Panteón Rococó

Lagerhausmusik und Familienwerte

von Martin Herrndorf

CDs von Panteón Rococó findet man in Mexico an jedem Straßenstand. In Deutschland sind sie vor allem in der Alternativszene bekannt. Zu Recht: Ihre Mischung aus Ska, Punk und Latinorhythmen sorgte bei den Konzerten in Europa dieses Jahr zum dritten Mal für Begeisterung: die offene Sympathie mit der Zapatistenbewegung in Chiapas liefert den ideologischen Hintergrund. Martin Herrndorf sprach für matices mit Missael, dem Saxophonisten der Rococós.

 

Ihr seid Superstars in Lateinamerika – warum kommt ihr immer wieder nach Deutschland?

 

Als wir mit der Band angefangen haben, im Probenraum, haben wir uns immer gedacht: Was, wenn die Leute in Europa, in Deutschland, in Frankreich, unsere Musik hören könnten? Und dann, als wir 2000 die Möglichkeit hatten, mussten wir einfach gehen. Dann sind wir jedes Jahr wiedergekommen, um die Arbeit von ganz unten zu machen: Wir spielen jeden Tag, sind viel unterwegs. Das hilft uns, realistisch zu denken. Wir denken nicht: Ja, wir sind Superstars.

 

Haben sich die Reaktionen euch gegenüber in Deutschland verändert?

 

Oh, die Leute mögen uns sehr. Sie verstehen unsere Aufgabe: Wir wollen ihnen unsere Musik bringen, nicht ihr Geld nehmen. Viele mexikanische Bands, die nach Europa oder in die USA gehen, denken vor allem ans Geld.

 

Was war euer bestes Konzert in Europa?

 

Wir lieben es, in Hamburg zu spielen, auf dem Fusion-Festival. Das ist jedesmal ein spezieller Gig. Als wir das erste Mal in Deutschland waren, haben wir fast einen Monat in St. Pauli gelebt. Aber ich kann es gar nicht so genau sagen. Die Reaktion der Leute ist fast wie in Mexiko: Verrückte Leute, sie tanzen und springen herum. In Berlin mussten wir dieses Jahr zwei Konzerte an einem Tag geben.

 

Was ist dein Lieblingsbier in Deutschland?

 

Ich trinke fast nicht. Aber wenn, probiere ich lokale Biere. Astra, in Hamburg, ist mein Lieblingsbier. Aus St. Pauli.

 

Hörst du deutsche Musik?

 

Oh, nicht viel. Ich mag Bauhaus, Peter Murphy, Einstürzende Neubauten, Lacrimosa – schwarze Musik aus Deutschland. Eine Band kenne ich seit vielen Jahren: Wisecracker.

 

Wisecracker? Die kenne ich nicht.

 

Ich kenne sie, weil wir in den USA zusammen auf einem Sampler waren. Ich mochte ihren Song. Als wir das zweite Mal in Deutschland waren, habe ich nach ihnen gesucht und sie schließlich in Hannover getroffen.

 

Zu eurer Anfangszeit in Mexiko: War es schwierig, Auftritte zu bekommen, bekannt zu werden?

 

In etablierten Veranstaltungsorten? Ja. Aber es war einfach, eigene Plätze zu finden. Wir sind Teil einer Bewegung von Skabands, obwohl wir selber nicht wirklich Ska machen. Im Norden von Mexiko City haben wir in den Vororten gespielt, in Lagerhäuser, in vecindades, den Innenhöfen von Hochhäusern, wo die Leute normalerweise ihre Wäsche waschen. Man muss sich seine eigenen Orte suchen. Auch heute noch spielen wir in solchen Orten.

 

Viele Jugendliche können sich sonst den Eintritt nicht leisten. Was ist eure Einstellung zur Piraterie?

 

Wir waren in beiden Positionen: Als unabhängige Produ-zenten, und als Künstler bei einem Major. Ich weiß nicht, wie es hier ist, aber in Mexiko ist es eine tolle Sache. Ich mag es, wenn die Leute sich ihre Musik aus dem Internet laden, eigene CDs zusammenstellen und diese verschenken.

 

Bei unserer ersten CD war das Raubkopieren diebeste Promotion, dadurch haben wir 50.000 CDs verkauft. Wir haben 100 Euro für Promotion ausgegeben, der Rest war piratería! Wenn man CDs verkaufen will, muss man sie schön machen, als Digipack mit einem dicken Booklet. Und wenn jemand die Musik wirklich mag, geht er auch zum Konzert und kauft sich das Original.

 

Wie können junge Bands in Mexiko von ihrer Musik leben?

 

Gar nicht, in Mexiko kann man nicht von Rock leben. Wir können es seit einem Jahr, aber nur, weil unsere Familien uns acht Jahre lang unterstützt haben. Ich kenne keine zehn Bands in Mexiko, die von ihrer Musik leben können. Viele haben noch andere Jobs nebenher.

 

Gibt es eine neue Band aus Mexiko, die du den Leuten hier empfehlen kannst?

