Die Präsidentenmacher

Zur Geschichte des brasilianischen Fernsehens: Ein Oszillogramm zwischen Konsum und Macht

von Robert Zängerle

Brasilien ist eine Fernsehnation und der Wahlkampf eine telenovela. Sein Ausgang kann nicht mit Sicherheit vorher gesehen werden, aber er ist berechenbar, weil sich Drehbücher stets an die Regeln der Dramaturgie halten. Ihre Schreiber sind die Wahlkampfmanager der Kandidaten.

 

Parteiprogramme spielen kaum eine Rolle, viele haben überhaupt keine. Allein Lula verfügt über eine halbwegs ideologisch gefestigte Basis, aber auch Abgeordnete seiner Partei sind Inhaber von Fernsehlizenzen. Die aktuelle Struktur des Fernsehens und ihre Verflechtung mit den Eliten ist das Ergebnis eines dynamischen Prozesses, der im Laufe der Entwicklung unterschiedliche Phasen durchlaufen hat.

 

Wahlkampf in Brasilien, so wie er im Herbst 2002 stattfand: Morgens werden in der Zeitung von Millionen die Wenn-morgen-Wahl-wäre-Kurven der vier aussichtsreichen Kandidaten betrachtet. Im Laufe des Tages verfolgt der Wähler die Nachrichten im Fernsehen und achtet darauf, ob ein Kandidat den anderen verunglimpft, ein Skandal aufgedeckt wird, oder ein Wirtschaftsfachmann den Untergang des Landes im Falle der Wahl eines bestimmten Kandidaten prophezeit. Am Abend haben sich die Kurven der Meinungsforschungsinstitute erheblich verändert. Ein Bewerber taucht aus dem Nichts auf um am nächsten Tag wieder im Nichts zu verschwinden. So geschehen mit der Kandidatin Roseana Sarney – die Tochter eines Ex-Präsidenten - von der Partei der liberalen Front. Leider war bekannt geworden, dass sie Wahlkampfgelder in Höhe von umgerechnet 600 000 Euro zweifelhafter Herkunft in ihrem Haus hortete. Fernsehteams filmten begeistert Geldbündel, die in ihrer Wohnung herumlagen. Wie groß der Einfluss der Medien ist, lässt sich auch anschaulich am Beispiel des Präsidentschaftsbewerbers des Regierungsbündnisses, José Serra, erkennen. Serra lag in den Prognosen auf Platz drei mit Tendenz nach unten. Wahlforscher sagten trotzdem voraus, dass er sich auf Platz zwei verbessern werde. So kam es auch: Den wundersamen Aufstieg begünstigte ein eilig erlassenes Gesetz, nachdem sich die Zeit in den öffentlichen Fernsehprogrammen für die Wahlwerbung der Bewerber, nach der Größe der im Kongress vertretenen Parteien bemisst, die ihn unterstützen. Doch das ist Geschichte: Nun ist es Lula! Er hatte angekündigt, die Kommunikation mit dem Wahlvolk über das Fernsehen zu führen. Die Kampagne seines Wahlkampfberaters Duda Mendoça ist aufgegangen: Allgegenwärtig war der Charismatiker auf den Programmen, die quotenträchtigsten Sendungen nudelten seine Biographie rührselig rauf und runter, stets umringt mit Kindern und Blumen in allen Farben. Luiz Ignázio Lula da Silva ist ein Konsumprodukt, das in die Zukunft gerichtete Bedürfnisbefriedigung verspricht. Doch wie kam es dazu, dass das wichtigste Monomedium des Landes zum Verlautbarungsorgan der Machteliten missbraucht wird und gleichzeitig den Begierlichkeiten der werbetreibenden Industrie perfekt gehorcht?

