Filmrezension 103


Frauen hinter Gittern

Die radikale Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in El Salvador

Sexuelle und reproduktive Rechte gelten als ein wichtiges Menschenrecht und sind wesentlicher Bestandteil eines selbstbestimmten Lebens. Zu diesen Rechten zählen die freie Ausübung der Sexualität, Fortpflanzung, Zugang zu medizinischen Dienstleistungen, sexuelle Aufklärung und der freiwillige Schwangerschaftsabbruch. Gerade auf dem lateinamerikanischen Kontinent gibt es nach wie vor Länder, in denen diese Rechte nicht garantiert, sondern vielmehr kriminalisiert werden. Betroffen sind in den meisten Fällen Frauen, wobei die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wohl eines der umstrittensten Themen in diesem Bereich ist.

 

Das mittelamerikanische El Salvador gehört zu einem der Länder mit den strengsten Abtreibungsgesetzen der Welt. In dem Dokumentarfilm 'En deuda con todas' aus dem Jahr 2019 wird die radikale Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in El Salvador thematisiert, die zu einer systematischen Verletzung der sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen, die freiwillig oder unfreiwillig abtreiben, geführt hat.

Die Filmemacher*innen Roi Guitián aus Vigo und María Lobo aus Sevilla beleuchten in 60 Minuten die Geschichte über die Kriminalisierung der Abtreibung in El Salvador und skizzieren anhand Portraits zahlreicher salvadorianischen Frauen die Realität, die durch eine Änderung der Verfassung im Jahr 1999 durch den eigenen Staat geschaffen wurde.

Die Geschichte wird von ihren Protagonistinnen getragen, die von beiden Seiten der Gefängnismauern erzählen und die Zusehenden daran erinnern, dass die Entkriminalisierung der Abtreibung auch ein Kampf ums Leben sein kann, sobald das Leben und die Gesundheit der Mutter in Gefahr sind. Mariana, Sonia, Teodora und Alba: sie alle sind ehemalige Gefangene, die in En deuda con todas ihre intimsten Geschichten mit den Zuschauer*innen teilen. Es ist, als würde eine Freundin von ihren größten Traumata berichten, von Angstzuständen, Vergewaltigungen und Ungerechtigkeit. Alle Frauen teilen ein ähnliches Schicksal, alle haben Dinge erlebt, die sie sich vorher nicht in ihren schlimmsten Albträumen hätten vorstellen können. Sie erzählen ihre Geschichten, um auf die Kriminalisierung der Abtreibung in El Salvador aufmerksam und anderen Frauen Mut zu machen. Zwei weitere Protagonistinnen, die aus dem Gefängnis berichten, sind Mitglieder von Las 17, einer Gruppe salvadorianischer Frauen, die es geschafft haben, internationale Aufmerksamkeit auf ihre Fälle zu lenken, in denen sie der induzierten Abtreibung und des schweren Mordes beschuldigt werden.

 

„Es ist schwer, mir einzugestehen, dass ich hier so viele Jahre sein werde und gleichzeitig so viele Jahre dort draußen verpasse“, so Sara, die 26 Jahre alt ist und zu 30 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Jaqueline ist 31 Jahre alt und muss insgesamt 15 Jahre ihres Lebens hinter Gittern leben. Sie gehören zu denjenigen Frauen aus einkommensschwächeren Sektoren, die sich mangels finanzieller Mittel auf der Suche nach medizinischer Versorgung in öffentliche Krankenhäuser begeben müssen, am Ende aber wegen einer eingeleiteten Abtreibung oder gar versuchten Mordes angeklagt werden. Denn Ärzt*innen und medizinisches Personal sind per Gesetz dazu verpflichtet, bei einem Verdacht auf Schwangerschaftsabbruch Anzeige zu erstatten. Tun sie es nicht, droht ihnen eine Strafe von bis zu zwölf Jahren Haft. Die Statements der Protagonist*innen wechseln sich mit Sequenzen aus Interviews mit Expert*innen ab, unter anderem sprechen Anwält*innen, Anführer*innen feministischer Gruppen, Abgeordnete der Legislativversammlung von El Salvador sowie eine Gynäkologin, die persönlich mit der Gesetzeslage in El Salvador konfrontiert wurde. Die Produzent*innen Guitián und Lobo schaffen durch die multiperspektivischen Erzählungen und Kommentare einen differenzierten und vielschichtigen Zugang zu der Thematik. Der Film zeichnet sich durch die unmittelbare und authentische Darstellung der Protagonist*innen und damit auch der Realität vieler salvadorianischen Frauen aus. Gefühle von Frustration, Trauer und Wut begleiten die Zuschauer*innen und doch ist es eine sehr empfehlenswerte Dokumentation, die zum Nachdenken anregt, wichtig für die allgemeine politische Bildung ist und das Thema geschlechtsspezifischer Gewalt in Lateinamerika auf bemerkenswerte Weise anspricht.

 

Eva Camus Buchert