Filmrezension 104


Gefangen in kolonialen Strukturen

Bewaldete Hügel, auf einer Lichtung Männer an Kreuze gefesselt, von Qualm umweht und umzingelt von bewaffneten Soldaten. Um dieses Geschehen bewegt sich ein Kamerateam. Die Zuschauer:innen befinden sich auf einem Filmset, das die Kolonialzeit darstellen soll. Verantwort- lich für den Film ist ein spanisches Team, das einen kritischen Geschichtsfilm über die Conquista drehen möchte.

 

In dem Drama Und dann der Regen (También la lluvia) aus dem Jahr 2011 geht die spanische Regisseurin Icíar Bollaín der Thematik des Neokolonialismus näher auf den Grund. Der Film erzählt die Geschichte zweier spanischer Filmemacher, Sebastián und Costa, die einen Film über Christoph Kolum- bus und die Kolonialzeit in Bolivien drehen. Ihr Ziel ist es, die Ankunft der Europäer:innen in Lateinamerika nicht als Entdeckung einer „Neuen Welt“ darzustellen, sondern vielmehr als das, was es wirklich war: eine brutale Eroberung des gesamten Kontinents mit verheerenden Folgen für die indigene Bevölkerung, die unter der Ausbeutung, Sklav:innentreiberei und Gewalt der Neuankömmlinge litt.

 

Mit dem Start der Dreharbeiten werden die Filmemacher umgehend mit den lokalen Konflikten um die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung Boliviens konfrontiert, wobei Icíar Bollaín ihre Szenen auf wahren Ereignissen des Wasserkriegs von Cochabamba aufbaut. Dieser wurde 2000 durch die Privatisierung der Wasserversorgung und die steigenden Wasserpreise ausgelöst. Es fanden massive Proteste statt, die gekennzeichnet waren durch enorme Gewalt und blutige Zusammenstöße zwischen den Demonstrant:innen und der Polizei. Nach monatelangen Auseinandersetzungen nahm die bolivianische Regierung die Privatisierung schließlich zurück.

Auf einer beeindruckende Weise lässt die spanische Regisseurin die Ereignisse des 16. Jahrhunderts mit denen des 20. Jahrhunderts verschmelzen. Aus dem idealistischen Regisseur Sebastián wird im Zuge der Dreharbeiten selbst ein Ausbeuter. Denn während Sebastián mit seinem Film auf Ungerechtigkeit gegenüber der nicht privilegierten Bevölkerung der Kolonialzeiten hinweisen will, stellt der Produzent Costa die Set-Arbeiter:innen und Statist:innen für einen Lohn von zwei Dollar pro Stunde an. Geld ist auch der Grund, warum das spanische Filmteam Bolivien und nicht den tatsächlichen Ankunftsort von Kolumbus als Drehort gewählt hat - schlichtweg weil es billiger ist. So verkörpern die Hauptdarsteller die bis heute bestehenden kolonialen Ausbeutungsverhältnisse und koloniale Strukturen. Auch die drastische Gegenüberstellung von Szenen, in denen die spanische Filmcrew im Hotel bei Champagner und gutem Essen einen erfolgreichen Drehtag feiert, während die überwiegend indigenen Statist:innen von einem Bewässerungskanal verjagt werden, zeigt die Paradoxie der Machtverhältnisse. Einen ebenso bitteren Beigeschmack hat die Begeisterung der spanischen Schauspieler:innen über ihre Rollen als Konquistadoren - während die indigenen Angestellten und Arbeiter:innen ratlos daneben stehen.

Es sind diese Widersprüche, die Und dann der Regen stets thematisiert. Den Zuschauer:innen wird so im Laufe des Filmes immer bewusster, dass koloniale Strukturen und das koloniale Denken auch 500 Jahre nach der Ankunft der Spanier:innen in Lateinamerika und der Karibik weiter fortbestehen. Der Eurozentrismus lebt, und zwar in solch starker Form, dass selbst vermeintlich kritische Filmemacher ganz automatisch in entsprechende Verhaltensmuster fallen, sich selbst als „Retter“ der indigenen Bevölkerung betrachten und sich über diese erheben.

An diesem Punkt lassen sich die erwähnten paradoxen Strukturen des Filmes auch auf die Realität beziehen. Denn verfällt die spanische Regisseurin Icíar Bollaín in ihrem Drehbuch nicht genau denselben kolonialen Denkstrukturen der fiktiven Filmemacher? Die bloße Absicht des Films ist es sicherlich, den Neokolonialismus durch die Handlungen Sebastíans und Costas anzuprangern, aber letztendlich sind es doch wieder die Hauptfiguren, die als Helden aus dem Film hinausgehen – wie man es eben aus heldenhaften Hollywoodfilmen kennt.

 

Eva Camus Buchert