Theater gegen den Hunger

Teatro Trono aus El Alto in Bolivien bietet Kindern eine Alternative zum Straßenleben

von Elena Ern

Marcelo ist Schuhputzer, Mauricio verkauft Bonbons und Catrin Popkorn. Ihr Arbeitsplatz: die Straßen der bolivianischen Stadt El Alto.

 

Die drei sind arm, elternlos und jung, sehr jung. Marcelo ist mit seinen 14 Jahren der Älteste von ihnen. Als ein Polizist vorbeikommt und Geld von ihm verlangt, gibt Marcelo es ihm, obwohl er weiß, dass der Polizist ein Gauner ist. Er hat jedoch keine andere Wahl, denn eines will er auf keinen Fall: in die Erziehungsanstalt von El Alto, die von den Kindern euphemistisch „El Trono“, der Thron, genannt wird. Ein behüteter Ort ist „El Trono“ nicht, vielmehr ein Gefängnis. Nach ihr hat sich die Schauspielgruppe Teatro Trono benannt, die zur Zeit durch Deutschland tourt und auf der Bühne die karikatureske Verzerrung ihres eigenen Alltags darstellt. In der Erziehungsanstalt liegen die Wurzeln des Teatro Trono.

 

Iván Nogales, Leiter und Gründer der Gruppe, arbeitete dort seit Mitte der 80er Jahre als Sozialarbeiter. Er begann mit den Kindern Theater zu spielen. Für sie war das eine Möglichkeit, ihren unaussprechlichen Erfahrungen Ausdruck zu verleihen und neues Selbstbewusstsein zu erlangen. Die fünf Kinder und Jugendlichen, die jetzt in Deutschland zu Gast sind, kennen “El Trono” zwar selbst nicht von innen, wohl aber die Misere auf den Straßen von El Alto. „Für sie ist das Theater Prävention, denn in El Alto gibt es sehr viel Armut und die Gefahr ist groß, auf der Straße zu landen“, erklärt Nogales. Die ersten Kinder, mit denen Nogales vor mehr als zehn Jahren die Gruppe gründete, waren tatsächlich Straßenkinder. Sie stammten aus zerbrochenen Familien, die Eltern waren gestorben, die Polizei hatte sie auf der Straße aufgegriffen, weil sie Drogen nahmen, klauten, oder – wie bei Chila – auf der Straße urinierten. Diese Geschichte hat das Teatro Trono in dem Stück El Meón (der Pinkler) verarbeitet. Den meisten Teilnehmern hat das Projekt geholfen, auf die Beine zu kommen. Doch nicht alle hatten Erfolg: „Der damalige ‚Star‘ der Gruppe, Chila, hat es nicht geschafft. Er ist Alkoholiker und kommt aus dem Teufelskreis nicht heraus“, bedauert Nogales. Es ist bezeichnend, dass das zentrale Stück aus dem Repertoire der Gruppe Vida de Perros (Hundeleben) heißt. Da wundert es nicht, wenn Sektenprediger den Kindern Geld aus der Tasche ziehen, Politiker falsche Versprechungen machen und die Drogenbosse sie für ihre Geschäfte missbrauchen.

 

Der Alltag in El Alto, der ärmsten Stadt Boliviens, ist hart, bis vor etwa 20 Jahren gehörte sie noch zur riesigen Randzone der Metropole La Paz.

 

Mit dem Slogan „Stadt der Zukunft“, feierte sie damals die neu erworbene Unabhängigkeit. Heute hat El Alto beinah so viele Einwohner wie La Paz selbst. Bevölkerungsexplosion, Arbeitslosigkeit, Armut und Drogen sind die Hauptprobleme, mit denen die Stadt zu kämpfen hat. In der „Stadt der Zukunft“ versammeln sich die Außenseiter des Landes. Nogales und die jungen Schauspieler vom Teatro Trono griffen das verblasste Zukunftsmotiv von El Alto auf. Ihr Motto: „Die Zukunft beginnt heute“. Nogales betont: „Das, was morgen sein soll, muss heute beginnen“. Er ist davon überzeugt, dass Bildung, Erziehung und Kultur ebenso dazu dienen, gegen die Misere anzugehen, wie Brot und Arbeit. Deshalb gründete er das Kulturzentrum COMPA (Comunidad de Productores de Artes), zu dem auch die Theatergruppe gehört. Dort organisiert Nogales kulturelle Veranstaltungen und fährt mit seinem reisenden Kulturhaus in Form eines „LKW-Theaters“ durch die Stadt. So bietet er den Armen von El Alto Zugang zu Kunst und Kultur. Als zunächst nicht klar war, wie das Kulturzentrum finanziert werden könnte, schlug der kleine Chila allen Ernstes vor, eine Bank auszurauben. „Wir haben es aber doch geschafft, finanzielle Unterstützung von verschiedenen Einrichtungen zu bekommen“, versichert Nogales.

 

Durch die unbeschwerte Parodisierung der eigenen Situation, schaffen die Kinder eine ausgelassene und humorvolle Atmosphäre bei den Zuschauern. Sie zeigen auch, dass sie sich nicht nur um ihr eigenes Leben drehen, sondern auf die Gesamtsituation Lateinamerikas schauen.

 

Die „Geschichte vom Kampf zwischen chocoleit und chocolate“ ist eine wunderbare Persiflage auf einen nordamerikanischen Händler, der den Kindern für wenige pesitos Kakao abkauft, um dann mit überteurer chocoleit zurück zu kommen. So zeigt das Teatro Trono das Geheimnis des Internationalen Marktes, das so auch in ganz Lateinamerika zu erleben ist. Die Schauspieler erzählen zwar von einem miserablen Leben, zielen aber nie auf Mitleid oder gar Anklage ab. Ein schönes Kunststück.

 

Infos unter

www.kinderkulturkarawane.de 

www.compatrono.tripod.com