Max Aub

Ein vergessenes Genie

von Bernhard Marien

Der Kosmopolit Max Aub wäre am 2. Juni hundert Jahre alt geworden. Der Spanier französicher-deutscher Herkunft bestach durch seine konsequente Haltung gegenüber den politischen und gesellschaftlichen Themen des 20. Jahrhunderts. Sein umfangreiches Werk, das unter anderem den spanischen Bürgerkrieg thematisiert, zeugt von großer Kraft und außerordentlicher Kreativität.

 

Mit zwölf Jahren, erst ein Jahr nachdem er mit seiner Familie 1914 nach Valencia übergesiedelt war, schrieb Max Aub sein erstes Gedicht in Spanisch – seiner neuen Heimatsprache. In Paris als Sohn deutschfranzösischer Eltern zweisprachig aufgewachsen, fiel es ihm ungewöhnlich leicht, die neue Sprache zu erlernen. Auch die Anpassung an die fremde Kultur bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten, im Gegenteil verliebte sich Aub nicht nur in die spanische Sprache, sondern auch in die Menschen und in das Land, dessen Staatsbürgerschaft er mit 21 Jahren annahm. Zu dieser Zeit bewegte er sich bereits in den literarischen Salons von Barcelona und Madrid und hielt Kontakt zu den damals berühmtesten Schriftstellern der Halbinsel (unter ihnen Rafael Alberti, Vicente Aleixandre und Pedro Salinas). Im Alter von 22 Jahren veröffentlichte Max Aub seinen ersten Gedichtband, in den darauf folgenden zehn Jahren publizierte er drei Romane, eine Vielzahl weiterer Gedichte und 1931 seinen ersten Einakter. Er entdeckte das Theater und nahm an verschiedenen Festivals in der Sowjetunion und Deutschland teil. Besonders die expressionistische Theaterbewegung faszinierte ihn. Das Theater blieb eine seiner großen Leidenschaften, auch wenn er sich später neben der Literatur mehr und mehr dem Film widmete.

 

Während des spanischen Bürgerkriegs engagierte sich Max Aub politisch sehr stark für die Republik, 1936 ging er als spanischer Kulturattaché nach Paris. In dieser Zeit beauftragte er Pablo Picasso mit der Schaffung eines Wandgemäldes für den spanischen Pavillon bei der Weltausstellung von 1937. In Erinnerung an die Vernichtung des gleichnamigen baskischen Dorfes durch die deutschen Bomber der Legion Condor entstand das berühmte Bild Guernica.

 

1937 kehrte Aub, wegen der Bürgerkriegswirren ohne seine Familie, für kurze Zeit nach Spanien zurück. Er wohnte in Barcelona, arbeitete dort für die Tageszeitung La Vanguardia und drehte mit André Malraux den Film Sierra de Teruel (1938). Gemeinsam mit der Filmcrew schaffte er es gerade noch rechtzeitig, Spanien zu verlassen und floh zurück nach Frankreich zu seiner Familie. Hier konnte sich Max Aub dem Schreiben widmen und begann mit der Arbeit an seinem literarischen Hauptwerk, dem Magischen Labyrinth. Nachdem im März 1939 der Sieg Francos über die Republik offiziell wurde, schrieb Aub innerhalb von wenigen Monaten den ersten Band mit dem Titel Campo cerrado (deutsch: Nichts geht mehr). Die Handlung des Romans endet mit dem Beginn der Bürgerkriegswirren in Spanien.

 

Fast dreißig Jahre später, im Jahr 1968, veröffentlichte der Autor den sechsten und letzten Band des Labyrinthzyklus, Campo de los almendros (deutsch: Bittere Mandeln). Darüber hinaus rechnete Max Aub noch 40 Erzählungen zum Magischen Labyrinth, die erstmals 1995 in einem Band zusammengestellt worden sind. Dies ist einem der besten Kenner von Max Aub und seinem Werk zu verdanken, Professor Ignacio Soldevilla-Durante, der bereits kurz nach Aubs Tod eine Übersicht über das kaum überschaubare literarische Werk zusammenstellte und dabei auch bis dahin unveröffentlichte Erzählungen berücksichtigte. Das Magische Labyrinth ist in jeder Beziehung ein Ausnahmewerk. Paul Ingendaay beschrieb dies kürzlich sehr treffend in der Jubiläumsedition von die horen: „Seite für Seite stößt man auf einen Stil, den man brillant, geschliffen, wagemutig, sinnlich und noch einiges mehr nennen könnte. Am einnehmendsten finde ich jedoch eine ästhetische Qualität, die Aubs Romanzyklus Das Magische Labyrinth einzigartig macht: seine Mischung aus Totalität und Unberechenbarkeit. Ich kenne kein anderes Werk dieser Dimension, das so viel fordert und dabei so wenig zu beabsichtigen scheint; das den Leser auf vergleichbare Weise am Kragen packt und dann wieder orientierungslos stehen läßt; ihn an einer Stelle umwirbt, um ihm an anderer einen Klaps auf die Nase zu geben.“

