Von der Sehnsucht nach Fiktion

Zur Biographie des portugiesischen Fernsehens

von Alex Martins

In Zeiten von Reality-TV, Casting- und Quizsendungen, Seifenopern, digitaler Bildübertragung und öffentlich-rechtlichen Kanälen zeigt ein Rückblick zu den Anfängen der portugiesischen Television, wie aus einem damals als Randerscheinung betrachteten Medienformat ein Massenphänomen wurde. Auch in Portugal stellte das neue Medium aus konservativer Sicht betrachtet anfänglich eine wachsende Gefahr für den traditionellen Zusammenhalt der Familie dar. Heute ist dies überholt, denn das Flimmergerät ist längst Teil der Familie geworden. Ob Fußballspiele oder Kriegsschauplätze, heute ist man überall dabei, wo Entscheidungen getroffen werden. Dabei ist das ehemalige Mutterland längst selbst über die brasilianischen novelas von der ehemals größten Überseekolonie rekolonisiert worden. Das Fernsehen war schon immer ein ambivalentes Geschäft.

 

In den 50er Jahren durchlebte Portugals Einparteienregime unter Salazar seine beste Zeit. Die Verfassung von 1933 wurde per Revision modernisiert, bereits als vollwertiges Nato-Mitglied trat man nun auch den Vereinten Nationen bei. Salazar selbst aber gehörte nicht zu den modernsten Diktatoren. Von seinem Arbeitszimmer aus sprach er sehr gern zu seinem Volk, allerdings nur über den Rundfunk. Vor dem Fernseher fühlte er sich nicht sehr wohl, er konnte das neue Potential, das andere bereits zwei Jahrzehnte früher genial zu nutzen wussten, nicht für seine Machtausübung ausschöpfen. „Dieses neumodische Zeug“ war Salazar nicht geheuer. Er wirkte befangen und steif, wenn er vor die Kameras treten musste. Das Licht der Röhre erblickte das portugiesische Fernsehprogramm erst am 7. März 1957. An diesem Tag wurde die erste Ausstrahlung gewagt, nachdem in den Monaten zuvor die ersten bewegten Fernsehbilder auf der Feira Popular, dem großen Markt Lissabons, aufgenommen und im Tejo-Tal die ersten Sendeantennen aufgestellt worden waren. Bald bezog man im Stadtteil Lumiar die ersten Studios und begann mit sporadischen Übertragungen. Das erste Flimmern in schwarz-weiß sahen zunächst nur wenige. Die preisgünstigste Gelegenheit war bis in die 60er Jahre der Besuch eines Cafés, dass über einen solchen Wunderkasten verfügte. Doch schon bald nach der Erstaustrahlung konnten die wenigen Zuschauer sowohl offiziellen Staatsakten beiwohnen als auch als Katastrophentouristen in ihren Sesseln staunen: zu den ersten Highlights des portugiesischen Fernsehen gehört die Einweihung der großen Christus-König-Statue am Südufer der Tejo-Mündung und der Ausbruch des Capelinhos-Vulkans auf den Azoren. Schon bald gab es die ersten Live-Sendungen in portugiesischer Sprache. Die Ratiotelevisão Portuguesa (RTP) war geboren. TV-Gesichter der ersten Stunde waren der ehemalige BBC-Radioreporter Fernando Pessa und der Sportreporter Artur Agostinho. Pessa beglückte das Publikum noch bis kurz vor seinem Tod im letzten Jahr gelegentlich mit seinem humorvollen und ironischen Reportagen über das Leben der Hauptstadt. Agostinho ist weiterhin aktiv, wenn auch neuerdings als Schauspieler.

 

Das Monopol

 

In den 60er Jahren wurde das öffentlich-rechtliche Fernsehen erstmalig ausgegliedert. Mit RTP 2 kam ein zweites Programm hinzu, dass als einziger Sender seinem Format bis zum heutigen Tage treu geblieben ist. Im Zentrum der Fernsehprogramme standen wieder große Ereignisse wie die Einweihung der Ponte de Salazar (heute Ponte 25 de Abril) über dem Tejo und der Ponte da Arrábida über den Douro. Ebenso zu den Höhepunkten zählten die Weltmeisterschaft in England von 1966 und die Mondfahrt der Apollo 11 im Jahre 1969. Auch bei den Ereignissen, die allmählich das Ende der Diktatur anzukündigen schienen, war die RTP dabei. Reportagen über die Kolonialkriege in den damaligen afrikanischen Kolonien und der sogenannte Unfall Salazars in seinem Arbeitszimmer bzw. die Übernahme der Regierung durch Marcello Caetano wiesen den Weg in eine veränderte Zukunft. Dem folgte auch das TV-Format: mit Zip-Zip wurde 1969 nicht nur die erste moderne Unterhaltungssendung produziert, sie brache auch die ersten lusophonen Fernsehstars in Szene: Raúl Solnado, Carlos Cruz und Fialho Gouveia. Unter dem neuen Intendanten Ramiro Valadão konnte das Programm erheblich modernisiert werden, jedoch gab es noch eine beträchtliche Zensur seitens des Staates. Dies sollte sich bald ändern, und dabei sollte das Fernsehen wieder seiner zentralen Rolle als Medium gerecht werden.