 

Eine neue Band? Cabrito Vudú aus Monterrey. Es gibt sie schon ein paar Jahre, aber jetzt spielen sie mehr. Sie haben angefangen mit Ska, machen jetzt auch Soul, Funk, Reggae. Sie sind großartig. Aber es gibt viele tolle Bands in Mexiko.

 

Wie politisch ist die Ska-Szene in Mexiko City?

 

Sehr, die Bands kommen alle aus den armen Stadtbezirken am Stadtrand. Man sieht die armen Leute und dass die Regierung noch nicht mal die Grundversorgung bereitstellt. Man sieht das jeden Tag und redet darüber. Die Ska-Bewegung hat 1994 angefangen, mit dem Aufstand der Zapatisten. Wir fühlen uns mit ihnen verbunden. Die Ideen kommen vom Land in die Stadt. Alle Ska-Bands sind daher sehr politisch:

 

Autonomie, Freiheit, Autogestión.

 

Ihr habt auf dem Zócalo [Größter Platz in Mexiko City, Sitz vieler Regierungsgebäude] gespielt, zusam-men mit Manu Chao. War es auch eine Provokation, direkt gegenüber vom Palacio Nacional aufzutreten?

 

Der Zócalo ist ein magischer Ort: Dort steht der templo mayor der Azteken, unter den anderen Gebäuden sind viele Ruinen. Das fühlt man. Als Kind sieht man den Palacio und denkt: Oh, Mexico! Ich habe immer noch Respekt, vor diesem Gebäude, nicht vor den Leuten, die darin arbeiten. Wir haben sieben oder acht Mal da gespielt, und es ist jedes Mal wundervoll.

 

Die mexikanische Regierung muss sich also eure Musik anhören. Hören sie auch auf das, was ihr zu sagen habt?

 

Am Anfang nicht. Langsam fangen sie an, uns zuzuhören. Ich spreche nicht nur für Panteón Rococó, sondern für alle mexikanischen Bands und ihre Zuhörer. Die Zapatisten waren auf dem Zócalo, und wir haben da einen Tag später gespielt – es waren über 130.000 Leute da. Die Regierung weiß, dass die Zapatisten und das Volk etwas zu sagen haben, und dass sie zuhören müssen.

 

Wie hat sich Mexiko in den letzten 10 Jahren verändert, seit es die Zapatisten gibt?

 

Sehr, vorher hat jeder allein für seine Sache gekämpft: Studenten, Arbeiter, Frauen und die indigenen Bewegungen. Die Zapatisten haben sie zusammengebracht.

 

Wie siehst du Mexiko im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Staaten, was Dinge wie Freiheit und Demokratie angeht?

 

Ganz anders. Beim Crash in Argentinien sind die Leute mit den casserolas auf die Straßen gegangen, und in Ve-nezuela gehen sie mit Gewehren auf die Straße, um für ihr Land und ihre Ideen zu kämpfen. Als in Mexiko 1994 das gleiche wie in Argentinien heute passierte, haben die Leute nur gesagt: „Schade, unser Geld ist nichts mehr wert“. Es gibt heute viel conformismo in Mexiko.

 

Was sollte man als Tourist in Mexiko auf jeden Fall gesehen haben?

 

Man sollte auf jeden Fall nach Quintana Roo fahren und ein, zwei Tage nach Cancún, um sich die Schönheit der Karibik anzusehen. Aber vor allem sollte man in die Maya-Gebiete gehen: Die Regierung kümmert sich nicht um die Menschen dort, sie interessiert sich nur für die Menschen im Norden, die das dicke Geld haben. Im Süden wollen sie nur Hotels bauen. Aber man kann dort viel über die Ideen der Maya-Nachfahren lernen: Ihre Verbin-dung zur Erde, zur Natur, zu den Planzen, zum Wasser, zum Feuer. Und wenn man sehen will, wie die echten Mexikaner leben, kann man auch einfach nach Mexiko City gehen.

 

Was kann Europa von Mexiko lernen?

 

Ich glaub, Familienwerte. Ich habe viele 20jährige getroffen, die alleine oder mit ihren Freunden leben. Und es geht ihnen gut, manche arbeiten drei Monate und fahren dann wieder nach Mexiko. Aber sie haben die Verbindung zu ihrer Familie vollkommen abgebrochen. In ihren Augen kann man die Traurigkeit sehen: Sie wissen nicht, was in ihrer Familie passiert. Das ist in Mexiko anders: Viele wohnen zu Hause, bis sie 25 sind.

 

Für Europäer ist das extrem, aber so bleiben sie mit ihrer Familie verbunden.

 

Was kann Mexiko von Deutschland lernen?

 

Oh, viele Dinge. Respekt – und zwar für eine Menge Dinge. Respekt für Musik zum Beispiel. Wenn wir in Mexiko andere Bands zu unseren Konzerten einladen, interessieren sich viele Zuschauer gar nicht dafür. Und für Fahrradfahrer, Rollstuhlfahrer. Allgemein Menschen, die anders sind, mit Dreadlocks, mit langen Haaren.