 

Die zentralen Themen des Magischen Labyrinths sind Bürgerkrieg, Vertreibung und Exil. Nur sehr selten beschreibt Max Aub direkt die kriegerischen Auseinandersetzungen. Vielmehr porträtiert er einzelne Protagonisten und ihr Verhalten in extremen Situationen, überschattet von der Atmosphäre des Krieges. Durch diese individuelle Darstellung von einzelnen Schicksalen wird deutlich, worauf es Max Aub mit diesem Zyklus ankam: obwohl er nie einen Hehl aus seiner republikanisch-demokratischen Gesinnung und seiner Sympathie für Sozialismus und Kommunismus machte, wollte er keine der beiden Seiten des Bürgerkrieges rechtfertigen oder anklagen. Er prangerte vielmehr die Gräuel des Krieges an und die Grausamkeiten, zu denen Menschen fähig sind, wenn sie unter dem Druck von Ideologien stehen und kollektiver Verblendung unterliegen.

 

Nach eigenen Angaben verfolgte Aub mit dem Magischen Labyrinth zwei Ziele. Zum einen war ihm an einer intensiven Aufarbeitung des Bürgerkrieges gelegen. So konnte er sein eigenes Trauma verarbeiten und gegen das Vergessen einer ganzen Nation kämpfen. Tragischerweise erreichte er im Franco-Spanien kaum Leser, da seine Bücher verboten waren. Gleichzeitig, und da findet sich der zweite Grund, widersetze er sich mit dem Magischen Labyrinth der offiziellen Geschichtsschreibung des Francoregimes, indem er eine Rekonstruktion der Geschichte aus der Perspektive der Besiegten unternahm. Max Aub ist ein anderer, ein besonderer Chronist des Bürgerkrieges. Seine Einstellung gegenüber dieser selbst gestellten Aufgabe wird unter anderem in verschiedenen Tagebucheinträgen deutlich:

 

„Ich glaube, ich habe noch nicht das Recht, über das, was ich gesehen habe, zu schweigen, und stattdessen über Erfundenes zu schreiben.“ (22.1.1945)

 

„Ich schreibe, um mich nicht zu vergessen. Ich schreibe, um zu erklären, und um mir zu erklären, wie ich die Dinge sehe, und ich hoffe dadurch zu sehen, wie die Dinge mich sehen.“ (15.10.1950)

 

„Weil ich nicht schweigen konnte, habe ich Spanien verlassen – denn ich bin Schriftsteller, und das ist meine Art zu kämpfen – und ich werde weiterhin meine Wahrheit nicht verschweigen... Auf lange Sicht gibt es keine Waffe, die so mächtig wäre wie die Wahrheit.“ (1.3. + 13.6.1952).

 

Auch wenn in den sechs Romanen des Magischen Labyrinths das Thema Exil nicht explizit erwähnt wird, ist es das dritte große Thema in Aubs Leben. Da er nur vier Jahre nach Vollendung des Magischen Labyrinths starb, fehlt ein größeres Prosawerk aus seiner Feder zu diesem Themenkomplex. Jedoch weisen die zahlreichen Erzählungen über das Exil daraufhin, dass er zumindest gedanklich bereits daran gearbeitet hatte. Dreißig Jahre lang, und damit nahezu die Hälfte seines Lebens, verbrachte Max Aub im mexikanischen Exil. Er holte seine Frau und die drei Töchter nach Mexiko. Schon sehr bald zerschlug sich für die meisten spanischen Flüchtlinge die Hoffnung, dass die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch dem totalitären Francoregime ein Ende bereiten würden. Max Aub gab aber die Hoffnung nicht auf, wieder nach Spanien zurückkehren zu können. Eine Hoffnung, die sich aufgrund verschiedener Ereignisse zu zerschlagen drohte. Als sein Vater 1951 in Valencia starb, verweigerten ihm die spanischen Behörden die Einreise, erst 1954 dufte er erstmals seit seiner Flucht nach Frankreich reisen, um nach 16 Jahren seine Mutter wieder zu sehen. Zwei Jahre später nahm Max Aub die mexikanische Staatsbürgerschaft an, möglicherweise ein Zeichen der Resignation in Bezug auf eine dauerhafte Rückkehr nach Europa.

