gewertet werden. Während Beatriz‘ Leben unnötig aufs Spiel gesetzt wurde, konnten die Behörden darauf verweisen, dass das absolute Abtreibungsverbot eingehalten worden war.

 

Auch für Opfer von Vergewaltigungen, wie Mainumby aus Paraguay, nimmt die Gewalt kein Ende.Wenn Vergewaltigungsopfer dazu gezwungen werden, die Schwangerschaft vollständig zu durchleben, handelt es sich um Folter. Das haben Amnesty International und der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter längst bestätigt. Die eigentlich notwendige medizinische Versorgung und psychologische Unterstützung werden ihnen verweigert und die gesundheitlichen Auswirkungen missachtet. Zudem werden Mädchen und junge Frauen häufiger Opfer sexualisierter Gewalt als erwachsene Frauen. Gleichzeitig ist laut WHO die Müttersterblichkeit bei Mädchen unter 15 Jahren am höchsten. Mainumby gebar ihr Kind schließlich per Kaiserschnitt. Die Auswirkungen auf ihre psychische und körperliche Gesundheit lassen sich derzeit noch nicht abschätzen.

 

Wenn keine Möglichkeit besteht, legal abzutreiben, werden Frauen und Mädchen außerdem häufig in die Illegalität gedrängt. Dort bedienen sie sich geheimen und oft sehr gefährlichen Methoden, um die Schwangerschaft zu beenden. In ihrer Verzweiflung führen sie beispielsweise spitze Fremdkörper wie Stricknadeln oder Holzstücke in den Gebärmutterhals ein oder nehmen Pestizide zu sich. Aber auch Medikamente zum Schwangerschaftsabbruch können bei fehlenden medizinischen Kenntnissen zu erheblichen Komplikationen führen. Frauen und Mädchen riskieren dabei neben hohen Haftstrafen auch ihr eigenes Leben. 

 

Andere Schwangere wiederum sehen Selbstmord als das kleinere Übel und den letzten Ausweg. In El Salvador sind 57 Prozent der Todesfälle von Schwangeren zwischen 10 und 19 Jahren auf einen Suizid zurückzuführen. Doch viele Fälle werden vermutlich gar nicht erst bekannt. Sowohl Schwangerschaft und Sexualität als auch der Selbstmord an sich, sind mit einem großen Stigma behaftet.

 

Wegen einer Fehlgeburt ins Gefängnis

 

Auch die Gesundheitsfürsorge und das Vertrauen zu den Ärzten leiden extrem durch eine Gesetzgebung wie in El Salvador. Statt aufzuklären und Informationen zu Verhütungsmethoden und Abtreibung zu geben, ist das Gesundheitspersonal angehalten, mutmaßliche selbsteingeleitete Abtreibungen anzuzeigen. Das führt dazu, dass Frauen, bei denen schwere Komplikationen während der Schwangerschaft auftreten, Angst haben, ins Krankenhaus zu gehen. In El Salvador steht auf einen Schwangerschaftsabbruch eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren. Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, drohen Strafen von bis zu 50 Jahren, wenn sie wegen „Mordes“ verurteilt werden.

 

Die „Agrupación Ciudadana por la Despenalización del Aborto“ („Bürgerliche Vereinigung zur Entkriminalisierung der Abtreibung“) ist eine Bürgerbewegung in El Salvador, in der sich Frauen und Männer zusammengeschlossen haben, um für die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen einzutreten. Laut dieser Nichtregierungsorganisation wurden in dem Land zwischen 2000 und 2011, 129 Frauen wegen Abtreibung oder Mordes angeklagt. Bei einigen von ihnen ergaben medizinische Gutachten, dass sie Fehlgeburten erlitten hatten. So auch bei Guadalupe (Name geändert), deren Fall sich schließlich zum Positiven wendete. Als 18-Jährige erlitt sie eine Fehlgeburt und wurde 2007 zu einer Gefängnisstrafe von 30 Jahren verurteilt. Auf Druck der Agrupación Ciudadana und Amnesty International begnadigte die Parlamentarische Versammlung El Salvadors Guadalupe Anfang diesen Jahres. 15 weitere Frauen, ebenfalls inhaftiert nachdem sie Komplikationen in der Schwangerschaft erlitten, hoffen, dass diese Entscheidung einen Wendepunkt darstellt und auch sie vorzeitig freigelassen werden könnten.

