Ein brüchiges Portrait

Henry Kissinger - ein Saubermann macht sich schmutzig

von Eva C. Hammel

Henry A. Kissinger erhielt den Friendesnobelpreis für seine Verdienste um ein Friedensabkommen mit Vietnam in demselben Jahr, in dem in Chile die Regierung Allende gestürzt wurde. Seit offengelegt ist, dass dieser Putsch auch Kissingers Handschrift trägt, haben sich weltweit Juristen auf seine Fährte geheftet.

 

Ein Blitzlichtgewitter prasselt auf den beinahe 80-Jährigen herab, die herandrängenden Reporter werden von Ordnungskräften beiseite gedrängt. Stellungnahmen seitens des Grauhaarigen mit der seit Jahrzehnten unverändert markanten Brille bleiben aus. Der Friedensnobelpreisträger von 1973, Henry Alfred Kissinger, verschanzt sich hinter Schweigen und flieht in seiner Limousine. Diese Gerichtsreporter sind keine Gratulanten, ihre Fragen erlauben keine selbstzufriedene Darstellung der eigenen Erfolgsgeschichte. Sie fragen nach Mitwissern, Mord, Folter, Komplotten, Staatsterrorismus und Menschenrechtsverletzungen. Der Politikwissenschaftler Kissinger war in den 1950er und 1960er Jahren zeitweise außenpolitischer Berater der Regierungen Eisenhower, Kennedy und Johnson. Unter Präsident Nixon wurde er zunächst Sicherheitsberater, im August 1973 dann Außenminister. Kissinger bekleidete dieses Amt bis Anfang 1977. Seit seinem selbstgewählten Abschied von dem Regierungsamt ist Kissinger als erfolgreicher Publizist und "Elder Statesman" aktiv geblieben. Vor allem als Mitglied in verschiedenen Gremien, Kommissionen und Arbeitskreisen hat er fortlaufend und federführend die außenpolitische Linie der Vereinigten Staaten mitgestaltet. Zuletzt berief ihn George W. Bush zum Leiter der zur Aufarbeitung der Geschehnisse des 11. September 2001 eingesetzten Untersuchungskommission. Anfang der 1980er Jahre gründete er Kissinger Associates Inc., eine Firma für strategisches Consulting, die US-amerikanische Konzerne unter Geheimhaltung ihres Engagements bei der Erschließung neuer Märkte berät. Unter den bekannt gewordenen Klienten sind ITT, Coca-Cola, H. J. Heinz, American Express, die Lockheed Corporation, Arco und die Midland Bank.

Zudem bekleidet er Positionen in den Direktorien von American Express und CBS.

 

Kissinger im Auftrag der US-Wirtschaft

 

Seit in den Jahren 1998 und 1999 klassifizierte Papiere von der US-Regierung freigegeben wurden, die Aufschluss über die US-Aussenpolitik gegenüber Chile seit Beginn der 1970er Jahre geben, ist Kissinger in rechtliches Zwielicht gestoßen worden. Ende des Jahres 1970, als Salvador Allende bereits zum neuen chilenischen Präsidenten gewählt, aber noch nicht vom Kongress als solcher bestätigt worden war, standen sowohl finanzielle als auch politische Investitionen fast einer Dekade US-amerikanischer Hinterhofspolitik auf dem Spiel. Die zu erwartende Nationalisierungs- und Enteignungspolitik Allendes sozialistischer Regierung bedrohte Gewinne und Marktanteile amerikanischer Konzerne, die im Schutz von Washingtons Einsatz enormer finanzieller, politischer und geheimdienstlicher Ressourcen gediehen waren. Dem CIA kam dabei die Rolle des Schuldeneintreibers und einer Investitionsschutztruppe zu. John McCone, Ex-CIA-Chef und nun Vorstand bei ITT, teile Nixons Sicherheitsberater mit, daß ITT bereit sei, einer CIA-Aktion zum Umsturz mit einer Millionen Dollar unter die Arme zu greifen. Dies konnte Nixon nicht ignorieren, da ITT illegal die Kassen seiner Partei füllte. Neben seinen offiziellen Ämtern war Kissinger von 1969 bis 1976 Vorsitzender des sogenannten "40 Committee", dem auch hochrangige Militärs und der jeweils amtierende CIA-Direktor angehörten. Dieses Gremium kontrollierte die geheimen Auslandsoperationen der Regierung. Folglich war Kissinger über alle Geheimoperationen während dieser Jahre zumindest unterrichtet.

