„Som una TLD“

Katalanen erlangen virtuelle Unabhängigkeit

von Torsten Eßer

Tausende Menschen haben in Barcelona für die Anerkennung Kataloniens als Nation demonstriert. Im virtuellen Raum sind die Katalanen mit ihrer neuen TLD schon einen entscheidenden Schritt weiter...

 

Unzählige Flaggen mit den Symbolen Kataloniens überschwemmten am 18. Februar das Zentrum von Barcelona. Unter dem Motto „Som una nació“ (Wir sind eine Nation) zogen nach Angaben des katalanischen Innenministeriums rund 125.000 Demonstranten - die Veranstalter sprachen von einer Million - durch die Stadt. Sie kritisierten den Entwurf des neuen Autonomiestatuts und forderten die Anerkennung Kataloniens als „Nation“. An der Spitze des Zuges: Josep Lluís Carod, Chef der Esquerra Republicana (ERC), die als einzige Partei diese Manifestation unterstützte. Am Wochenende zuvor hatten etwa 3.000 Menschen bei einer Demonstration, organisiert von der „Campaña Unitaria por la Autodeterminación“, sogar die Unabhängigkeit von Spanien gefordert.

 

Seit geraumer Zeit verhandelt die katalanische Regionalregierung mit den seit 2004 in Madrid regierenden Sozialisten (PSOE) unter José Luis Rodríguez Zapatero über ein neues Autonomiestatut. Denn in der spanischen Verfassung ist die Aufgabenverteilung zwischen Zentralregierung und Autonomen Gemeinschaften nicht abschließend geregelt, weswegen seit ihrer Verabschiedung im Jahre 1978 immer wieder über Kompetenzverschiebungen in Richtung der Regionen debattiert wird. Nun hatten die in Barcelona seit 2003 regierenden katalanischen Sozialisten (PSC) unter Pasqual Maragall nach zähen Verhandlungen mit ihren Koalitionspartnern einen Text an Ministerpräsident Zapatero übermittelt, den die Experten der Zentralregierung modifizierten und zur Abstimmung zurück schickten, da stellte sich die republikanisch, linke ERC erneut quer. Hauptgrund: Sie will die Anerkennung der Katalanen als „Nation“ im 1. Artikel des Statuts und nicht nur in der Präambel festgeschrieben sehen. Das jedoch würde gegen die spanische Verfassung verstoßen, die in ihrem 2. Artikel nur Spanien als „Nation“ definiert, die Katalanen hingegen als Nationalität. Die Präsidentin des Verfassungstribunals, María Emilia Casas, hat schon angekündigt, die Einheit Spaniens nicht durch andere Formulierungen gefährden zu wollen.

 

Verkompliziert wird alles durch die Konstellation der Regierungsparteien in Madrid und Barcelona: Zapatero besitzt keine absolute Mehrheit und ist bei Abstimmungen im spanischen Parlament auf die Stimmen nationalistischer Abgeordneter aus dem Baskenland und aus Katalonien angewiesen. Sein wichtigster Mehrheitsbeschaffer ist dabei momentan die ERC, die Katalonien gern von Spanien abspalten würde. Da aber auch sie weiß, dass es dafür zurzeit in Katalonien keine Mehrheit gibt, nahm sie an den Statut-Verhandlungen teil. Die in Barcelona regierende PSC ist ebenfalls auf die Stimmen ihres Koalitionspartners ERC sowie auf diejenigen der „Grünen Initiative für Katalonien/ Vereinigte Linke“ (ICV) angewiesen. Im katalanischen Parlament werden zusätzlich die Stimmen der größten Oppositionspartei, der konservativ-nationalistischen CiU gebraucht, die deswegen mit am Verhandlungstisch sitzt.

 

Hauptstreitpunkt - und nüchtern betrachtet wahrscheinlich wichtiger als die Anerkennung der Katalanen als Nation - waren die Transferzahlungen für ärmere Regionen sowie die Verteilung der Steuergelder. José María Aznar vom konservativen Partido Popular (PP) hatte, in seiner Regierungszeit (1996-2004), als er selbst auf die Unterstützung katalanischer und baskischer Nationalisten angewiesen war, den Anteil der Regionen am Aufkommen der Mehrwert- und Einkommenssteuer von 15 auf 30 Prozent erhöht. Zapatero will nun auf 50 Prozent aufstocken und hat außerdem versprochen, die staatlichen Investitionen in Katalonien entsprechend dessen Anteil am spanischen Inlandsprodukt zu bemessen.

