Kannibales, Piraten & Co.

Die Karibik

von Gesine Froese

In der Karibik ging es schon vor Kolumbus heiß her. Die kriegerischen Kariben drängten aus dem Dunkel ihrer Urwälder im heutigen Venezuela und Kolumbien an die karibische Sonne, ruderten nach Trinidad und eroberten eine Antilleninsel nach der anderen von den friedliebenden, dort heimischen Arawak. Dabei gingen sie gründlich vor: Sie schwächten die Arawakstämme, indem sie ihnen die Frauen raubten, führten Kriege und verspeisten die ärgsten Widersacher - nicht nur im festen Glauben daran, dass nur ein toter Feind keiner mehr ist - sie glaubten auch, dass es nicht schaden könne, sich dessen Kraft einzuverleiben. Kurzum: Sie waren Kannibalen. Kein Wunder, dass die Arawak Angst vor den Kariben hatten und Kolumbus fast wie einen von den Göttern gesandten Retter empfingen. Kaum verwunderlich auch, dass die Spanier sich später bei ihrer unersättlichen Jagd nach Sklaven lieber an diesen braven Arawakstämmen schadlos hielten. Und dass sie fast drei Jahrhunderte lang einen großen Bogen um die kleinen Antillen, die Wohnsitze der Kariben, machten, die sich dort lange tapfer behaupteten - unterstützt durch zahlreiche entlaufene afrikanische Sklaven von anderen Inseln. Ein Großangriff der Engländer auf St. Vincent brach schließlich diesen letzten Widerstand und führte zur teilweisen Deportation der (Black-)Caribs nach Roatan, einer Insel vor dem heutigen Honduras.

 

In den drei Jahrhunderten von der Entdeckung bis zur Deportation der Black-Caribs war die Karibik ein Schlachtfeld der europäischen Nationen. Jede wollte vom Kuchen der „Neuen Welt“ etwas abhaben. Angeheizt wurden die Eroberungs- und Kaperfahrten der Freibeuter und Piraten wie Henry Morgan oder Francis Drake durch die Glaubenskämpfe zwischen Katholiken (Spanier, Franzosen) und Protestanten (Engländer, Holländer, Dänen). Vor allem die Engländer rüsteten ganze Flotten aus, um den verhassten erzkatholischen Spaniern den Krieg anzusagen - und dabei Land zu gewinnen. Auf den Inseln entstanden zahllose Festungen, Kanonenkugeln flogen, Schatzschiffe sanken, es wurde geplündert und geraubt. Die Inseln wechselten die Landesfahnen wie die feine Gesellschaft in den Tropen ihre Hemden. Und die im Land verbliebenen Sklaven mussten sich mal auf holländische, mal auf französische, spanische oder englische Herren sprachlich einstellen. Folge:

 

Ihr mitgebrachtes Afrikanisch wurde im Laufe der Zeit ein von den verschiedenen Besatzungen geprägter Mischmasch: wie das Patois (z.B. auf Jamaica oder St. Lucia) oder das Papiamento (z.B. auf Aruba oder Curaçao); Dialekte, die neben der jeweils offiziellen Landessprache bis heute von den Einheimischen gesprochen werden.

 

Von 1492 bis 1792 wurde so die Karibik immer wieder neu unter den europäischen Nationen aufgeteilt. Die Spanier, die sich auf den Abbau der Edelmetalle und -steine in den Minen Mittel- und Südamerikas und den Schutz ihrer wichtigsten Verschiffungshäfen wie Cartagena, Havanna und San Juan konzentrierten, überließen die von Kannibalen „verseuchten“ Kleinen Antillen mehr oder weniger kampflos den Engländern.

 

Auch an den ABCInseln vor der Küste Venezuelas zeigten sie wenig Interesse. Dort ließen sich die Holländer nieder, boten Glaubensflüchtlingen aus Europa Schutz vor religiöser Verfolgung, und schufen so schnell bedeutende Handelszentren, vor allem Willemstad auf Curaçao. Viel verdient wurde auch dort mit dem Handel von Sklaven und mit den Produkten, die dank der kostenlosen Arbeitskraft „Sklave“ überdimensionale Gewinne abwarfen: Salz aus den Salinen, Zucker, Kakao oder Kaffee von den Plantagen. Die einheimischen Indianer, auf dem Papier offiziell „Schutzbefohlene“, die zum rechten Glauben bekehrt werden sollten (aber dafür auch unentgeltlich arbeiten mussten), wurden von den Spaniern als Arbeitskräfte in den Minen „verheizt“, bei Ungehorsam zur Abschreckung massenweise massakriert oder sie starben an eingeschleppten Krankheiten. Angesichts der Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung wurde der Priester Bartolomé de Las Casas zum Fürsprecher der Indianer. In seinem „Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder“ beschreibt er schonungslos die damaligen Greueltaten. Mit dem Vorschlag, afrikanische Sklaven für die Arbeit in den Minen oder auf den Plantagen einzuführen, sorgte er unwillentlich für die grässlichste Verschleppungsaktion und Versklavung von Menschen in der Geschichte. 1789 erlebte der europäische Kontinent die französische Revolution. Ihr Ruf nach Gleichheit und Freiheit entfachte im französischen Teil der Insel Hispaniola eine Revolte unter den Sklaven. Die Plantagenbesitzer flüchteten mit ihren ergebenen Sklaven in die restlichen karibischen Kolonien des befreundeten Spanien (Kuba, Trinidad) oder ins französische Louisana (New Orleans). Haiti rief sich zur freien Republik aus - und eine Woge von Sklavenaufständen überzog die Karibik, die die Inselherren mit brutaler Gewalt unterdrückten. Nur auf Jamaica konnten sich die Maroons so lange in den „Blauen Bergen“ gegen die englischen Bluthunde behaupten, dass die Regierung den Kampf gegen sie schließlich aufgab.