 

Das Experiment

 

1922 feierten die Einwohner Rio de Janeiros die erste Hörfunkübertragung Brasiliens, eine Ansprache des Präsidenten. Im darauffolgenden Jahr wurde die erste Radiostation, Radio Sociedade, gegründet. In der Periode der Extension des Radiosystems wurde 1950 in Brasilien als erstes Land Lateinamerikas und sechstes in der Welt das Fernsehen eingeführt. Das Medienkonglomerat Diários Associados im Besitz von Assis Chateaubriand hob in São Paulo mit TV Tupi den ersten Fernsehsender aus der Taufe. Zunächst kam es zu einer Reihe von Gründungen weiterer Fernsehstationen in den großen Städten, die alle vorerst eine lokale Angelegenheit blieben: TV Tupi in Rio de Janeiro (1951) und TV Record in São Paulo (1952) um hier nur die wichtigsten zu nennen. Die Träger waren Inhaber von Radiostationen, Pressorganen oder in anderen wirtschaftlichen Bereichen wie z.B. dem Kaffeeexport tätig. Das brasilianische Fernsehen dieser Zeit war geboren für die Ausweitung des kulturellen und politischen Einflusses des Eigners, entwickelt für eine urbane Elite und basierte auf schwachen ökonomischen Strukturen. In dieser ersten Phase versuchten die Fernsehmacher verschiedene Programmformen zu entwickeln und mit diesen zu experimentieren. Bereits einen Tag nach der ersten Fernsehübertragung von TV Tupi strahlte dieser seine erste Nachrichtensendung Imagens do Dia aus. Andere Programmformen waren das teleteatro, ein Fernsehbühnenstück nach der Vorlage von Filmen oder Romanen. 1952 wurde von TV Tupi São Paulo die erste Fernsehserie, O Julgamento de João Ninguém nach einer Erzählung von Ben Hecht gesendet. Schnell wurden auch die US-amerikanischen Programmformen adaptiert und Gesprächsrunden oder Quizsendungen ausgestrahlt. Schon in dieser Zeit war der US-amerikanische Einfluss durch die starke Präsenz von nordamerikanischen Dokumentarfilmen evident.

 

Die Expansion

 

Das Fernsehen hat sich nun nur langsam, unter Schwierigkeiten und auf der Achse Rio de Janeiro-São Paulo ausgebreitet, was auf die anfänglich geringe Resonanz des Mediums zurückzuführen war. Im ersten Jahr gab es nur 200 Empfänger, 1955 waren es bereits 7000, 1960 schon 600 000 aber bis 1965 nicht mehr als zwei Millionen Fernsehgeräte bei zuletzt 52 Millionen Einwohnern. Bereits 1952 produzierte die Werbeagentur Walter Thompson die ersten Werbesendungen für das brasilianische Fernsehen und begann mit Sponsoring. Dieselbe Agentur war auch dafür verantwortlich, dass zum ersten mal US-amerikanische Filme für das portugiesischsprachige Publikum synchronisiert wurden.

 