 

Vor allem die ERC ist noch nicht zufrieden. Sie möchte die absolute Steuerhoheit sowie die Amtsgewalt über Häfen, Flughäfen und Paradores (nationale Luxushotels) für die Region sowie eigene katalanische Sport-Teams. Denn das Problem geht in Katalonien weit über den international bekannten Sprachenstreit hinaus: Dahinter stehen handfeste wirtschaftliche Interessen: Katalonien ist eine der reichsten Regionen Spaniens. Plakativ ausgedrückt: Die Sprachgrenze ist mehr oder weniger auch eine Wohlfahrtsgrenze! „Die größte Gefahr droht dem Nationalstaat von der Nation“, schrieb 1994 Ralf Dahrendorf, „denn die Homogenisierung, die hinter diesem Konzept steckt, läßt sich in Bezug auf einen multiethnischen Staat nur durch Teilung bewerkstelligen.“ Das befürchtet auch die in beiden Regierungen oppositionelle PP und sieht es mit Spanien zu Ende gehen. Sie schießt aus allen Rohren gegen das Statut, droht mit Volksabstimmung und hat es zumindest geschafft, dass die Katalanen in Spanien unbeliebter sind denn je. Allerdings die PP in Katalonien auch. Dabei ist der Nationalismus seitens der Zentralregierung bzw. Spaniens häufig viel stärker als derjenige der Regionen, versteckt sich dann aber hinter „normalem“ Regierungshandeln (wenn zum Beispiel Infrastrukturprojekte in Regionen vorgezogen werden, in denen sie offensichtlich weniger Sinn machen usw.).

 

.CATz und Maus: Die Strategie zur Erlangung der TLD

 

Aus dem virtuellen Raum heraus betrachtet ist der Streit um den Begriff „Nation“ Schnee von gestern: Hier sind die Katalanen schon einen Schritt weiter, denn seit dem 20. Februar ist die TLD .cat zunächst in drei Phasen für Institutionen und ab dem 23. April für jeden bei der Fundació puntCAT bzw. acht Registratoren erhältlich. Der Einführung der ersten, eine regionale Sprache und Kultur repräsentierende TLD im September 2005 durch ICANN, liegt eine geniale Strategie zugrunde, die einem einzigen Mann zu verdanken ist: Amadeu Abril i Abril. Er fühlte sich 1996 von einem Vorschlag Jon Postels inspiriert, der die Erweiterung des Domainnamensystems vorsah. Die Katalanen entschieden sich für den Countrycode .ct und reichten den Vorschlag bei der „International Organization for Standardization“ ein. Er wurde abgelehnt, da Katalonien keine eigene staatliche Einheit sei. 1999 wird Abril i Abril Mitglied des Direktoriums von ICANN und lernt die Arbeits- und Denkweise der Institution und ihrer Mitglieder kennen. Er nutzt sein Wissen und trifft zwei wichtige strategische Entscheidungen:

 

a) der neue Antrag der Katalanen wird erst im Jahre 2003 gestellt, um den Prozess der ersten Genehmigungsrunde für TLDs im Jahre 2000 (.info usw.) besser analysieren zu können und um selbst nicht mehr Mitglied des Direktoriums zu sein. b) Es wird nicht mehr die Domain .ct beantragt, sondern .cat. Dieser Schritt war besonders genial, handelte es sich doch nun nicht mehr um einen Countrycode, sondern um das internationale ISO-Standardkürzel für die katalanische Sprache. Abril i Abril nannte diese Strategie „den Wechsel vom Pass zum Lexikon“. Somit war der politische Hintergrund entschärft und der Antrag bezog sich auf kulturelle und sprachliche Aspekte. Untermauert wurde dies durch die Gründung der Fundació puntCAT, der über 90 Institutionen weltweit angehörten, die in verschiedener Weise die katalanische Kultur fördern.

