Multi-Kulti im Paradies?

Regenbogengesellschaft in Trinidad und Tobago

von Michaela Roemkens

Die karibischen Inseln sind bekannt für ihr buntes Völkergemisch. Kulturen und Religionen aus der ganzen Welt fließen hier zusammen, allen voran jene aus Afrika, Europa und Amerika. Und auch die asiatischen Länder sind mit den in den letzten zwei Jahrhunderten eingewanderten Vertragsarbeitern aus Indien sowie Kaufleuten aus China und dem Nahen Osten zahlreich vertreten. Eine harmonische Vermischung dieser Kulturen ist vielerorts jedoch nicht entstanden. So hat auch die viel gerühmte "Regenbogengesellschaft" des Antillen Staates Trinidad und Tobago durchaus Probleme mit ihrer Farbpalette...

 

Die beiden kleinen Inseln vor der venezolanischen Küste, die seit 1976 eine präsidiale Republik sind, haben wie alle Karibikinseln eine bewegte Geschichte von Kolonialismus, Sklaverei und Plantagenwirtschaft hinter sich. Ob Niederländer, Spanier, Franzosen oder andauernder die Briten – schon so manche Flagge wurde gehisst. Spätestens seit Erlangung der Unabhängigkeit von den Briten im Jahre 1962 hat die frühere weiße Elite aber ihre Vormachtstellung verloren. Heutzutage dominieren jene ethnische Gruppen, die einst auf die Inseln geholt wurden, um dort die schwere Plantagenarbeit zu verrichten. Im 17. und 18. Jahrhundert waren dies schwarze Sklaven aus Afrika. Nach der Abschaffung der Sklaverei warb man dann Einwanderer aus aller Welt an, um den entstandenen Arbeitskräftemangel zu beheben.

 

Als größte Immigrantengruppe kamen zwischen 1844 und 1917 rund 150.000 indische Kontraktarbeiter auf die Zuckerrohrplantagen Trinidads. Sie sollten ursprünglich 10 Jahre bleiben und danach in ihre Heimat zurückkehren. Um die immensen Rücktransportkosten einzusparen, änderte die Kolonialverwaltung jedoch diesen Plan und bot denen, die bleiben wollten, Kronland zur Bewirtschaftung an. So ließen sich viele Inder auf Trinidad nieder und einige davon holten sogar noch weitere Angehörige in ihre neue Heimat nach. Damit war der Grundstein für die multikulturelle Gesellschaft, wie sie sich heute präsentiert, gelegt.

 

Afrikaner und Inder in Trinidad gleich stark vertreten

 

Heutzutage lebt auf der Inselgemeinschaft ein buntes Völkergemisch, wie es für die Region nicht untypisch ist. Denn auf fast allen karibischen Inseln findet man neben einer Bevölkerungsmehrheit von afrikanischstämmigen Schwarzen und Mulatten kleinere, aber oft einflussreiche Minderheiten asiatischer und europäischer Herkunft. Die 1,2 Millionen Einwohner Trinidads nehmen jedoch insofern eine Sonderstellung ein, als dass hier afrikanische und indische Nachfahren nahezu gleich stark vertreten sind. Beide Ethnien stellen mit jeweils ca. 40 % beinahe die Hälfte der Bevölkerung. Weitere Einheimische sind europäischen und chinesischen Ursprungs oder stammen aus dem Mittleren Osten.

 

Untereinander vermischt hat sich nur ein geringer Teil dieser Gruppen, hauptsächlich sind diese Verbindungen afrikanisch-europäisch.

Die Ethnienvielfalt spiegelt sich auch in den Religionen wieder: mehr als 30% der Trinidader sind aufgrund des langen spanischen und französischen Einflusses katholisch, 10% sind anglikanischen Glaubens und neben 25% Hindus finden sich auch annähernd 7% Muslime. Im benachbarten Tobago geht es derweilen wesentlich einheitlicher zu: die nur 50.000 Einwohner starke Schwesterinsel ist überwiegend schwarzafrikanisch und christlich.

 

Gerade Trinidad weist daher eine wahrhaft kosmopolitische Gesellschaft auf, eine „Regenbogengesellschaft“, die in vielen Farben schimmert. Überall auf den Strassen der Insel finden sich kulturelle Hinterlassenschaften der einstigen Herkunftsländer, denn die einzelnen Bevölkerungsgruppen pflegen ihre Traditionen größtenteils auch heute noch: Neben Englisch wird Hindi und Spanisch gesprochen, man tanzt zu Calypso und Reggae ebenso wie zu indischer Musik und die einheimische Küche bietet von jedem etwas. Während einige Bräuche mit der Zeit verschmolzen sind, blieben andere in ihrer Ursprungsform erhalten. Wiederum andere wie etwa das hinduistische Kastensystem relativierten sich. Das akzeptierte Zusammenleben der Religionen und Kulturen zeigt sich auch an den öffentlichen Feiertagen: das indische Lichterfest und das Ramadan-Ende werden ebenso gefeiert wie Ostern und Weihnachten.

