Hispano-Fernsehen erobert die USA

Vom Minoritätenfernsehen zum Marktfaktor

von Karin Gehle

Seit rund 50 Jahren werden spanischsprachige Programme in den USA ausgestrahlt. Mit wachsendem Anteil der Latinos an der Bevölkerung wächst auch der Marktfaktor des Hispano– Fernsehen für die US– amerikanische Fernsehindustrie.

 

Familie Lopez wohnt in East Los Angeles, dem ältesten Latino-Barrio in den USA. Der Fernseher läuft. Es ist Samstagabend und natürlich ist das die Zeit für „Sabado Gigante“ mit Don Francisco. Während Freunde kurz vorbeischauen, oder zu Abend gegessen wird, läuft nebenbei das Fernsehen. Und immer wieder werden bestimmten musikalischen Darbietungen oder bemerkenswerten Comedynummern besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Schließlich nutzten schon Präsidentschaftskandidat Al Gore und US – Präsident Gorge W. Bush dieses Programm als Podium für ihren Wahlkampf und es wurde zum Sprungbrett für Stars wie Enrique Iglesias. „Sabado Gigante“ ist eine Institution im spanischsprachigen Fernsehen und fester Bestandteil des Samstagabends vieler Latino-Familien in den USA. Im November letzten Jahres feierte die Variety-Show, die ein Mix aus Spielen, Comedy, prominenten Gästen und Musikdarbietungen darstellt und vier Stunden andauert, sozusagen das lateinamerikanische „Wetten, dass“ ist, seinen vierzigsten Geburtstag. Jeden Samstag verfolgen mehr als 100 Millionen Zuschauer aus 42 Ländern die Unterhaltungsshow. Die Show kommt wie sein Moderator Mario Kreutzberger alias Don Francisco aus Chile. Seit 1986 wird „Sabado Gigante“ in Miami produziert und von Univision, dem größten spanischsprachigen Fernsehsender in den USA ausgestrahlt.

 

Entstanden ist das spanischsprachige Fernsehen in den USA in den 50er Jahren und wurde auf die schon seit den 20er Jahren bestehenden Radiosender aufgebaut. Der erste hispanische Sender wurde 1955 in San Antonio, Texas, von Raul Cortéz, einem privatem Unternehmer gegründet. Aus Rentabilitätsgründen musste er seinen Sender jedoch wenig später an die Spanish International Communication Cooperation (SICC) verkaufen, hinter der sich im Wesentlichen der mexikanische Medienriese Azcárraga verbarg. Die Familie Azcárraga besitzt den mexikanischen Sender Televisa, der bis 1992 über eine monopolartige Stellung im mexikanischen Fernsehen verfügte und auch heute noch eine marktbeherrschende Position innehat. Unter der SICC Führung entstanden die heute großen Stationen, wie 1962 KMEX Channel 34 in Los Angeles, 1968 WXTV Channel 41 in New York, und schließlich 1971 WLTV Channel 23 in Miami, um die drei wichtigsten zu nennen. Programme wurden aus Mexiko importiert, und anfangs wirklich per „bicycle“ zu den einzelnen Stationen gebracht. Als das Minoritätenfernsehen Gewinne abzuwerfen versprach wurde auch die amerikanische Aufsichtbehörde Federal Communications Commission aufmerksam darauf, denn es ist in den USA für Ausländer nicht gestattet, mehr als 20 Prozent Anteile an einem Fernsehsender zu halten. Ein eventuelles profitables Geschäft wollte man Ausländern nicht überlassen, so dass die SICC- Gruppe einen Großteil ihrer Stationen verkaufen musste. Die Gruppe entschied sich jedoch dazu, gleich den gesamten Sender zu verkaufen, den 1986 der US-amerikanische Postkartenkonzern Hallmark erwarb und in Univision umbenannte. Nach John Sinclair, der das lateinamerikanische Fernsehen untersuchte, liegt darin ein erster Wendepunkt in der Geschichte des spanischsprachigen Fernsehens in den USA. Denn durch den Verkauf sei das Fernsehen raus aus dem Ghetto und ins amerikanische Mainstream Geschäft gerückt. Ein Jahr vor dem Verkauf von Univision entstand Telemundo, der zweite große spanischsprachige Sender.