 

Durchsetzung amerikanischer Interessen

 

In Zusammenarbeit mit CIA-Direktor Richard Helms entwickelte Kissinger nun eine zweigleisige Politik für Chile. Das offizielle diplomatische Gleis wurde demnach durch ein zweites Gleis ergänzt, das auf die Provokation eines Militärputsches abstellte. Hinderlich bei der Umsetzung des Putsches war die loyale Haltung des chilenischen Militärs gegenüber der Verfassung, personifiziert durch Armeechef General René Schneider, der jedes militärische Vorgehen gegen den neuen Präsidenten ausschloss. Das menschliche Hindernis sollte durch eine Entführung beseitigt werden. Der angestrebte Verlauf der Entführung würde der Öffentlichkeit suggerieren, linke und Allende freundlich gesonnene Kreise stünden dahinter. Ein auf diese Weise verunsicherter Kongress würde Allendes Präsidentschaft die Zustimmung verweigern, so die Strategie.

 

Jedem Offizier, der bereit wäre, die Aufgabe zu übernehmen, wurden 50.000 US-Dollar geboten. Aufgrund der stabilen Lage in Chile hielten selbst Kissingers Mitarbeiter das Unternehmen für wenig erfolgsversprechend, wodurch er sich aber nicht beirren ließ. Er forderte Helms und andere Mitarbeiter auf, mit der Umsetzung des Plans fortzufahren. Der CIA heuerte den rechtsextremen General Roberto Viaux und den Kommandanten der Hauptstadt, General Camilo Valenzuela, an, um Schneider entführen zu lassen. Beide Gruppen wurden bezahlt, auf Anforderung wurden Waffen und Munition zur Verfügung gestellt. Man unterließ Anweisungen darüber, was mit dem Enführten geschehen solle. Nach missglückten Versuchen jeder Gruppe wurde Schneider am 22.10.1970 von Viaux‘ Bande ermordet. Die freigegebenen Dokumente sowie die Aussagen des damaligen US-Botschafters in Chile lassen darauf schließen, dass Kissinger derjenige gewesen sein muß, der die Waffenlieferungen bewilligt hatte. Die Dokumente halten zudem fest, dass Ziel der Operation der Sturz Allendes durch einen Putsch war.

 

Entsprechend wird ein von Kissinger versandtes Telegramm an die Verbindungsleute vor Ort als papiernes Alibi gewertet: die Mitteilung vom 20. Oktober führte Kissinger bei einer späteren Senatsbefragung als Beweis dafür an, dass die Aktion insgesamt abgesagt und die Täter zurückgepfiffen worden seien. Der Wortlaut des Schreibens sowie Aussagen von beteiligten CIA-Agenten lassen Zweifel an dieser Darstellung zu. Auch zeigen die offiziellen Unterlagen, dass der CIA nach Schneiders Ermordung Schweigegelder zahlte und Beweise verschwinden ließ.

 

Staatsterrorismus

 

Die rechtliche Frage, um die es hier generell geht, ist, ob Kissinger als Mitglied der Administration Staatsterrorismus betrieb. Dass er in den frühen 1970er Jahren Hauptarchitekt von Nixons Plan war, Regierungen zu destabilisieren, die Washington ein Greuel waren, ist immerhin ein Indiz. Kissinger besteht auf der Version, er habe den Kontakt mit den späteren Tätern vor der Tat abgebrochen und sie zum Abbruch der Aktion aufgefordert. Die Untersuchungskommission des US-Sentas brachte die Wahrheit nicht zu Tage, da die Aussagen Kissingers und die Darstellungen von CIA-Beamten sich nicht in Einklang bringen ließen. General Schneiders Söhne René jr. und Raúl reichten am 10. September 2001 in Washington Zivilklage gegen Kissinger, Helms und andere Beteiligte der Nixon-Administration ein. Sie fordern Schadensersatz in Höhe von drei Millionen US-Dollar für die Verwicklungen der Beklagten in den Tod ihres Vaters. Diese Klage markiert den ersten Fall, in dem hochrangige US-Beamte im Zusammenhang mit dem Umsturz der chilenischen Regierung verklagt wurden. Gegenwärtig stagniert das Verfahren aufgrund des rechtlichen Manövrierens der Beklagten. Roberto Viaux und Camilo Valenzuela hingegen wurden von chilenischen Militärgerichten einer Verschwörung mit dem Ziel eines Staatsstreichs schuldig gesprochen, Viaux zudem wegen Entführung verurteilt. Der Rolle Kissingers beim Militärputsch von 1973 hat sich bisher kein Gericht angenommen, obwohl seine außsenpolitische Funktion den Schluss nahe legt, dass er bei der vorangehenden Konzeption und Umsetzung einer Destabilisierungsstrategie federführend war. Statt dessen nimmt sich der chilenische Richter Juan Guzman der Frage an, ob US-Beamte den chilenischen Militärbehörden unmittelbar vor dem Putsch oder in dessen Folge eine Liste von möglicherweise linksorientierten Amerikanern zukommen ließen. Die Existenz einer solchen Liste haben deklassifizierte Dokumente bewiesen. Im Juli 2001 reichte Guzman bei den US-amerikanischen Behörden eine Liste mit 17 Fragen ein, deren Eingang zwar bestätigt, bislang aber nicht beantwortet wurde. Kissingers Aussagen in diesem Fall können für den Verlauf des Verfahrens ausschlaggebend sein.