 

Max Aub als Spanier im Exil – sein Leben lang hat ihn diese Vorstellung belastet. Der wohl überzeugendste Beweis dafür sind die sehr deutlichen autobiografischen Züge seiner literarischen Texte, die durch die oben genannten Tagebuchauszüge unterstrichen werden. Zutiefst enttäuscht kehrte er von seinen beiden Spanienreisen in den Jahren 1969 und 1972 zurück. Enttäuscht von den Menschen, von der spanischen Gesellschaft und wohl auch darüber, dass er in Spanien, dem Land, dass er so liebte, in Vergessenheit geraten war. Kurz nach der Rückkehr aus Spanien starb Max Aub am 22. Juli 1972 in seinem Haus in Mexiko Stadt. Bis auf wenige Ausnahmen ist sein Werk in Spanien bis heute nicht entsprechend gewürdigt worden.

 

In Deutschland erschienen

Die sechs Bände des Magischen Labyrinths (Eichborn Berlin)

  • Nichts geht mehr Bd.1
  • Theater der Hoffnung Bd.2
  • Blutiges Spiel Bd. 3
  • Die Stunde des Verrats Bd. 4
  • Am Ende der Flucht Bd. 5
  • Bittere Mandeln Bd. 6

Weitere Romane

  • Jussep Torres Campalans, Die besten Absichten, 80 Seiten
  • 60 Morde und Vivo. Eine Liebesgeschichte.
  • Erzählbände
  • Der Mann aus Stroh
  • Der Aasgeier
  • Die Schuld des ersten Anglers
  • Außerdem erschienen ist
  • Max Aub/ Luis Buñuel: Die Erotik und andere Gespenster.
  • Nicht abreißende Gespräche
  • die horen, No. 210, Jubliäumsausgabe.

Eine umfangreiche Bibliographie zu den spanischen Texten sowie weitere Informationen findet man unter www.maxaub.org.

 

Biographie

 

Max Aub wird am 2. Juni 1903 in Paris geboren. Von 1908 bis 1914 besucht er das Collège Rollin in Paris. Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs im Jahr 1914 übersiedelt die Familie Aub nach Valencia. Max Aub erlernt den Beruf seines Vaters und reist als Handelsvertreter durch Spanien, später durch ganz Europa. Damit verdient er das Geld für seine große Liebe, die Literatur. In den großen Metropolen knüpft er Kontakte zu Schriftstellern, Malern und Theaterleuten. Erste eigene Veröffentlichungen folgen, u.a. in Ortega y Gassets Zeitschrift Revista de Occidente. 1926 heiratet er die Valencianerin Perpetua (Peua) Barjau Martín, ein Jahr später wird María Luisa, die erste von drei Töchtern geboren. Von 1936 bis 1937 geht er als Kulturattaché nach Paris. 1939, nach einem Jahr in Spanien, flieht er nach Frankreich. Von 1940 bis 1942 ist er in französischen und algerischen Konzentrationslagern interniert, bis ihm dank der Intervention von John Dos Passos und Vetretern der mexikanischen Regierung die Flucht nach Mexiko gelingt. 1949 wird er Professor für Theater an der Universidad Autónoma in Mexiko-Stadt. 1956 nimmt er die mexikanische Staatsbürgerschaft an. 1958 wird er erstmals Jurymitglied der Filmfestspiele in Cannes. In den sechziger Jahren reist er sehr viel in Europa, Nordamerika und auch Israel, wo er an der Hebräischen Universität für ein Semester als Gastdozent lehrt. Neben seinen zahlreichen literarischen Projekten initiiert er neue Zeitungsprojekte und schreibt neben Essays und Tagebüchern ein Buch über seinen Freund Luis Buñuel.

 

In Kuba nimmt er am ersten Kongress der Intellektuellen teil und wird dort Jurymitglied des Premio Casa de las Américas in der Sparte Theater. 1969 und 1972 reist er nach Spanien und kehrt beide Male enttäuscht und gesundheitlich angeschlagen nach Mexiko zurück. Max Aub stirbt am 22. Juli 1972 in Mexiko Stadt.