 

Telemundo legte sehr viel mehr Wert auf in den USA produzierte Sendungen. Das Programm wurde speziell für die in den USA lebenden US-Latinos entwickelt. Wegen des großen Publikumserfolgs dehnte nun auch Univision den Anteil seiner US-Produktionen aus. So wurden in dieser Zeit mehrere erfolgreiche englischsprachige US-Formate ins Spanische für den Hispano-Markt übertragen: beispielsweise „Cristina“, eine Nachmittagstalkshow, die die „Oprah Winfrey Show“ zum Vorbild hatte oder das Frühstücksfernsehen „Despierta America“. Doch immer noch war spanischsprachiges Fernsehen kein profitables Geschäft. Die Werbeindustrie war weiterhin sehr skeptisch über den Nutzen geschalteter Spots in den lateinamerikanischen Medien, so dass es für Univision und Telemundo schwer war, Werbezeiten zu verkaufen. Beide Sender waren nicht in der Lage, die Kosten für ihre Programme zu decken. 1992 musste Telemundo Konkurs anmelden und auch Hallmark bot seinen unprofitablen und hoch verschuldeten Sender zum Verkauf an. Die Mehrheitsanteile von Univision gingen an den Hollywoodproduzenten A. Jerrold Perenchio, die übrigen Anteile kauften Televisa und Venevisión. Telemundo hat in den letzten zehn Jahren mehrmals den Besitzer gewechselt, wie sehr sich jedoch das Interesse an spanischsprachigen Medien verändert hat, zeigte der Verkauf von Telemundo an den Sender NBC im Oktober 2001. NBC zahlte 2 Milliarden Dollar für den noch immer nicht schuldenfreien Sender (Medienexperten schätzten den damaligen Wert auf 1,6 - 1,8 Milliarden Dollar) und stach damit seine Konkurrenten Viacom, AOL Time Warner Inc. und Walt Disney Co aus dem Rennen.

 

Quotenerfolg

 

Den letztlich entscheidenden Wendepunkt zum Erfolg des spanisch-sprachigen Fernsehens kennzeichnet wohl zum einen die Erhebung der Einschaltquoten auch für das spanischsprachige Fernsehen und zum anderen die im Zensus dokumentierten demographischen Veränderungen der amerikanischen Bevölkerung. Seit 1992 an ermittelte das Nielsen Institut für das Latino - Fernsehen Einschaltquoten und zeichnete spezielle Hispano-Fernsehmärkte aus. Von nun an konnten die Sender ihren Forderungen bei den Werbungtreibenden sehr viel besser Nachdruck verleihen. Schnell zeichnete sich eine starke Dominanz von Univision ab, das weiterhin der größte spanischsprachige Fernsehsender ist. Im Februar 2000 konnte Univision einen Marktanteil von 86 Prozent des Hispano-Publikums für sich verbuchen. Heute wird das Network von 97 Prozent aller Latino-Haushalte empfangen und verfügt über 22 eigene Stationen, davon 15 full power stations, 32 terrestrische und 1164 Kabel Affialtes und ist damit das fünftgrößte Fernsehunternehmen in den USA, ganz ungeachtet der Sprache. Zunehmend wird Univision auch ein ernstzunehmender Konkurrent für die vier größten Sender (ABC, NBC, CBS und FOX). In den Sweeps (Sweeps werden vier mal jährlich durchgeführt und erfassen die Zuschauerzahlen der einzelnen Fernsehststionen über einen Zeitraum von vier Wochen und bilden bis zur Durchführung neuer Sweeps die Bemessungsgrundlage der Werbepreise einer jeden Station) im Juli 2001 gewann Univision das Rennen um die höchsten Einschaltquoten in fünf großen Fernsehmärkten. So verzeichnete es in der Zielgruppe der 14 - 34 Jährigen in Los Angeles, New York, Miami, Houston und Dallas die höchsten Einschaltquoten während der Prime Time.

