Punta-Rock und Paranda

Garífuna-Musik aus Belize

von Torsten Eßer

Belize, ein kleiner Staat in Zentralamerika, ist in Europa weitestgehend unbekannt. Erst 1981 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen, entwickelte sich bei der Bevölkerung schnell ein Nationalbewußtsein, das sich auch in einer verstärkten Musikproduktion widerspiegelt. Vor allem die traditionelle Musik der schwarzen Garífuna-Bevölkerung erlebt einen Boom.

 

Innerhalb der schwarzen Bevölkerung Zentralamerikas bilden die Garífuna (Menschen, die Yuccaessen) die kulturell bedeutendste Gruppe. Ihre Geschichte läßt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Gegensatz zu den Arawak-Indianern, die von den Spaniern schnell vernichtet wurden, konnten sich die Kariben aufgrund ihrer militärischen Disziplin auf ihren Inseln im karibischen Becken länger behaupten. Den Engländern und Franzosen gelang es zum Beispiel nicht, St. Vincent zu erobern. Ab 1625 gelangten Afrikaner von gekenterten Sklavenschiffen oder von anderen Inseln nach St. Vincent und in ihrem gemeinsamen Kampf gegen den „weißen Mann“ vermischten sie sich nach und nach mit den Kariben. 1783 erklärten die Engländer St. Vincent zur Kronkolonie und das Leben für die schwarzen Kariben wurde schwerer. 14 Jahre später ließen sich nach einigen Niederlagen und zähen Verhandlungen rund 5.000 Garífuna von den Engländern auf die Insel Roatán vor der Küste von Honduras umsiedeln. Von dort aus besiedelten sie in den folgenden Jahren mit Einverständnis der Spanier den schmalen Küstenstreifen von Honduras und dehnten sich später nach Norden und Süden aus, so dass sie heute von Dangriga (Belize) bis nach Laguna de Perlas (Nicaragua) zu finden sind. Etwa 120.000 Garífuna leben dort.

 

punta

 

Der bekannteste Garífuna-Rhythmus und -Tanz ist die punta. Die Tänzer, meistens Frauen, bewegen nur die Füße und die Hüften. Kommt ein Mann hinzu, dann erinnern die Bewegungen, wie bei vielen Tänzen afrikanischen Ursprungs, an das Werben des Hahns um die Henne. Der Gesang funktioniert nach der call-and-response-Technik: Der Hauptsänger singt einen halben Satz, den der Chor vervollständigt. In Belize ist neben der punta der auf die Sklaven zurückgehende brukdown sehr beliebt. Tanz und Gesang behandeln in humorvoller und satirischer Weise Alltagssituationen und können sowohl nur von einer Gitarre und einer Trommel als auch von einem großen Ensemble begleitet werden. Seinen Popularitätsgewinn seit Ende des 18. Jahrhunderts verdankt der brukdown dem steigenden Bedarf nach Musik für private Feste - Hochzeiten, Geburtstage etc. - und der Abschaffung der Sklaverei, durch die sich ehemalige Sklaven als Musiker betätigen konnten. Den Texten der brukdown-Sänger wird großer Glauben geschenkt: „If a creole person brings news, the story is almost accurate and valid, even if not totally so“, heißt es im Volksmund. Einer der bekanntesten Sänger ist Wilfred Peters jr., der noch im Alter von 70 Jahren aktiv ist. In den 80ern begannen Interpreten wie die Lord Rhaburn Combo dem brukdown moderne Instrumente hinzuzufügen. Junge Musiker wie Bredda David Obi und seine Band Tribal Vibes gingen noch einen Schritt weiter und kombinierten ihn mit Rockmusik und Reggae und nannten den neuen Stil cungo.

 

paranda

 

Paranda ist ein weiterer Garífuna-Rhythmus und ein Lied-Genre, bei dem die Texte einen informativen Charakter haben. Sie erzählen von aktuellen oder historischen Ereignissen oder sie formulieren Sozialkritik. Die meisten Sänger sind schon sehr alt. Erst durch das Engagement des belizischen Produzenten Ivan Duran wurde diese Musik international bekannt. Er machte Mitte der 90er Jahre einige alte paranderos ausfindig – u.a. Paul Nabor und Junie Arranda - und lud sie zu Aufnahmen ins Studio ein: „Es war teilweise sehr schwierig die Aufnahmen zu machen, weil diese Leute noch nie in einem Studio gewesen waren“, erklärt er im Interview. Daraus entstand auf dem einzigen Label Belizes, Duran’s Stonetree Records, die erste Paranda-CD, der weitere folgen sollen. Der populärste Stil unter den modernen Tanzmusiken in Belize ist der punta-rock, der auch viele Anhänger in Guatemala und Honduras hat. Trotz seines Namens hat er mit Rockmusik nur wenig gemein.