 

Anfang des 19. Jahrhunderts kam aus einem aufgeklärten Europa immer heftiger die Forderung nach der Abschaffung der Sklaverei in der Karibik. Aber die Plantagenbesitzer sträubten sich. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts war es dann fast überall so weit. Schlagartig standen die Plantagenbesitzer ohne ihren kostenlosen Arbeitskräfte da. Die Briten warben zum Beispiel für Trinidad neue Arbeitskräfte aus ihren anderen Kolonien an, vor allem aus Indien. Auf vielen Inseln brach die Plantagenwirtschaft zusammen. Großgrundbesitzer überließen ihre Ländereien, ihre Mischlingskinder und die ehemaligen Sklaven ihrem Schicksal.

 

Im Rausch der neuen Freiheit drängten die großen Kolonien auf Selbständigkeit und politische Unabhängigkeit. „Neue Führer braucht das Land“, so der Ruf des Volkes. Er bringt Männer an die Spitze, die nun aus den eigenen Reihen stammen, mangelnde Bildung und Übung mit Staatsgeschäften hinter demagogischem Talent verstecken, und die sich bald als noch machthungriger und brutaler als ihre kolonialen Vorgänger entpuppen. Wer nicht von seinen gepeinigten Untertanen ermordet wird, wie der Diktator Trujillo in der Dominikanischen Republik, den bringt heute das Ausland, also der Weltpolizist USA (sofern es den eigenen Interessen dient), zur Räson. Angesichts solcher Entwicklungen ist in den letzten „abhängigen“ Gebieten heute längst der Ruf nach Freiheit verstummt. Die meisten erleben die politische Abhängigkeit von ihren Mutterländern heute weniger als ausbeutenden Imperialismus, sondern vielmehr als Chance, an den sozialen Errungenschaften der EU-Länder teilhaben zu können.

 

Englische Piraten in der Karibik

 

Edward Blackbeard Teach

 

Edward Teach, dessen furchterregende äußere Erscheinung mit üppigem schwarzen Bart ihm den berüchtigten Namen Blackbeard einbrachte, wurde um das Jahr 1680 in Bristol, England, geboren. Im frühen 18. Jahrhundert verließ erA England in Richtung Karibik, wo er eine kurze, aber beachtliche Piratenlaufbahn zunächst auf einem Freibeuterschiff begann, und später sein eigenes Flaggschiff, die Queen Anne’s Revenge, kommandierte. Nach dem Rückzug aller britischen Kaperbriefe in der Karibik kaperte der stets schwer bewaffnete Blackbeard, der sein Image als blutdürstiger Pirat mit Hingabe pflegte, auf eigene Rechnung. Nach der Aussetzung eines Kopfgeldes auf seine Person wurde er in einem spektakulären Showdown im November 1718 erschossen.

Sir Henry Morgan

 

Henry Morgan, geboren 1635 in Glamorgan, Wales, erhielt von Seiner Majestät Charles II. den Ritterschlag als Belohnung für den waghalsigen, aber erfolgreichen Angriff auf Panama-City, die zu seiner Zeit wohl reichste Stadt der Welt. Morgan ließ die Stadt vollständig niederbrennen und betrog seine Mannschaft um den Großteil der Beute. Sein Ruf als besonders brutaler Pirat gründet sich auf Greueltaten an der Bevölkerung der von ihm gebrandschatzten Städte, durch die er an versteckte Reichtümer gelangen wollte. 1673 wurde er im Zuge eines neuen Krieges Englands gegen Holland zum Vizegouverneur von Jamaika ernannt, wo er sich 1688 zu Tode trank.

Sir Francis Drake

 

Francis Drake, 1540 bei Plymouth, England, geboren, war zunächst Matrose und rückte bald zum Stellvertreter des Kapitäns John Hawkins auf. Später erhielt Drake sein erstes Kommando im inoffiziellen Kaperkrieg gegen Spanien. Sein größter Coup war der Überfall auf einen spanischen Schatztransport mit einem Beutewert von 40.000 Pfund. 1577 erhielt er den Auftrag, den Pazifik jenseits der Magellanstraße zu erforschen. Drei Jahre später kehrte er nach vollbrachter Weltumsegelung reich mit spanischer Kaperbeute beladen in seinen Heimathafen Plymouth zurück. Für seine Verdienste wurde er von Elisabeth I., seiner heimlichen Förderin, zum Ritter geschlagen. Auf seiner letzten Expedition nach Panama 1596 erkrankte Drake und starb in der Bucht von Portobello.

Susanne Aping