 

Diskriminierung von Frauen und Mädchen ist tief verwurzelt

 

Neben erheblichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit vieler Verfahren und den schwerwiegenden Folgen für die Frauen und ihre Familien, fällt noch ein weiteres Merkmal ins Auge: Bei den meisten der Angeklagten handelte es sich um arme, junge, alleinstehende Frauen mit niedrigem Bildungsniveau. Sie sind überdurchschnittlich oft sexuellen Gewalttaten ausgesetzt und haben kaum juristische Möglichkeiten, sich gegen Anschuldigungen vor Gericht zu verteidigen. Besser gestellten Frauen steht hingegen der Weg offen, eine Abtreibung in einer privaten Klinik oder im Ausland durchführen zu lassen. Von den Behörden wird dies toleriert.

 

Die Einschränkung des Rechts auf Informationsfreiheit verstärkt die Diskriminierung. Statt Frauen den Zugang zu Informationen über Verhütungsmethoden und Abtreibung zu verweigern und die Sexualität der Frau weitestgehend zu tabuisieren, sollten sie in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Entscheidungen über ihren Körper zu treffen.

 

Die restriktiven Abtreibungsgesetze in weiten Teilen Lateinamerikas sind auch Ausdruck des gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Kontextes, in dem sie angewendet werden. Hier ist die Diskriminierung von Frauen und Mädchen tief verwurzelt. Das Gesundheits- und Rechtssystem ist von veralteten Vorstellungen geprägt, nach denen die Frau in erster Linie als Mutter, Ehefrau und Gebärende angesehen wird. Diese geschlechtsspezifischen Stereotypen gehen außerdem mit Gewalt gegenüber Frauen einher und werden durch diskriminierende Gesetze geschützt und gefördert. So lange dies der Fall ist, können Frauen ihr Recht auf Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper nicht wahrnehmen. In den betreffenden Ländern kann es so keine Geschlechtergleichheit geben.

 

Schwangerschaftsabbrüche müssen in bestimmten Fällen erlaubt sein

 

Eine Gesetzgebung, die Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert, führt zu einer Verletzung der Menschenrechte unzähliger Frauen und Mädchen. Sie werden daran gehindert, von ihren Rechten auf Leben, Gesundheit, Nicht-Diskriminierung, Selbstbestimmung über den eigenen Körper sowie Freiheit von Gewalt, Folter und Misshandlung Gebrauch zu machen. Auch das Recht auf Informationsfreiheit wird verletzt, wenn Frauen und Mädchen keinen Zugang zu Aufklärung oder Informationen über Verhütung und Abtreibung bekommen können.

 

Laut einer Reihe von UN-Organen, wie dem Ausschuss gegen Folter oder dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, muss ein Schwangerschaftsabbruch im Einklang mit internationalen Menschenrechtsnormen zumindest in einigen Fällen erlaubt sein. Nämlich dann, wenn das Leben oder die Gesundheit der Frau in Gefahr ist, wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung hervorgeht oder wenn der Fötus starke Missbildungen aufweist oder nicht lebensfähig ist. Das fordert auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die sich in ihrer globalen Kampagne „Mein Körper, meine Rechte“ weltweit für das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper einsetzt.

 

Vorsichtige Schritte in Richtung einer Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen lassen sich mittlerweile in einigen lateinamerikanischen Ländern erkennen. So wird dieses Jahr in der Dominikanischen Republik eine Gesetzesreform in Kraft treten. In drei Fällen werden dann Ausnahmen vom absoluten Abtreibungsverbot möglich sein. Auch in Chile wird zurzeit ein Gesetzentwurf im Kongress diskutiert, der Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Umständen gestatten soll. Trotzdem: bei der Mehrzahl der lateinamerikanischen Gesetzgebungen besteht nach wie vor Änderungsbedarf.

 

Die Gesetze ändern und Frauen befähigen

 

Restriktive Abtreibungsgesetze erfüllen nicht den Zweck, zu dem sie geschaffen wurden: Nämlich Leben zu retten und zu beschützen. Stattdessen dienen sie der Diskriminierung von Frauen und Mädchen, der Manifestation der gesellschaftlichen Kontrolle über den weiblichen Körper und setzen Leben aufs Spiel. Es ist an der Zeit, dass die Abtreibungsgesetze reformiert werden und die positiven Entwicklungen wie in der Dominikanischen Republik oder in Chile auch in anderen lateinamerikanischen Ländern Anklang finden. Nur dann können Frauen ihre Menschenrechte wahrnehmen und gesellschaftlicher Wandel eintreten.

 

Maja Liebing hat Politikwissenschaft an der Universität Hamburg studiert und war dort Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin des Zentrums für Internationale Studien. Seit 2010 ist sie Amerikareferentin der deutschen Amnesty-Sektion in Berlin.

„In El Salvador sind 57 Prozent der Todesfälle von Schwangeren zwischen 10 und 19 Jahren auf einen Suizid zurückzuführen.“

„Bei den meisten der Angeklagten handelte es sich um arme, junge, alleinstehende Frauen mit niedrigem Bildungsniveau.“