Nação Colônia

Der Percussionist Alfonso Garrido über brasilianische Beats jenseits des Samba in Deutschland

Von Alex Martins

Der musikalische Botschafter Brasiliens in Europa heißt Samba, die konsularische Vertretung nennt sich Bossa Nova. Daneben gibt es noch eine große Vielfalt an anderen Rhythmen und Stilen, die aber selbst im Ursprungsland untergingen. Lange Zeit war die Musik des Nordostens in Rio verpönt – ein Umstand, den zum Beispiel Luiz Gonzaga während seiner ersten Karrierejahre zu spüren bekam. Natürlich hat sich seitdem viel verändert. In Zeiten des „Lulismo“ tanzen die Brasilianer von der Amazonasmündung bis zum Rio Grande do Sul auch mal einen Forró. Dem Percussionisten Alfonso Garrido ist es zu verdanken, dass diese vielfältigen Musikstile auch in Deutsch-land zu hören sind. Im Rahmen der Veranstaltung Brasil Colorido (November 2002 in der Bonner Harmonie und diesen Mai im Kölner Stollwerk) trat er mit seinen beiden Projekten auf und sprach über seine musikalische Leidenschaft.

 

Eigentlich trommelt Alfonso für Stefan Raab und dessen Sendung TV Total. Typisch für solche TV-Sendungen, in denen eine vielköpfige Band live für gute Unterhaltung sorgt, ist die Versiertheit der Musiker. Diese bringt Alfonso Garrido auf jeden Fall mit. Vor zehn Jahren beendete er sein Studium am Rotterdams Conservatorium (HMD, Niederlande) und arbeitet seitdem erfolgreich als Percussionist. Der Beruf hält ihn nicht davon ab, seine musikalischen Leidenschaften weiter zu pflegen. Von Hause aus bringt er bereits viel lateinamerikanische Lebensart mit.

 

„Meine Eltern sind aus Chile, ich bin in Berlin zweisprachig aufgewachsen, fühle mich also sowohl als Deutscher als auch als Latino“, stellt er fest. Mit diesem Lebensgefühl fühlt man sich nur in multi-kulturellen Städten wohl: „Während des Studiums pendelte ich oft zwischen Rotterdam und Köln, wohin ich 1997 endgültig gezogen bin. Ich arbeite als Musiker für zahlreiche Projekte, alle im Bereich der Weltmusik und des Jazz, speziell natürlich lateinamerikanische und brasilianische Stile.“ Schon während seines Studiums kam er in Kontakt mit brasilianischen Rhythmen, die in Europa noch recht unbekannt sind: „Über die Hochschule in Rotterdam war ich für drei Wochen mit einem Stipendium zum Karneval in Recife [Anm. der Red.: Im Bundesstaat Pernambuco]. Dort gab es unfassbar viele Möglichkeiten Maracatú und Côco zu erlernen. Seitdem schwirrt diese Musik in meinem Kopf herum.“

 

Von Samba zum Maracatú

 

Später machte es sich Alfonso Garrido zur Aufgabe, seine damals neuen Erfahrungen weiterzuentwickeln und auch an Jüngere weiterzugeben, woraus zwei Projekte entstanden. „Zurück in Deutschland hatte ich die Idee, meine Schülergruppe, die ich bereits in Samba unterrichtete, umzuformen und ein Maracatú-Projekt daraus entstehen zu lassen. Damals waren die Kinder ungefähr sieben oder acht Jahre alt, jetzt sind sie im Jugendalter, und meine Frau Magda – die ich in Brasilien kennen gelernt habe – hat sie im Tanzen unterrichtet“. Das Projekt nennt sich bezeichnenderweise Nação Colônia und hat sich voll und ganz dem Maracatú verschrieben. In Deutschland noch recht unbekannt, hatte der Stil selbst in Brasilien Probleme, sich gegen den mainstream durchzusetzen, wie Alfonso Garrido hervorhebt: „Besonders interessant ist, dass Maracatú in Recife selbst noch vor zehn Jahren fast am aussterben war; hier in Deutschland kenne ich neben uns nur noch drei andere Gruppen, die sich ausschließlich damit beschäftigen. Selbst in Brasilien ist der Stil nicht sehr bekannt. Schwarze Sklaven und die arme Bevölkerung haben den Stil geschaffen, daher war er lange nicht angesehen. Dagegen gibt es tausend Gruppen, die Samba und vor allem Samba- Reggae spielen...“

 

Forró heißt eine weitere Leidenschaft des Percussionisten, auch wenn das entsprechende Projekt für ihn fast zur „Qual“ wird. „Ich spiele und höre diese Musik sehr gerne, aber vor allem liebe ich es, zu ihr zu tanzen. So muss ich – wie heute abend – natürlich die Triangel spielen, während alle anderen dazu tanzen dürfen“, moniert er lachend. Anders als dem Maracatú gelang der Tanzmusik des Nordostens vor einigen Jahren etwas, was ihr keiner zutraute und was den Stil – leider auch mit einigen negativen Effekten – extrem kommerzialisierte: „Diese Tanzmusik des Nordostens ist außerhalb des Karnevals angesiedelt und erreicht ihren Höhepunkt im Juni, im Rahmen der Festa Junina, des Sankt-Johannis-Festes. Forró hatte in Brasilien lange ein Schattendasein als ‘regionale Musik’ der Peripherie, bis – ähnlich wie die Salsa-Welle vor zehn Jahren in Deutschland – in Brasilien seit vier oder fünf Jahren ein regelrechter Boom des Forró fortdauert. In den letzten beiden Jahren ist er nun auch in Deutschland einigermaßen bekannt geworden.“ Ohne Gruppen wie Garridos Caras e Cores würde der Forró in Deutschland kaum wahrgenommen werden. Gelegentlich werden bereits Tanzkurse angeboten.

 

Ein kölsches Projekt

 

Als Musiker, der vor allem die als „sekundär“ angesehenen Stile Brasiliens fördert, ist auch Alfonso nicht entgangen, was viele Migranten zu Genüge kennen: „Die Brasilianer, die in Deutschland leben, kommen zumeist aus anderen Regionen als aus dem Nordosten, und so kannten sie diese Musik selbst kaum. Nicht selten kamen sie zu uns, und sagten, sie hätten erst durch unsere Bands in Deutschland die Musik ihres Landes kennen gelernt“. Für die Brasilianer ist es immer interessant, dass sich Leute aus anderen Ländern so intensiv mit ihrer Musik beschäftigen.

 

„Nação Colônia etwa ist ein rein deutsches, eigentlich ein kölsches Projekt. Als die Maracatú-Gruppe vor zwei Jahren ohne mich in Brasilien war, war das brasilianische Publikum wirklich erstaunt, dass sich überhaupt jemand außerhalb ihres Landes damit beschäftigt. Und dann auch noch Menschen aus dem Land, wo der Mercedes herkommt und es kalt ist.“ Alfonso Garrido hat – neben seiner „hauptberuflichen“ Anstellung bei TV Total – zwei Projekte ins Leben gerufen, die seit einigen Jahren auf hiesigen Bühnen zwei „alternative“ brasilianische Musikstile präsentieren, die zum Tanzen einladen.