 

(Fernseh-)Revolution

 

In den 70er Jahren wurde viele Weichen gestellt. Salazars letztes Geleit wurde noch im staubigen schwarzweiß gefilmt, das Ende der Diktatur 1974 und die in die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Kolonien markierten eine Wende in jeglicher Hinsicht. Im Fernsehen präsentierte sich nach der erfolgreichen Militärrevolte gegen das alte Regime die übergangsweise regierende Militärjunta unter Führung von General Spínola. In den Jahren danach wurden die ersten Schritte in Richtung Farbfernsehen beschritten. Der jährlichen Grand Prix de la Eurovision de la Chanson war längst zum festen Bestandteil der RTP geworden. Auch wurden für die autonomen Archipele Madeira und Azoren eigene Fernsehanstalten eingerichtet. Das TV-Programm der später 70er und frühen 80er Jahre wurde langsam den modernen europäischen Medien gerecht. Das Fernsehbild wurde bunt, Fußball- und Konzertübertragungen sorgten für Einschaltquoten, während noch recht wenige TV-Filme aus nationaler Produktion es ins Abendprogramm schafften. Dafür wurde das portugiesische Publikum von Hollywood-Kinoklassikern und vor allem von brasilianischen Fernsehserien überschwemmt. Paradoxerweise hatte dadurch das von heimischen Sprachwissenschaftlern so kritisierte Português do Brasil erst recht einen Einfluss auf den Fernsehalltag. In den 80er Jahren konnte die RTP zunehmend auf eigene Produktionen setzen. Die erste portugiesische Telenovela „Vila Faia“ war recht erfolgreich. Mit ihr Verbunden ist Nicolau Breyner, Schauspieler, Kömodiant und TV-Produzent, der neben Herman José, Júlio Isidro und Carlos Cruz einer der wichtigsten Personen des Unterhaltungsprogramms des Jahrzehnts. Durch eigene Produktionsfirmen und immer neue Projekte konnten sie sich bis in die 90er Jahre halten, bis das öffentlich-rechtliche Monopol, wie auch in vielen anderen europäischen Ländern, von aufkeimenden Privatsendern mit einem Mal aufgehoben wurde.

 

Die Privaten

 

Neben den zwei Stationen Canal 1 und Canal 2 (beide RTP, mit Sitz in Lissabon bzw. Porto) konnte man ab dem 6. Oktober 1992 auch den Sender SIC (Sociedade Independente de Comunicação) empfangen. Der erste Privatsender Portugals wurde von Francisco Pinto Balsemão gegründet und wird von ihm bis heute geführt. Balsemão ist Gründungsmitglied der aktuell regierenden sozialdemokratischen Partei (PSD) und hatte nach dem 1980 tödlich verunglückten Francisco Sá Carneiro für eine kurze Amtszeit die Regierungsgeschäfte übernommen (Januar 1981 bis Mai 1983). Seine bisher letzter größere politischer Auftritt war die Nominierung für die Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 1996, wobei jedoch die Partei den ebenfalls ehemaligen Premierminister Cavaco Silva vorzog. SIC wurde rasch zum führenden Unterhaltungssender und bedient heute als Sendergruppe SIC generalista viele verschiedene Bereiche mit den Ablegern SIC Notícias, SIC Online, SIC Filmes, SIC Radical, SIC Gold, SIC Internacional und erst seit kurzem SIC Mulher. Als erster Privatsender setzte SIC auf seichte Unterhaltung, Aushängeschild war die oft parodierte Samstagabend-Sendung „Big Show SIC“. In einem katholischen Land wie Portugal verwundert es nicht, dass auch die Kirche sich Senderrechte sichern konnte. Schon bald musste die Televisão Independente (TVI) jedoch mangels Zuschauer um ihr Überleben kämpfen und wurde kurze Zeit später an private Investoren verkauft, welche den Privatsender nun auf seichte Unterhaltungsformate umstellten. Statt Messen strahlt TVI heute Sendungen wie PlayboyTV aus und hat sich die Rechte für mehrere Staffeln von BigBrother sichern können. Ebenso wie der SIC gelang der TVI die Eigenproduktion von Filmen und vor allem von Dutzenden Seifenopern. Eine weit schlechtere Entwicklung machte der Sender Quatro durch. Er wurde nach nur wenigen Jahren vollständig eingestellt.

 

Neue Formate

 

Die Gesellschaft TVCabo erhielt 1994 die Lizenz für den Betrieb des Kabelnetzes. Mit den damals vier portugiesischen Sendern wurden insgesamt 30 zumeist europäische Sender in die Haushalte gespeist. Im September 1998 schlossen sich die RTP, TVCabo und die Sportgesellschaft Olivedesporto zum privat geführten Sender SporTV zusammen. Die Antwort von RTP 1 & 2 auf die Dominanz der privaten Anbieter kam nur allmählich. Zunächst wurde mit geringem Budget mit RTP Internacional und RTP África die Ausstrahlung portugiesischer Sendungen über Satellit erstmals weltweit möglich. Sie bieten eine in der Qualität stark fluktuierende Programmauswahl der öffentlich-rechtlichen Sender für die portugiesischsprachige Welt. Eine größere Revision und neue Kommerzialisierungswelle des öffentlich-rechtlichen Programmformates ist seit 2002 auf dem Plan. Unter der Devise „12 Meses, 12 Temas“ widmet das Programm der RTP-Sender in vielen seiner Nachrichtensendungen und Dokumentation jeden Monat des laufenden Jahres einem Thema. RTP 2 wird trotz geringer Einschaltquoten und dem aktuell drohenden Verkauf an private Geldgeber weiterhin als einziger Kultursender Portugals geführt und bietet als Ausnahme ein qualitatives Programm und bietet besonders dem einheimischen Kinofilm eine große Bühne. Die Privatensender TVI und SIC hingegen duellieren sich weiterhin auf ihrem eigenen Kriegsschauplatz zwischen Reality-TV, Container-, Casting- und Talkshows bzw. low budget-Filmen und Seifenopern, wobei sie stets aus dem größten Werbeetat schöpfen können und ihnen das Sichern der Sende- und Übertragungsrechte fast immer gelingt.