 

Ein friedliches Nebeneinander, aber kein Miteinander

 

Dieses weitgehend friedliche Nebeneinander verführt leicht zu der Annahme, aus dieser multikulturellen Gesellschaft sei eine harmonische Melange entstanden. Doch gibt es ein Problem, das die Trinidader immer noch nicht bewältigt haben: die Suche nach einer gemeinsamen nationalen Identität. Grund dafür ist vor allem die kritische Distanz, mit der sich die beiden größten Bevölkerungsgruppen seit jeher betrachten.

 

Die meisten Inder kamen zu einer Zeit auf die Insel, als sich langsam eine schwarze Mittelschicht zu formieren begann. Viele ehemalige Sklaven waren in die Städte gegangen, wo sie als Handwerker oder Händler tätig wurden, andere versuchten sich in der Bewirtschaftung eigener Felder.

 

Die als unfrei geltenden indischen Vertragsarbeiter standen so zunächst auf der untersten Stufe der Bevölkerungspyramide. Auch setzten sie sich von der afrikanischstämmigen Bevölkerung ab, indem sie stark an ihren kulturellen Traditionen festhielten: Sie sprachen Hindu, kleideten sich fremdartig, hatten andere Essgewohnheiten und führten darüber hinaus ihre eigenen religiösen Bräuche in die Kulturlandschaft Trinidads ein. Dies erzeugte Argwohn bei den Schwarzen, die prompt die Hindus als heidnisch beschimpften, so dass diese aus Angst vor Diskriminierung ihre Söhne sogar von den Schulen fernhielten. Die indische Bevölkerung, die überwiegend in Großverbänden lebte, blieb daher lange Zeit praktisch unter sich.

 

In dieser Anfangszeit des Zusammenlebens entstanden Bilder von rassischen Stereotypen, die zum Teil durchaus auch heute noch ihre Geltung haben. Die Schwarzen galten als körperlich stark, aber faul und verantwortungslos. Die Inder wurden als geschäftstüchtig, aber betrügerisch und zudem geizig angesehen, weil viele das verdiente Geld ansparten, um ihren Status verbessern zu können. Ein sozialer Aufstieg war für sie zu dieser Zeit aber – und ist es teils auch heute noch- nur durch eine Assimilation, sprich die Aufgabe der kulturellen Eigenart und den Übertritt zum Christentum, möglich. Das führte zu Gräben zwischen den beiden Rassen, die ihre Auswirkungen sowohl sozial als auch ökonomisch manifestierten.

 

Kampf um die politische Vormachtstellung

 

Nach dem zweiten Weltkrieg hielten die ethnischen Trennungslinien dann auch Einzug in die Politik, und zwar in Form rivalisierender Parteien. Die erste moderne Partei Trinidads, die PNM (People´s National Movement), wurde von dem afrikanischstämmigen Eric Williams gegründet. Sie sollte ursprünglich eine nationale Partei quer durch alle Kulturen und Schichten werden. Schnell jedoch zeigte sich, dass die Unterstützung, die sie erfuhr, hauptsächlich aus den eigenen, schwarzen Reihen kam. Über nahezu drei Jahrzehnte - vom Zeitpunkt der Unabhängigkeit an bis ins Jahr 1995 – schaffte es diese afrotrinidadische Partei, die politische Hegemonie des Antillenstaates gänzlich in ihren Händen zu halten, bis 1981 sogar unter Williams Führung.

 

Diese jahrzehntelange Alleinregierung, durch die wichtige Schlüsselstellungen in Regierung, Verwaltung und Justiz an die Schwarzen fielen, wurde von der indischstämmigen Bevölkerung jedoch nicht kampflos hingenommen. Beständig versuchte die indisch dominierte Opposition UNC (United National Congress), die Vormachtstellung der Schwarzen aufzubrechen. Das politische Klima zwischen Afrotrinidadern und Indotrinidadern verschärfte sich dabei im Laufe der Jahre zunehmend, rassistische Polarisierungen bauten sich auf und es entwickelte sich ein Disput, der bis in die Gegenwart anhält: Die afrikanische Bevölkerung macht der indischen den Vorwurf, sich nicht um eine Kreolisierung im Sinne eines Vermischungsprozess der Kulturen zu bemühen und so der Herausbildung einer gemeinsamen Identität im Wege zu stehen. Die indische Bevölkerung hält dem dagegen, dass das Wort Kreolisierung nur ein anderes Wort für Afrikanisierung sei. Sie plädieren für ein Trinidad, in dem nicht eine Kultur die andere aufsaugt, sondern eine Nation gebildet wird, in der alle Kulturen nebeneinander bestehen und mit der sich jeder identifizieren kann.

 

Die politische Hegemonie der Afrotrinidader wurde zwar seit 1995 zwischenzeitlich durch Wahlsiege der UNC unterbrochen, eine Ende dieses Aushandlungsprozesses ist aber noch nicht abzusehen. Als bei den Parlamentswahlen im Dezember 2001 beide Parteien die gleiche Sitzzahl erlangten, entstand eine lähmende Pattsituation, die erst durch vorgezogene Wahlen im Oktober 2002 wieder beseitigt werden konnte:

 

Wiederum mit einer Mehrheit für die PNM. Der indische Kampf um die politische Vormachtstellung und die Suche nach einer gemeinsamen Identität geht somit weiter, und zwar in gewaltfreien Bahnen, was bei all den bestehenden Spannungen bemerkenswert ist.