Sub-Realismo Criollo

Die ironische Pop-Welt des Marcos López

von Gunnar Nilsson

Ein Andy Warhol des ‘subdesarrollo’ sei Marcos López, so behaupten einige Kritiker. Während ihn Europa gerade entdeckt, hat der argentinische Photograph, Filmemacher und Verfasser von avantgardistischen Manifesten bereits in den 90er Jahren nicht unwesentlich zur Neuorientierung der argentinischen Photographie beigetragen.

 

1993 hatte ihn der Überdruss ergriffen. Schwarzweiß-Bilder waren bis dato sein Metier gewesen, dokumentarische Arbeiten über Reisen, über ‘fiestas populares’, Portraits einfacher Leute mit natürlichem Licht durch das Fenster aufgenommen und dramatisch gesteigerte Landschaftspanoramen. Doch dann platzte plötzlich die Farbe mit einem onomatopoetischen ‘P(l)op’ aus López und seinen Werken heraus.

 

Resultat war „pop latino“, ein augenschmerzendes Farbfeuerwerk aus photographischen Inszenierungen, das sich unter großzügiger Überschreitung der Kitschgrenze ironisch-subversiv und manchmal bitter anklagend in die Symbol- und Bilderwelt Argentiniens eingrub. Ende vergangenen Jahres stellte López seine zwischen 1993 und 2003 entstandenen Arbeiten im Münchner Instituto Cervantes vor.

 

Allerdings hinkt der Vergleich mit dem nordamerikanischen Pop-Star Warhol. López Photographien räkeln sich nicht im eitlen Sonnenschein moderner Warenparadiese, auch wenn deren als importiert begriffene Inszenierungsmodi von ihm mit Vorliebe aufgegriffen und effektreich eingesetzt werden. López zitiert die ‘Importmodelle’ – „todo importación“, so heißt der Plakattitel in einem Bild –, er zitiert sie allerdings verzerrt und sieht gerade darin einen typisch argentinischen Wesenszug im Umgang mit allem Ausländischen, zuvorderst mit dem Nordamerikanischen. So entstehen parodistische Kontraste zu Prätexten aus der Werbebranche, während zeitgleich ironische Seitenhiebe auf den Umgang mit Werbebotschaften geführt werden. Denn diese – so López – korrespondieren nicht mit der gesellschaftlichen Realität auf dem südlichen Kontinent. Etwa wird die abblätternde Farbe am Schriftzug der „bienestar supermercados“ genannten Warenhauskette zur sinnbildlichen Demontage des argentinischen Traums vom Wohlstand und der Slogan von als „Terrenos virtuales“ gepriesenen Eigenheimparzellen in einem anderen Bild zu einer bissigen Attacke auf die Praktiken einschlägiger TV-Sendungen. Auch die politische Stilisierung, die historische Mythisierung und schließlich ihre Kommerzialisierung steht immer wieder in der Feuerlinie der chromatischen Kanonaden des Marcos López. Weder die Ikonographie Bolívars, Che Guevaras oder Fidel Castros, noch die des Ex-Präsidenten Menem, der Nationalmannschaft oder Carlos Gardels entgeht seinem entlarvenden „sub-realismo criollo“. Dabei bedient sich López lustvoll der Requisiten aus der Kammer der abendländischen Kunstgeschichte. Es taucht etwa der Muskelmann aus Richard Hamiltons „Just what it is that makes today’s homes so different“ ebenso in einem Bild auf wie das von Da Vinci unvergessen gemachte Motiv des letzten Abendmahls aus López großartigem „Asado en Mendiolaza“ herausscheint: Zwölf mehr als freizeitlich bekleidete Herren scharen sich schmatzend und trinkend um eine barbusige Zentralgestalt, die den ‘asado’ auf einem groben Tapeziertisch tranchiert. Ist dies vielleicht das letzte große Sattessen vor dem endgültigen sozialen ‚break down’ Argentiniens? Der „Sireno del Río de la Plata“ zumindest scheint darauf keine Antwort geben zu können.

 

Halb Mensch, halb Fisch bringt er die Kitschästhetik von Pierre et Gilles in Erinnerung. Hinter ihm erstreckt sich allerdings ein mit Unrat übersäter Strand am Rio de la Plata.