Die geringe Verbreitung des Fernsehens ließ ein Interesse der Werbeindustrie jedoch nicht recht aufkommen. Dies änderte sich 1960 mit der Einführung der Magnetaufzeichnungstechnik. Nun war es möglich sog. Jingles, Spots, etc. vorzuproduzieren, die dann in das Programm eingespielt werden konnten. Unter der Militärherrschaft (1964-1985) setzte die Expansion des Fernsehens in größerem Maße ein. Die Militärs sahen im Fernsehen zunächst ein geeignetes Instrument zur Schaffung einer nationalen Identität. Die Heterogenität der verschiedenen Regionen sollte überwunden und ein einheitliches Bild von Brasilien geschaffen werden, das aus der Sicht der Machthaber dann des Staates zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit bedurfte. Hand in Hand mit dieser Intention gingen die ökonomischen Interessen der Militärregierungen. Diese waren auf das Wachstum eines urbanen und industriellen Arbeitskräfteangebotes gerichtet, um die Ziele der ehrgeizigen industriellen Modernisierungspolitik verwirklichen zu können. Ein weiterer Aspekt bestand darin, das Konsumverhalten der Bevölkerung gezielt beeinflussen zu können. Das Medium Fernsehen mit seinen relativ geringen Distanzüberwindungskosten schien nun optimal, die brasilianische Bevölkerung auch in den weit entlegenen Regionen auf diese Ziele einzuschwören und mit einer zielgerichteten Informationspolitik zu lenken. Hierfür musste ein flächendeckendes Netz von Sendestationen geschaffen werden. Zu diesem Zweck erfolgte 1965 die Gründung von EMBRATEL (Empresa Brasileira de Telecomunicações). Die Aufgabe von EMBRATEL bestand neben der Errichtung anderer Telekommunikationsdienste vor allem im Aufbau eines Mikrowellenverbundes, der Fernsehübertragungen von und in alle Regionen des Landes ermöglichte. Die nach 1964 etablierte Elektroindustrie war eine weitere Vorraussetzung für die Ausbreitung des Fernsehens zum Massenmedium. Noch unter der ersten Militärregierung von Humberto Castelo Branco (1964-1967) wurde ein Konsumentenkredit eingeführt, der es ermöglichte, ein Fernsehgerät zu erwerben und in einem Zeitraum von bis zu 36 Monaten abzubezahlen. Die hohe Urbanisationsrate und die schnelle ökonomische Entwicklung führte innerhalb von nur zehn Jahren zu einer Fernsehversorgung von 43 Prozent aller Haushalte, die Anzahl der Fernsehgeräte stieg von 1965 mit 2,2 Millionen auf 8,9 Millionen im Jahr 1974. Parallel zu diesen Entwicklungen begann der Aufstieg des 1965 erstmals sendenden TV Globo des Medienunternehmers Roberto Marinho. Dieser erfreute sich der Gunst der Militärs, da er den Golpe (der Putsch von 1964) in seiner Tageszeitung O Globo und Rundfunkanstalt Rádio Globo unterstützte. Selbstzensur und willfährige Berichterstattung des Medienkonglomerats erwiesen sich als äußerst kompatibel mit der Doktrin der „Nationalen Sicherheit“, die den Massenmedien - speziell dem Fernsehen - eine besondere Rolle im Bereich Bildung und Kultur zuordnete. Auf die Eigentümer anderer Fernsehsender hingegen wurde politischer Druck ausgeübt. So wurde das damals auf dem Markt herausragende Unternehmen TV Excelsior, hinter dem die im Kaffeeexport aktive Simonsen-Gruppe stand, die ihrerseits Verbindungen zur 1964 gestürzten Goulart-Regierung hatte, wirtschaftlich behindert und in eine Finanzkrise gedrängt. 1970 wurde TV Excelsior schließlich die Sendeerlaubnis entzogen.

 

Konsolidierung

 

Charakteristisch für die Konso-lidierungsphase ist die Etablierung und der Ausbau von Networks mit nationaler Reichweite. TV Globo besaß zunächst nur Konzessionen in Rio de Janeiro, São Paulo und Belo Horizonte. Bis 1973 kamen Brasília und Recife dazu. Mit dem Anschluss weiterer Sender vereinten sich bis 1983 insgesamt 36 Sendestationen unter der Führung von Roberto Marinho. Dies erst ermöglichte die landesweite Ausstrahlung von Fernsehsendungen. Die wachsende Macht von TV Globo veranlasste die Militärregierung, zwei neue finanzstarke Fernsehanbieter zuzulassen, die zum Aufbau von konkurrenzfähigen Networks geeignet schienen: Ersteres nannte sich Sistema Brasileiro de Televisão (SBT) und gehörte zur Unternehmensgruppe von Silvio Santos, zu dem 49 Unternehmen aus anderen Sektoren zählten. SBT erschien 1980 mit insgesamt 17 Sendestationen auf dem Fernsehmarkt. Das zweite Network nennt sich Rede Manchete (seit 1999 Rede TV) und gehörte zur Unternehmensgruppe des Herausgebers Adolf Bloch, der dieses Unternehmen auch gründete. 1980 wurden die Lizenzen der Fernsehstationen des Pioniers TV Tupi nicht wieder erneuert. Als offizieller Grund wurden Unregelmäßigkeiten in der Lohn- und Steuerzahlung genannt. Ein Teil der Fernsehstationen und -frequenzen TV Tupis wurden dem bereits bestehenden Rede Bandeirantes zugeschlagen, so dass am Ende der Militärdiktatur und beim Übergang zu einem zivilen Regierungssystem 1985 insgesamt vier namhafte, nationale Networks bestanden: Allen voran Rede Globo dann SBT, Rede Manchete und Rede Bandeirante. Ein weiteres herausragendes Merkmal dieser Phase war die Entwicklung und der Einsatz der Satellitentechnik. Bereits die brasilianische Beteiligung an INTELSAT ermöglichte in Brasilien die Direktübertragung sowohl der Mondlandung 1969 als auch des Sieges der brasilianischen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko. Zum Ausbau dieser Technik wurde zunächst auf internationale Kooperation gesetzt. So gründete Brasilien 1971 mit Argentinien, Kolumbien, Chile, Spanien, Mexiko, Peru, Panama, Portugal und Venezuela die Organisation for Iberoamerican Television (OIT). Die OIT war eine nicht-kommerzielle Organisation mit der Aufgabe des Programmverkaufs bzw. -austausches via Satellit.

