Der Malecón

Havannas Küste ist felsig und der offenen See ausgesetzt

von Rainer Stark

Die Fassaden der einstmals luxuriösen Uferpromenade sind vom Salzwasser und Verfall gezeichnet. Und doch ist der lang geschwungene Malecón einer der beliebtesten Orte der Stadt. Ob man nun flaniert, auf der Mauer sitzt, das Meer betrachtet oder als Straßenmusiker einer Gruppe Touristen für einen Dollar ?Comandante Che Guevara? vorspielt, hier treffen sich alle. Der Malecón ist über sieben Kilometer lang, er beginnt im Hafen, am Altstadtkern La Habana Vieja, verbindet von Ost nach West die großen Stadtteile Centro Habana, EI Vedado, Miramar und endet an der Mündung des Río Almendares.

 

Außerhalb der Stadtmauern Havannas wurden die Küste und das Hinterland aus Verteidigungs gründen von Bebauung freigehalten. Besonders der karg bewachsene, felsige Küstenstreifen galt als natürlicher Schutzwall gegen mögliche Invasoren und wurde mit Wehrtürmen und Kasernen gesichert. Verbunden waren diese militärischen Anlagen mit einem befestigten Weg zwischen La Punta an der Hafeneinfahrt und dem Torreón de San Lázaro, einem kleinen Wehrturm bei der gleichnamigen Bucht direkt an der Küste. Während des 18. Jahrhunderts wurde es Mode, der stickigen Altstadt zu entfliehen und außerhalb der Stadtmauern, am Meer, zu flanieren. Im Zuge der großen Stadterweiterung nach 1850 begann man auch entlang der Küste zu bauen. Parallel zum Ufer entstand die Calzada del Norte, oder auch die San Lázaro. Diese Straße war nie als Uferpromenade geplant, sondern wurde zu beiden Seiten bebaut. Noch immer musste aus fortifikatorischen Erwägungen ein 45 Meter breiter Küstenstreifen freigehalten werden. So kam es, daß Havanna sich zum Meer hin mit seinem Hinterhof präsentierte. Beliebt war die Küste dennoch. In die Felsen des Ufers wurden Becken gehauen und darüber eine Vielzahl hölzerner Badehäuser errichtet.

 

Den ersten Entwurf für eine Uferpromenade, den zukünftigen Malecón, machte 1860 der Militäringenieur Francisco de Albear. Sein Entwurf einer über sieben Kilometer langen, öffentlichen Uferstraße sollte zugleich militärischen Ansprüchen als moderne Verteidigungslinie genügen.

 

Die Umsetzung scheiterte an den exorbitanten Kosten. Als die Kubaner nach 30-jährigem Aufstand gegen die spanische Kolonialmacht 1898 ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, folgte die Besatzung durch die Armee der Vereinigten Staaten. Zu diesem Zeitpunkt war bereits mit den ersten Auffüllarbeiten für die Uferstraße begonnen worden. Die amerikanische Regierung trieb das Projekt weiter voran, und so entstand zwischen 1901 und 1902 das erste Teilstück, vom Paseo del Prado bis zur Crespo Straße in Centro Habana, das 1919 bis zum heutigen Parque Maceo verlängert wurde. Diesen ersten Abschnitt entwarfen die nordamerikanischen Ingenieure Mead und Whitney.

 

Ursprünglich war der Malecón als baumbestandene Promenade geplant. Die heftigen Stürme und häufigen Überschwemmungen machten dies jedoch unmöglich. An diesem ersten Abschnitt, dem so genannten historischen Malecón, wurden einige ausgesprochen repräsentative Bauten der republikanischen Ära errichtet. Vor allem Clubhäuser, Restaurants, Ladenlokale und Hotels. Die einzelnen Gebäude sind sehr unterschiedlich in Stil und Geschossigkeit, verbindendes Element ist eine fünf Meter hohe, durchlaufende Arkade. 1921 wurde der Malecón jenseits des Parque Maceo bis zur 23. Straße verlängert. An dieser Stelle wird die Küste von einem gewaltigen Felsen überragt, auf dem später das Hotel Nacional errichtet wurde. Zur gleichen Zeit gingen die Planungen am anderen Ende des Malecóns weiter. Der autokratische Präsident Machado war ein großer Anhänger des Pariser Gartenbaumeisters und Städteplaners Jean-Claude Nicolas Forestier. Dieser wurde unter anderem mit der Gestaltung der Avenida del Puerto betraut, die den Malecón in den Hafen hinein verlängerte und so direkt an die Altstadt anschloss. Forestier plante den Malecón auch in die entgegengesetzte Richtung nach Westen weiter bis hin zum Río Almendares. Die Umsetzung seiner Pläne dauerte jedoch bis in die späten fünfziger Jahre.

 

Durch die Anbindung des Hafens wandelte sich der Malecón von einer Uferpromenade zur wichtigsten Verkehrsader, die den Hafen mit dem Rest der Stadt verband. Verstärkt wurde diese Funktion durch den Bau des Hafentunnels 1958, der gleichzeitig auch das Stadtzentrum an die Strände im Osten und an die zentrale Autobahn Kubas anband. In den frühen neunziger Jahren wurde es am Malecón wieder ruhiger, als nach dem Zerfall der Sowjetunion keine Öllieferungen mehr eintrafen und landesweit das Benzin knapp wurde. Seit sich 1994 Kuba in großem Stil dem Tourismus geöffnet hat und sich vorsichtig in Marktwirtschaft übt, füllt sich die Küstenstraße wieder. Das hohe Verkehrsaufkommen wird zu einem ernsten Problem.

 

Es gibt unzählige Studien und Pläne über den Malecón. 1994 gründete der Stadthistoriker von Havanna mit finanzieller Beteiligung Spaniens ein Büro mit der ausschließlichen Aufgabe, den Malecón zu erhalten und zu sanieren: Die Häuser werden notdürftig abgestützt und dann später eher schlecht als recht renoviert. Oft dauert es jedoch so lange, dass auch die stärksten Bandagen den Einsturz nicht mehr verhindern können.

 

Bezeichnend ist das Fazit der Direktorin der Oficina del Malecón auf einer Konferenz im Dezember 2003: ?Wir haben es nach zehn Jahren Arbeit geschafft, dass heute pro Jahr weniger Gebäude einstürzen als vor der Gründung unseres Büros.? Gerechterweise sei erwähnt, dass ihr Büro mit extrem knappen Mitteln haushalten muss. Da der kubanische Staat nicht für die Renovierungsarbeiten aufkommen kann oder will, ist man auf ausländisches Kapital angewiesen. Das auf Bestandserhaltung fixierte Konzept für die Entwicklung des historischen Malecón ist jedoch schwer zu vermarkten. Es existiert ein hoher sozialer Anspruch, und die Investitionsbedingungen sind ausgesprochen unattraktiv. Die Verkehrsproblematik wird nicht ausreichend im städtischen Kontext behandelt. Das Verkehrsaufkommen wird weiter steigen, solange die Uferstraße die einzige gut ausgebaute Ost-Westverbindung bleibt.