Deutschland 1953 - Ekuador 2003

Mehr als nur 50 Jahre auseinander

von Alberto Acosta

Seit Jahren können viele Länder des Südens ihre Schulden nicht mehr bedienen, Zinsen und Zinseszinsen türmen sich auf. Sie sitzen in der Schuldenfalle. Auch Deutschland war einmal in dieser Situation. Die junge Bundesrepublik konnte in den ersten Nachkriegsjahren ihre Auslandsschulden nicht bezahlen und war am internationalen Kapitalmarkt nicht kreditwürdig. Anders als die Entwicklungsländer heute, wurde Deutschland damals jedoch von seinen Gläubigern großzügig entschuldet. Das entsprechende Abkommen wurde am 27. Februar 1953 in London unterzeichnet. Ekuador, mit seinen Auslandsschulden in Höhe von 16,3 Milliarden US-Dollar (2002) benötigte heute eine ebenso großzügige Behandlung.

 

Zuweilen scheint es so, dass die Welt sich nicht weiterentwickelt. Nein, man gewinnt sogar den Eindruck, dass sie sich zurückentwickelt, zumindest in so entscheidenden Gebieten wie der Verschuldungsproblematik. Es darf also nicht verwundern, dass die Armut in der unterentwickelten Welt ansteigt. Es lohnt sich deshalb, den Inhalt des „Londoner Abkommens“, das Deutschland erlaubte, endgültig und auf einen Schlag all seine Verschuldungsprobleme zu lösen, mit der Wirklichkeit der durch die Auslandsverschuldung verarmten Länder zu vergleichen. Deutschland erzielte beneidenswerte Vorteile. Wenn man die Behandlung, die die Gläubiger Deutschland angedeihen ließen, mit der Situation Ekuadors vergleicht, bemerkt man einen dramatischen Unterschied vor allem in den entstandenen Konsequenzen:

 

1. Anfang der 50er Jahre hatte Deutschland einen Schuldenberg von über 44 Milliarden Mark angehäuft: 13,5 Milliarden Mark Vorkriegsschulden, 16,2 Milliarden Mark, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere von den USA, zur Finanzierung des Wiederaufbaus erhalten hatte, sowie 14,6 Milliarden Mark aufgelaufene Zinszahlungen auf die Vorkriegsschulden. Deutschland erhielt in nur einem Verhandlungsprozess einen Nachlass zwischen 50 und 75 Prozent seiner Auslandsschulden. Ekuador erreichte in einer der vielen Verhandlungen der letzten Zeit eine Reduzierung seiner Schulden bei privaten Gläubigern um knapp 30 Prozent durch den Umtausch von Brady-Schuldverschreibungen in neue Schuldverschreibungen im Jahr 2000 (bonos globales, die sich erneut als unbezahlbar herausstellen); dazu kamen die parziellen Umschuldungen in sieben überflüssigen Abkommen mit dem Pariser Club seit 1983. Währenddessen stiegen die Schulden des Landes bei den multilateralen „Entwicklungs“-Organisationen, wie der Weltbank, von Jahr zu Jahr weiter an.

 

2. Deutschland erreichte eine weitgehende Reduzierung der Zinssätze, die sich bei weniger als fünf Prozent einpendelten. Ekuador bezahlt bei vielen seiner Gläubiger höhere als die marktüblichen Zinsen: Bei einem Teil der globalen Schuldverschreibungen liegen sie beispielsweise bei 12 Prozent.

 

3. Die Höhe des Schuldendienstes Deutschlands richtete sich nach der finanziellen Belastungsfähigkeit seiner Wirtschaft, basierend auf Daten, die der Bankier Hermann J. Abs geliefert hatte, der die deutsche Delegation in London anführte. Die Belastungsfähigkeit wiederum wurde an den Erfolg des Wiederaufbaus gekoppelt. In Ecuador hingegen legten die Gläubiger, also der Internationale Währungsfond (IWF) und der Pariser Club, die Höhe des Schuldendienstes fest. Dabei berücksichtigten sie nicht den negativen Effekt auf das außenwirtschaftliche Gleichgewicht und sie fügten auch keine Risiko-Klauseln ein, die einen evtl. Preisverfall bei den Exportprodukten berücksichtigten.

 

4. Im „Londoner Abkommen“ wurde die Anrufung eines unabhängigen Vermittlers ermöglicht, auf den jedoch nie zurückgegriffen werden musste, weil die gewährten Konditionen so vorteilhaft waren. Im Fall der heute verschuldeten Länder gibt es nicht nur keine solche Möglichkeit; vielmehr hat der IWF angekündigt, eine solche Institution nur unter seiner Kontrolle zu schaffen.

 

Schuldenlast erdrückt Ekuador

 

Zusätzlich sollte man sich in Erinnerung rufen, dass der deutsche Schuldendienst von den Gläubigern an die Existenz eines Handelsbilanzüberschusses gekoppelt wurde. So erreichte das Verhältnis von Export zum Schuldendienst 1959 seinen Höchstwert mit 4,2 Prozent. Ein Wert, der sehr weit von den 30 Prozent entfernt liegt, die die lateinamerikanischen Länder seit Jahren von ihren Exporten als Schuldenzahlungen leisten müssen. Und nur um daran zu erinnern: Deutschland musste selbst während der Wirtschaftskrise der 20er Jahre nie mehr als 20 Prozent seiner Exporterlöse für den Schuldendienst ausgeben. Ekuador hingegen opferte in den letzten Jahren rund 40 Prozent seiner Exporterlöse für den externen Schuldendienst, im Jahr 2003 werden es sogar 45 Prozent sein. Während also der Schuldendienst 1953 4,49 Prozent der öffentlichen Ausgaben Deutschlands ausmachte, sind es im Falle Ekuadors 50 Jahre später 41 Prozent. Es ist daher nicht erstaunlich, dass Ekuador dieses Jahr, obwohl es gerade seine 10. Absichtserklärung seit 1983 mit dem IWF unterschrieben hat (oder gerade deswegen), durch seinen Schuldendienst weiterhin netto Dollars exportiert: das Land wird 2003 791 Millionen Dollar an Krediten erhalten, während es 919 Millionen an Zinsen und Tilgungen zahlen muss. Insgesamt betrug der Abfluss in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als zehn Milliarden US-Dollar. Was für ein Gegensatz! Während Ekuador sich in einem Teufelskreis immer neuer Verhandlungen und steigender Verarmung befindet, bedeutete das „Londoner Abkommen“ für Deutschland den Beginn des Wirtschaftswunders. In kurzer Zeit verwandelte sich das Land in einen der wichtigsten internationalen Gläubiger.