 

Außerdem war es nun möglich nicht nur die spanische Region Katalonien unter dieser Domain zu führen, sondern – dem katalanischen Konzept der sprachlichen Gemeinschaft folgend – die so genannten Katalanischen Länder, also Andorra, das Roussillon in Frankreich, Katalonien, die Region Valencia, die Balearen sowie die sardische Stadt Alghero. Eine eigene TLD steigert das Prestige der katalanischen Sprache und Kultur nach außen sowie das Selbstwertgefühl der Katalanen. Sie ist die konsequente Fortführung der Rückeroberung des medialen Raumes für das Katalanische, seit dem Verbot durch das franquistische Regime im Jahre 1939: Zuerst erschienen einige literarische Werke in Katalanisch, dann Liedtexte, schließlich Zeitschriften, Zeitungen, Radio und Fernsehen und nun das Internet. „Sie bringt Dich in die Top- Liga“, beschreibt Abril i Abril die Bedeutung der TLD .cat, „und das alles, ohne eine Grenze gewaltsam zu verschieben.“

 

Immerhin hat das Katalanische – eine der vier offiziellen Sprachen Spaniens und Nationalsprache in Andorra - mehr Sprecher als Dänisch, Schwedisch oder Norwegisch. Allein, es fehlt aus historischen Gründen der Staat, um die gleiche internationale Anerkennung zu erlangen.

 

Weswegen auch schon mal auf Maßnahmen zurückgegriffen wird, die borniert erscheinen. Oft hat eine kleinere Sprachgemeinschaft allerdings keine andere Wahl. Zumindest im virtuellen Raum ist die Sprache jetzt gleichgezogen. Im März 2004 beantragte die Fundació eine gesponsorte TLD (sTLD) bei ICANN. Der Antrag erfüllte die weit gesteckten Kriterien für sTLDs und wurde auch von der neuen sozialistischen Regierung in Madrid unterstützt. Nachdem Abril i Abril auch noch die letzten Bedenken des ICANN-Direktoriums zerstreut hatte - (Frage: Was passiert, wenn alle rund 6.500 kleinen Sprachen eine TLD beantragen?/ Antwort: Stellen Sie vernünftige Grenzen für Minderheitensprachen auf, dann bleiben nur noch wenige Kandidaten übrig, vielleicht 15!) genehmigte es im September 2005 die neue TLD. Regierungschef Maragall ist schon mit gutem Beispiel vorangegangen und hat seine URL „nationalisiert“.

 

.cat: Katalanischer Nationalismus im Internet?

 

Die Genehmigung der TLD .cat wirft im Zusammenhang mit der Unabhängigkeitsdebatte in Katalonien, aber auch in Hinblick auf Europa und die Übersichtlichkeit im virtuellen Raum Fragen auf:

 

Handelt es sich bei der TLD .cat um einen nationalistisch motivierten Schritt in Richtung Unabhängigkeit von Spanien oder um die „Selbstverteidigung“ einer Minderheitensprache und -kultur?

 

Zumindest vordergründig wurde das nationalistisch-regionale Element mit dem Wechsel der TLD von .ct zu .cat minimiert. Noch findet sich für die Unabhängigkeit auch in Katalonien keine Mehrheit. Die Vergabepolitik wird weitestgehend darüber entscheiden, ob die Ausrichtung der Inhalte eher kultureller oder separatistischer Natur sein wird. Zur Verteidigung einer sprachlichen Minderheit ist sie sicherlich gedacht: Die Katalanischen Länder haben nun eine gemeinsame Plattform zur globalen Selbstdarstellung und können auch besser untereinander kommunizieren, auch wenn die speziellen Buchstaben des Katalanischen (noch) nicht vom Domain Name System zugelassen werden. Das stärkt das sprachliche Selbstbewusstsein auch wenn es zweifelhaft bleibt, ob sich Katalanisch auf Dauer gegen Kastilisch und Französisch behaupten kann.

 

Repräsentiert .cat die gesamte katalanische Kultur?

 

Gedacht ist es so und zumindest die Region Valencia ist mit einem Direktor in der Fundació puntCAT vertreten. Da sich auch die Regierung von Andorra und die Region der Balearen für die TLD stark gemacht haben, kann man auch dort von Interesse ausgehen. Ob der französische Teil eine ähnliche Begeisterung aufbringen wird, muss sich zeigen.

 

Wird die katalanische Kultur durch .cat eine Aufschwung erfahren?

 

Fakt ist, dass Kleinsprachen und Regionaldialekte innerhalb der EU im Internet überproportional vertreten sind, da es dort einfacher ist zu Publizieren als in Printmedien. Das neue Medium wird für die kulturelle Erneuerung von Minderheiten herangezogen und bietet Menschen Gelegenheit, ihre Besonderheiten zu pflegen, entgegen dem Mythos, dass sie im virtuellen Raum ihre (kulturelle) Identität aufgeben. Nicht unerheblich wird auch das wirtschaftliche Interesse an der TLD sein, denn schließlich lassen sich bestimmte kulturelle Güter so besser verkaufen.