 

Traditionelle Trommeln werden mit modernen Instrumenten kombiniert, die rhythmischen Muster stammen von der punta und dem paranda:

 

„Punta Rock ist die belizische Version der afrokaribischen Tanzmusik“ erklärt Andy Palacio, der Star des punta-rock. „Es gibt eine spzezielle Art ihn zu tanzen, mit sehr viel Becken- und Hüftschwung. Ich denke, der Tanz beim punta-rock erlaubt viel freiere Ausdrucksformen als der traditionelle punta. Darum wird er in Clubs, auf der Straße, beim Karneval und auf wilden Parties getanzt.“ Die Erfindung dieses Stils Ende der 70er Jahre wird dem Musiker Pen Cayetano zugeschrieben, der mit seiner Band Pen Cayetano and the Turtles - später Original Turtle Shell Band - als erster der traditionellen punta Perkussion und elektrische Instrumente hinzufügte. Heute bringen Interpreten wie die Garífuna Boys aus Guatemala, Titiman Flores, Mohobob, Andy Palacio oder Aurelio Martínez aus Honduras die Tanzsäle zum Kochen. Denn punta-rock wird auch auf Spanisch gesungen: „Es hängt immer von der Herkunft des Komponisten ab und seiner Sprachbegabung. Wir benutzen die Sprache der Region aus der wir stammen. Aurelio Martínez aus Honduras kombiniert Spanisch mit Garífuna und ich eben Englisch und Garífuna, manchmal auch Spanisch“, sagt Andy Palacio.

 

punta-rockers

 

Er ist der international bekannteste punta-rock-Interpret. Seine Stücke „Bikini Panti“ und „Me goin back“ räumten Ende der 80er Jahre nicht nur die Tanzflächen in Belize ab, sondern setzten auch neue Standards in der Musikproduktion des Landes: Palacio hatte von einem einjährigen Aufenthalt in London nicht nur neue Kompositionstechniken, sondern auch die Ausrüstung für eine Band und ein Studio mitgebracht. Im neuen Sunrise Recording Studio nahm er dann mit vielen Musikern für Stonetree die Compilation „Punta-Rockers“ auf, die diese Musik endgültig auf ein nationales Niveau hob. Der punta-rock profitierte - wie die anderen Stile Belizes - von der 1981 gewonnen Unabhängigkeit von Großbritannien, die den Bedarf nach nationaler Musik stärkte. Da der einheimische Markt winzig ist, leben viele Interpreten in den USA, produzieren und verkaufen dort ihre Alben und schicken sie zusätzlich in die Heimat wie zum Beispiel Aziatic oder die Garifuna Kids. Die meisten belizischen Interpreten veröffentlichen ihre Alben bei Stonetree, denn es ist seit seiner Gründung 1994 immer noch das einzige Label im Land: „Ich studierte Musik und wollte meine Musik veröffentlichen. Da fiel mir auf, dass es im ganzen Land kein Label gab und so eröffnete ich mein eigenes. Als nächstes fragte ich dann Andy Palacio, ob er ein Album bei mir machen wolle. Das wurde zu einem Erfolg, denn wenn man in Belize 2.000 Exemplare verkauft ist das schon viel“, beschreibt Ivan Duran den Erfolg seiner Idee. Stonetree veröffentlicht aber nicht nur Garífuna-Musik: Auch Florencio Mess, ein Harfenist und Instrumentenbauer aus der Maya-Bevölkerung, hat dort ein Album produziert. In Süd-Belize spielen die K’ekchi-Harfenensembles bei Dorffesten auf. Neben der 30saitigen Harfe sorgen Geige und Gitarre für die Tanzmusik.

 

Auf der Suche nach internationalem Erfolg

 

Neben den Garífuna in den spanischsprachigen Nachbarländern sind vor allem die rund 50.000 in den USA lebenden Belizer Käufer der CDs von Stonetree Records. Ohne diese Abnehmer hätte das Label laut Duran keine Überlebenschance: „Wir haben jedoch von Anfang an den Weltmarkt im Auge gehabt. Wir wollten nicht nur unsere CDs exportieren, sondern auch unsere Künstler auf internationalen Festivals präsentieren. Es ist ein langwieriger Prozeß, aber es klappt immer besser. Der einzige Weg für uns zu überleben, ist mit unserer Musik im Ausland Erfolg zu haben.“

 

Ein noch größeres Problem für den punta-rock ist jedoch die Bedrohung der Garífuna-Kultur insgesamt, vor allem weil sie vom Staat nicht gefördert wird. Es gibt keine Schulen, um Garífuna zu lernen. Das Erlernen von Garífuna ist im Bildungssystem Belizes ebensowenig institutionalisiert wie in Honduras oder Guatemala. Dazu Andy Palacio: „Garífuna ist eine aussterbende Sprache. Die paranda-Lieder sind auf bedeutungsvolle Weise mit ihr verbunden. Die Erosion der Sprache unter der jüngeren Generation wird einen großen Einfluss auf deren Fähigkeit haben, diese Lieder aufzuführen und zu singen. Die Wiederentdeckung der Lieder hat geholfen, die Sprache unter der jüngeren Generation wieder ein wenig populärer zu machen“. Positiv für die Zukunft der Garífuna-Kultur könnte sich auch eine Entscheidung der UNESCO auswirken, die Garífuna-Tanz, -Musik und -Sprache als Teil des oralen Erbes der Menschheit deklariert.#

 

  • Andy Palacio. Keimoun (1995)
  • Andy Palacio. Til Da Mawnin (1997)
  • Aziatic. Most Wanted (2000)
  • Bredda David and Tribal Vibes. Raw (1999)
  • Diverse. Paranda – Africa in Central America (2000)
  • Florencio Mess. Maya K’ekchi’ Strings (2000)
  • Mohubub. Belizian Punta Rockers Series 2 (1997)
  • Mr. Peters and his Boom & Chime. Weh Mi Lova Deh (2000)
  • Original Turtle Shell Band. Serewe (1996)
  • Titiman Flores. Fedu (1999)

 

www.stonetreerecords.com