 

Wachstumspotential

 

Neben Univision und Telemundo ist mittlerweile ein dritter Sender entstanden, Hispanic Television Network (HTVN), das sich allerdings hauptsächlich an Latinos mexikanischer Abstammung richtet. Seit Januar 2002 ist Univision mit einem zweiten Sender, Telefutura, auf dem Markt vertreten. Und noch ein fünftes terrestrisch sendendes Hispano-Fernsehen, „Azteca America“, ist im Gespräch. Daneben bestehen mehrere lokale unabhängige Stationen und fünf spanischsprachige Kabelsender. Die bekannstesten sind HBO Latino und Galavision, das auch zur Univision-Gruppe gehört.Zur Dynamik der hispanischen Fernsehindustrie trugen aber auch die ermittelten Bevölkerungszahlen des Zensus 2000 bei. Mit rund 35,3 Millionen stellen die Hispanics die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe in den USA und haben die Gruppe der Afroamerikaner knapp überholt. Gleichzeitig sind Latinos die am schnellsten und stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe in den USA. 2050 werden Hochrechnungen zufolge 96,5 Millionen Latinos in den USA leben und damit ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen.

 

Programmschema

 

Wie sieht nun das Programm hispanischer Medien aus? Dem lateinamerikanischen Fernsehen entsprechend, wird das Unterhaltungsprogramm von spanischsprachigem Fernsehen zu einem Großteil von telenovelas bestritten. Während in lateinamerikanischen Sendern schon bis zu sieben verschiedene telenovelas täglich gezeigt werden, wird dies von Univision sogar noch übertroffen. Der Sender strahlt an Wochentagen neun Stunden telenovelas aus. Die telenovela ist das typische lateinamerikanische Fernsehgenre. Durch den internationalen Handel mit Fernsehprogrammen hat sich verstärkt eine Art panlateinamerikanische Form der telenovela durchgesetzt, deren Plot und sowie auch ihre Figuren Nationen übergreifend sind. Dabei spielt nicht selten Miami als Dreh –und Angelpunkt lateinamerikanischer Wirtschaft und Einkaufsparadies vieler Latinos eine tragende Rolle. Es entsteht eine panlateinamerikanische Ethnizität, und die US-Hispanos gehören als eine Region zu Lateinamerika hinzu. Mit großem Erfolg produzierte Telemundo ab 1988 telenovelas in den USA, deren Geschichten sich um US-Latinos drehten. Da die Eigenproduktionen jedoch schnell zu kostspielig wurden, setzte Univision auf Gemeinschaftsproduktionen mit Televisa.

 

So produzierte Televisa 1993 die telenovela „Dos mujeres, un camino“, die zeitgleich sowohl von Televisa als auch Univision ausgestrahlt wurde. Die Geschichte rankt sich um den Trucker Juan Daniel, „Johnny“, aus Tijuana. Auf seiner Route kommt er häufig ins benachbarte Kalifornien, und obwohl zuhause verheiratet mit Ana Maria, trifft er in einem kleinen kalifornischen Ort das Mädchen Tania, und verliebt sich in die junge Sängerin. Von da ab steht er zwischen den beiden Frauen, die sich unabhängig von ihm auch noch kennen lernen und ohne zu ahnen, dass sie denselben Mann lieben, Freundschaft schließen. Gespielt wird „Johnny“ von Erik Estrada, Star der US-Serie „Chips“ und US-Latino. Mit der Wahl von Erik Estrada, der für die Rolle Spanischkurse besuchen musste, wollte man im besonderem Maße auch Einwanderer zweiter und dritter Generation ansprechen. Die Novela war erfolgreich und so gab es häufiger Gemeinschaftsproduktionen sowohl für den mexikanischen als auch für den US-Markt. Das etwas Eigenes im Entstehen zu sein scheint, zeigt die erste Latino Sitcom „Estamos Unidos“, eine in den USA hergestellte Eigenproduktion von Univision. Diese Sitcom ist nach US-amerikanischen Muster aufgebaut. Es geht um eine Latino-Familie aus San Diego: Ein junges Ehepaar mit ihrem Sohn und den Großeltern. Aus Sicht der jungen Mutter Mari werden die alltäglichen Probleme dieser Familie dargestellt. Die Sitcom reflektiert nicht nur die Situation der US-Hispanos, sondern es wird im Gegensatz zu US-orientierten telenovelas auch ein typisch nordamerikanisches Format dazu benutzt. Das Programm lief 2001 mit großem Erfolg und spiegelt in besonderem Maße das Entstehen eines eigenen Gruppenbewusstseins der US-Latinos wieder. Aber auch in den Infotainmentformaten, die fast ausnahmslos in den USA produziert werden, wird panlateinamerikanische Ethnizität ausgedrückt und gleichzeitig spiegelt sich eine beginnende US-hispanische Identität wider. So stammen die Moderatoren des Frühstücksfernsehen ursprünglich aus Mexiko, Nicaragua und Puerto Rico und ihre Herkunftsländer werden auch häufig thematisiert. Doch gemeinsam wenden sie sich als US-Latinos an ein Latino-Publikum. In den Boulevardmagazinen wird sowohl durch Lifeschaltungen aus unterschiedlichen lateinamerikanischen Metropolen berichtet als auch über Interessantes aus dem Alltagsleben der Latinos in den USA informiert.

