Das Ende von Josés Traum

Lateinamerikaner kämpfen und sterben im Irak

von Torsten Eßer

21. März 2003, Umn al Kasr. Der Obergefreite José Antonio Gutierrez (28) aus Guatemala fällt im Kampf um eine Stadt, von der er nie zuvor gehört hatte, in einem Krieg, der nicht der seine war.

 

Bei der US-Armee handelt es sich um eine Berufsarmee, so dass man davon ausgehen könnte, dass jeder Soldat das Todes-Risiko bei seiner Berufsentscheidung bewusst in Kauf nimmt. Doch viele Hispanics und auch Schwarze wählen gezwungenermaßen diesen Weg, aus wirtschaftlicher Not und/oder weil sie nur so in den Genuss einer halbwegs vernünftigen Ausbildung kommen. José Gutierrez war so ein Fall. Er war 1997 als Illegaler in die USA gekommen, auf der Suche nach Arbeit und dem großen Glück. Schon bald wurde er aufgegriffen und nur deswegen nicht abgeschoben, weil er sich gegenüber den Behörden glaubhaft sechs Jahre jünger machte. Eine Pflegefamilie, die Mosqueras in Lomita, Kalifornien, nahm ihn auf. Er lernte Englisch und ging zur High-School. Im Jahre 2002 trat er in das Marinekorps ein, um sich mit dem Geld aus der Armee später einen Traum zu erfüllen: er wollte Architektur studieren. Statt dessen ist er nun einer der beiden ersten gefallenen Marines im Irak-Krieg. In Guatemala war José ein Straßenkind, eines von vielen Tausend. Nach dem frühen Tod seiner Eltern - die Mutter starb als er drei, der Vater als er acht war - schlug er sich mit seiner Schwester auf der Straße durch, bis er von Sozialarbeitern der Casa Alianza aufgelesen wurde, einer Organisation, die sich um diese Kinder kümmert. Das war Mitte der 80er Jahre. Er ging dort zur Schule und lebte mit anderen Jungen in einer Wohngruppe. Hier begann sein Traum, Architekt werden zu wollen. 1992 verließ er die Casa Alianza und fand keine Arbeit, Normalzustand in Guatemala. Fünf Jahre später entschloß er sich, seinem Traum ein Stück näher, das hieß, in die USA, zu kommen. Wie etwa 50.000 weitere Jugendliche und Kinder jedes Jahr, machte er sich durch Mexiko auf den Weg zur Grenze. Der Rest ist bekannt. Das US-Verteidigungsministerium schreibt in einem Bericht aus dem Jahre 2001, dass Hispanics in der Armee nicht überrepräsentiert seien: 109.487 waren im September 2001 erfasst, das sind 9,49 Prozent der aktiven Streitkräfte. Im zivilen Arbeitsleben stellen sie 13,35 Prozent der Arbeitskräfte zwischen 18 und 44 Jahren. Bei den Offiziersrängen waren sie allerdings stark unterrepräsentiert, was nicht mit Zahlen belegt wurde. 1.500 Guatemalteken sind zur Zeit an der Front im Irak, ganz zu Schweigen von der Zahl der Mexikaner, Nikaraguaner usw. “Prima, nun bezeichnen sie José Antonio als Helden. Als er über die Grenze kam, war er für sie nur ein wetback”, entrüstet sich Bruce Harris, Leiter der Casa Alianza in Guatemala-Stadt.

 

22. März 2003, ein Slum in Guatemala-Stadt. Ein Mitarbeiter der US-Streitkräfte überbringt Engracia Clarin, Josés Schwester, die Nachricht von seinem Tod und konduliert. Ihr hatte José regelmäßig Geld aus den USA geschickt.