 

Kann nun jede Region weltweit eine eigene sTLD beantragen?

 

Wahrscheinlich nicht, da .cat sich – offiziell - auf Sprache und Kultur bezieht und nicht auf die Region Katalonien. Für weitere Minderheitensprachen besteht diese Möglichkeit, wenn sie die von ICANN gesetzten Kriterien erfüllen.

 

Wie wird der Missbrauch verhindert?

 

Zunächst über eine starke Kontrolle bei der Vergabe. Auf Dauer aber werden sich URLs wie pussy.cat für Pornoanbieter oder sheeba.cat für Katzenfutter wohl nicht verhindern lassen.

 

Steht der katalanische „Nationalismus“ im Widerspruch zu Europa?

 

Spanien und somit auch Katalonien haben enorm vom Beitritt zur EU 1986 profitiert, vor allem finanziell. Die Katalanen haben sich darüber hinaus den „Ausschuss der Regionen“ und andere EU-Institutionen zunutze gemacht, um das ein oder andere Mal nationale Politikentscheidungen zu umgehen. Insofern stehen sie der EU durchaus positiv gegenüber. Allerdings fühlen sie sich dort immer noch nicht ausreichend repräsentiert und manch ein radikaler Nationalist glaubt, nur als Staat unmittelbar an den Entscheidungsprozessen in der EU teilnehmen zu können. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass Katalonien erst einmal die Aufnahme beantragen und solange ohne Gelder aus Brüssel auskommen müsste. Des weiteren müssten konsequenterweise neue Grenzen errichtet und eine eigene, kostspielige Außenpolitik – Botschaften, UNSitz etc. – betrieben werden. Der Philosoph C. Ulises Moulines spricht von einem positiven und einem negativen Nationalismus und ordnet den katalanischen Ersterem zu. Er vergisst nur, dass die Menschen gerne und allzu leicht Letzterem erliegen, der seinen Nachbarn feindlich gesinnt ist.

 

Hat die EU eine Zukunft, wenn sie (nur) aus Einheiten von der Größe heutiger Länder, Regionen oder Grafschaften bestünde?

 

Diese Regionalismus-Debatte füllt ganze Wissenschaftszentren und soll nur kurz angerissen werden. Zunächst: Warum sollten homogene Staaten wie Frankreich oder Spanien sich selbst durch eine interne regionale Aufteilung schwächen? Geht doch der Regionalisierungsdrang meistens nur von einigen Regionen aus, die sich nicht direkt vom nationalstaatlichen Niveau in der EU vertreten fühlen. Auch ist nicht klar, ob ein solches Europa diesen Regionen Vorteile bieten würde. Zwar wird unter dem Eindruck der so genannten Globalisierung das Streben nach kultureller Eigenart immer wichtiger für die Menschen, und das kann „ihre“ Region besser repräsentieren als ein Nationalstaat. Und es dürfte auch stimmen, dass eine kleinere Gemeinschaft übersichtlicher ist. Aber sie kann den Menschen auch die Augen verschließen vor Problemen, die die regionale Ebene überspringen und sie auch machtlos werden lassen gegenüber global operierenden Unternehmen und Banken, die sich mitnichten um solche kulturellen Unterschiede scheren. Auch bestünde die Gefahr, dass sich die Entscheidungsebene einfach nur auf EU-Niveau verlagern würde. Die EU als Superstaat, der die Regionalkulturen und -sprachen ausmerzt? Darum kann man sich durchaus mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte fragen, wieviel Verschiedenartigkeit die EU verträgt, um überhaupt Ansätze eines kollektiven Bewusstseins als Europäer erkennen zu lassen? Wenn Europa „dem Aufmarsch ethnischer Mikronationalismen zum Opfer fällt, dann „ist das wohl ein Signal, dass Menschen tatsächlich nicht in einer supranationalen multikulturellen Demokratie zusammenleben können“, so der flämische Politiker Ludo Dierickx.

 

Weitere Informationen

http://firstmonday.org/issues/issue11_1/gerrand/ index.html

http://nic.cat/com_registrar.html

http://www.presidentmaragall.cat/