Elektronischer flamencopunk

Interview mit ojos de brujo

von Thorsten Eßer

Ojos de Brujo starten durch, nicht nur musikalisch, auch in Sachen Erfolg. Obwohl ihr neues Album „Techarí“ in Europa, Japan und den USA auf den Markt kommt, versucht die Gruppe ihre Ablehnung des herrschenden Wirtschaftssystems und der Global Player im Musikgeschäft durchzuhalten. Torsten Eßer hat für Matices in Barcelona DJ Panko und den Percussionisten Xavi Turull interviewt.

 

In Artikeln über Euch heißt es oft „die katalanische Gruppe“. Sprachlich weist nichts darauf hin, gibt es da musikalische Verbindungen?

 

Xavi: Aber ja, wir spielen doch auch die rumba flamenca, und die ist in Katalonien geboren. Die sardana nutzen wir nicht, denn die hat ja keinen Swing (lacht). Und da Marina, unsere Sängerin, kein Katalanisch spricht, haben wir keine Texte in dieser Sprache. Aber wir leben alle hier und darum ist die Bezeichnung schon okay.

 

Kurz eine politische Frage: Was hältst Du vom Gezerre um das neue Autonomiestatut für Katalonien?

 

Xavi: Diese Diskussion ist völlig verblödet und unehrlich. Denn worum es wirklich geht, sind wie immer ökonomische Interessen. Das interessiert uns nicht. Wir sind gegen Grenzen aller Art, verteidigen aber trotzdem immer die Rechte der Minderheiten, hier wie im Baskenland oder sonstwo.

 

Das neue Album wird von einer CD-ROM und in einer „Luxusedition“ auch noch von einem Buch begleitet, an denen viele Künstler mitgearbeitet haben. Seid ihr eher ein Künstlerkollektiv denn eine Musikgruppe?

 

Panko: Nun, wir machen nur die Musik, aber haben das Glück, dass es viele Leute um uns herum gibt, die künstlerisch tätig sind. Mit denen arbeiten wir gerne zusammen, zum Beispiel bei der Gestaltung des Buches oder – mit Video- und Performancekünstlern – bei der Bühnenshow.

Xavi: Außerdem kommt Marina vom Theater, genau wie Max, unser zweiter Percussionist.

 

Beim ersten Hören von „Techarí“, dachte ich, dass die CD mehr in Richtung Flamenco geht, als „Barí“?

 

Panko: Vordergründig mag das stimmen, aber man muss genau hinhören. Wir haben jetzt einen zweiten Flamencogitarristen dabei, Paco Lomeña aus Malaga. Und somit klingt die Basis der Titel viel stärker nach Flamenco. Aber von dort aus haben wir Instrumente und Rhythmen benutzt, die wohl niemals zuvor so mit Flamenco gemischt worden sind: Bangra und seguidilla mit Elektronik oder mit Reggae und Hiphop, und sogar Trashmetal gemischt mit rumba flamenca. „Color“ ist superfunky, obwohl es auf bulerias basiert. Insgesamt scratche ich weniger, dafür gibt es mehr elektronische Unterlagen.

 

Entstehen eure Ideen spontan im Studio oder geht ihr schon mit fertigen Ideen dorthin?

 

Xavi: Dass wir für Drum ‚n’ Bass-Rhythmen anstatt einem Drumkit echte Instrumente benutzt haben, also Cajon, Tabla usw., das haben wir eines Tages bei Max gesehen und dachten, unglaublich, was macht der da, das muss auf die Platte. Wir suchen nicht systematisch nach bestimmten Formeln, die funktionieren. Jeder Titel wächst auf andere Weise: entweder aus einer harmonischen Struktur heraus, oder aus einer Melodie, andere nehmen ihren Lauf ausgehend von einem Rhythmus. Die Entstehung eines jeden Themas ist eine neue Reise, auch weil wir immer im Kollektiv arbeiten und es keinen “musikalischen Direktor” gibt, der uns sagt wo es langgeht. Es beginnt bei demjenigen, der die Idee hatte, und läuft dann durch viele Hände bzw. Köpfe.

Panko: Fast jeder von uns hat außerdem ein kleines Studio im Laptop und kann damit rumspielen, Ideen weitermailen – so arbeiten immer viele gleichzeitig an einem Stück. Darum sind alle am Ende auch sehr zufrieden mit den Ergebnissen.

 

„Piedras vs. tanques“ beginnt sehr trashig...

 

Panko: Ich hatte im Fernsehen einen Bericht über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gesehen, der mich sehr getroffen hat, vor allem das Schicksal der Palästinenser. Ich ging in mein Studio und habe eine agressive elektronische Grundlage gebastelt, und sie an Marina weitergereicht. Sie hat dann ziemlich schnell einen Text dazu geschrieben. Und als das fertig war, kamen diese Percussion- Monster an und haben meine Idee auf Links gedreht: eine rumba, einen estribillo und einen Chor hinzugefügt, aber mich überraschte das Ergebnis, es klingt wie Metal.

Xavi: Ramón, Javi und Sergio kommen ja aus der Heavy Metal-Ecke...

Panko: Und Marina und ich aus der Punkszene. Es lag schon immer in der Luft, Flamenco mit Punk oder Hardrock zu mischen.

Xavi: Dieses Terrain möchten wir noch weiter ausloten, darüber herrscht Einigkeit, denn diese Art von Musik hat eine solche Power, das macht einfach Laune, vor allem auf der Bühne.

 

Bezieht sich „Corre Lola Corre“ auf den deutschen Film?

 

Xavi: Nein, das ist Zufall. Marina, die den Titel erfunden hat, kannte ihn nicht. Und unsere Musik ist ja auch ruhig, wohl im Gegensatz zum Film, den ich nicht gesehen habe. Panko: Es ist Reggae gemischt mit Flamenco, ein trauriges Stück, fast schon ein Blues. Es handelt von einer Frau, die sich – wie so viele – im Leben verliert, auf der Straße landet, Drogen nimmt etc. Ein Lied für all diese Verlierer der Gesellschaft.

 

Euer Gitarrist Ramón hat in einem Interview das Marketing als „Krebsgeschwür“ der Musikindustrie bezeichnet. Seid Ihr nicht spätestens jetzt Teil der Marketingmaschinerie?

 

Xavi: Ich denke, das Schlimmste ist das ökonomische System in dem wir leben und Marketing ist natürlich ein Teil davon. Aber es ist natürlich notwendig, wenn Du die Leute erreichen willst. Unter Umständen muss man sogar die Kanäle der multinationalen Konzerne benutzen, die wir ablehnen, weil sie für soviel Elend in der Welt verantwortlich sind. Es ist wie Krebs, wenn dich das System beherrscht. Wenn Du dich allerdings nicht benutzen läßt, sondern das System benutzt, dann ist es okay. Wir haben deswegen keine Verträge mit Sponsoren und auch unser eigenes Label.

 

Ist Fusion der einzige Weg, Flamenco auch für die Jugend wieder interessant zu machen?

 

Xavi: Wir machen das nicht nur, um die Jugend zu interessieren, sondern weil wir unsere Musik so spielen wollen. Wenn es auch noch hilft, den Flamenco besser zu verstehen, bin ich doppelt zufrieden.

Panko: Wenn die Jugendlichen dann auch noch unsere Aussagen verstehen, haben wir unser Ziel schon erreicht. Wenn nur einer durch unsere Musik das Leben in dieser chaotischen Welt besser erträgt, ist alles erreicht.