 

Justiz auf den Fersen Kissingers

 

Kissingers hartnäckiges Schweigen frustrierte den chilenischen Richter so sehr, daß er im April 2002 einen Auslieferungsantrag erwog. Seitdem wird auch dieser Fall durch juritische Manöver verschleppt. Kissingers Anwalt verwies Guzmán an das US-State-Department mit dem Hinweis, die Ermittlungen beträfen Kissingers Vorgehen in dessen Eigenschaft als Außenminister, weshalb das zuständige Ministerium die aufgeworfenen Fragen beantworten solle. Andere Gerichte haben unter Rückgriff auf das Weltrechtsprinzip erste Schritte zur juristischen Aufarbeitung der Operation Condor unternommen. Kissingers Aufgabenfelder lassen annehmen, dass er über die Nutzung des US-Stützpunkts in Panama sowie der dortigen Nachrichtentechnik durch die beteiligten Staaten Kenntnis hatte. Im April 2001 erfragte Richter Rodolfo Corral von Argentinien Kissingers Zeugenaussage im Zusammenhang mit der Operation Condor. Kissinger lehnte die Beantwortung der schriftlichen Anfrage ab. Der französische Richter Le Loire überraschte Kissinger während eines Parisaufenthaltes im Mai 2001 mit einer ähnlichen Anfrage.

 

Der Zeuge verließ Frankreich umgehend. Im April 2002 wurde Kissinger in London erwartet. Der spanische Richter Baltasar Garzón ließ die britischen Behörden per Interpol ersuchen, Kissinger zur Operation Condor zu befragen. Garzóns Anfrage bewirkte, dass der britische Richter Tatchell gegen Kissinger Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen in Vietnam unter der Genfer Konvention einreichte. Kissinger sagte seine Vortragsreise nach London ab. Nach wie vor ist es unwahrscheinlich, dass ein ausländisches Gericht einen ehemaligen amerikanischen Regierungsbeamten zwingen könnte, einer gerichtlichen Ladung Folge zu leisten. Abgesehen vom Gerichtsverfahren der Schneider-Söhne ist Kissinger bisher in keinem der Chile betreffenden Prozesse Angeklagter, sondern lediglich als Zeuge vorgeladen. Dennoch ist Henry Kissinger vorsichtig geworden. Kaum, dass er noch Auslandsreisen anträte, ohne zuvor das juristische Terrain abgeklopft zu haben. Kissinger war ein Mann seiner Zeit. Indem er Machtgier und seine persönliche Paranoia vor einer kommunistischen Bedrohung auslebte, setze er die innen- wie außenpolitische Linie seines Landes fort. Mittels seiner Firma blieb der "Elder Statesman" seinen politischen Zielen treu: einer Vielzahl amerikanischer Firmen öffnete er schwierige aber vielsprechende Märkte, so dass aus starken amerikanischen Unternehmen einflussreiche multinationale Konzerne wurden. Den Friedensnobelpreis schließlich kann man ihm wohl schwerlich aberkennen - seine Entscheidungen über Krieg und Frieden, nicht nur in Chile, haben den Wohlstand des amerikanischen Volkes über Jahrzehnte hinweg gesichert.