 

Informationsverbreitung

 

Nachrichtensendungen nehmen von ihrer Struktur her und ihren Sendeplätzen die US-amerikanischen Fernsehnachrichtensendungen zum Vorbild. Die nationale Nachrichtensendung von Univision „Noticiero Univision“ kommt zweimal am Tag für eine halbe Stunde und wird landesweit ausgestrahlt. Vor allem die Einwanderungs-, Schul – und Ausbildungspolitik und schließlich das Gesundheitssystem sind Themen.

 

Abgesehen davon ist der internationale Blickwinkel der Nachrichten stark auf Lateinamerika gerichtet. Über lateinamerikanische Themen werden dem Zuschauer sehr viel detaillierter Informationen geliefert als beim englischsprachigen Fernsehen. Ähnlich wie die großen drei Sender NBC, CBS und ABC legt auch Univision sein Hauptgewicht auf die lokale Berichterstattung. Die lokalen Nachrichtensendungen, die von jeder Station erarbeitet werden, werden an Wochentagen drei Stunden täglich ausgestrahlt und haben ihren Themenschwerpunkt bei der Latino-Community der jeweiligen Stadt oder des Sendegebiets. Viele der Themen richten sich zunächst an Einwanderer der ersten Generation.

 

Gerade für diese sind die lokalen Nachrichten eine Orientierungshilfe, um sich in der neuen Umgebung zu Recht zu finden. Im Selbstverständnis der Lokalredaktion von KMEX-TV Channel 34 werden die Nachrichten vor allem als Servicefunktion für die Latino-Community betrachtet. Aber auch die lokalen Nachrichten nehmen immer wieder Bezug zu lateinamerikanischen Themen. Wichtig ist hier, dass das Thema Bezug zur lokalen Community hat. Beispielsweise wurde ausführlich über ein Erdbeben in einer zentralmexikanischen Region von KMEX-TV berichtet, da viele Mitglieder der Los Angeles Community dort Familienangehörige hatten und so direkt betroffen waren. Es handelte sich um ein schweres Beben mit mehrenden tausend Toten. Zum Vergleich dazu wurde zur gleichen Zeit in den Lokalnachrichten der englischsprachigen Stationen über ein kleines Beben in der Nähe von Los Angeles berichtet. Über das schlimme Unglück in Mexiko erfuhr der Zuschauer jedoch nichts. Das spanischsprachige Fernsehen hat sich vom unrentablen Minoritätenfernsehen zu einem eigenständigen Hispano-Markt innerhalb der USA entwickelt. Da es in den kommenden Jahren hohe Gewinne abzuwerfen verspricht, sind auch zunehmend angloamerikanische Firmen am hispanischen Markt interessiert, und so unterstützen sie gleichzeitig auch das Fortbestehen der spanischen Sprache und lateinamerikanischer Kultur. Das Entstehen eines derartig ausgebildeten Mediensystems einer Einwandererkultur ist in dieser Form ein absolutes Novum in den USA und trägt mit dazu bei, das Gesicht der USA vor allem im Westen und Südwesten zu verändmern.