 

Nationalistischer Argwohn ließ die brasilianische Regierung jedoch früh an ein eigenes Satellitenprogramm denken. Zum einen wurde dadurch die Lösung des nationalen Kommunikationsproblems generell erhofft, zum anderen gaben US-amerikanische Studien die Anregung zu sog.

 

Bildungssatelliten für Entwicklungsländer. Gedacht war an ein nationales Entwicklungsprogramm zur Aus- und Weiterbildung von Lehrern. Als Folge der Wirtschaftskrise von 1974 wurde SACI nach kurzem Modellversuch im Bundesstaat Rio Grande do Norte vorerst auf Eis gelegt und später nicht weiterverfolgt. Erst 1982 beauftragte die Regierung ein US-Konsortium mit der Lieferung von zwei Satelliten, die schließlich 1985 in ihre Umlaufbahn gebracht wurden. War bis dahin Rede Globo das einzige Network, das durch den Mikrowellen-Verbund in allen Landesteilen vertreten war, bauten über BRASILSAT nun auch SBT, Rede Manchete und Rede Bandeirantes ihre Reichweiten drastisch aus. Im Laufe dieser Entwicklung stieg die Anzahl der Fernsehgeräte in der brasilianischen Bevölkerung. So waren 1980 fast 17 Millionen Fernsehgeräte bei einer Gesamtbevölkerung von 119 Millionen im Gebrauch. Die Marktstruktur des brasilianischen Fernsehens hat sich mit dem Übergang zu einer zivilen Regierung bis heute ihrem Wesen nach nicht verändert. Verantwortlich hierfür scheint die starke marktwirtschaftliche Ausprägung des Mediensystems, das diesem trotz der evidenten politischen Einflussnahme auch unter der Militärdiktatur bescheinigt wird. Die einzige Innovation in der Phase der Demokratisierung bis heute, die zu Strukturverschiebungen geeignet scheint, besteht in der relativ späten Einführung des Kabelfernsehens im Jahr 1994 und dessen zusätzlichen z.T. kostenpflichtigen Anbietern. Das Fernsehen ist heute das am meisten verbreitete und genutzte Massenmedium Brasiliens. Die Gründe hierfür sind vielfältig und neben der Entwicklungsgeschichte vor allem in der sozialen, wirtschaftlichen und geographischen Situation des Landes zu suchen. Im Unterschied zum dezentral strukturierten Hörfunk wird das Fernsehen überwiegend überregional verbreitet. Hierfür sind vor allem die hohen Kosten des Fernsehbetriebs verantwortlich, die beim zehnfachen der Kosten für den Hörfunkbetrieb liegen, die sich nur durch eine großräumige Ausstrahlung decken lassen. Nur 23 der 252 Fernsehanstalten befinden sich nicht in privater Hand, sondern sind unter dem Namen TV Educativa und TV Cultura zu einem staatlichen bzw. einem unabhängigen nationalen Network zusammengeschlossen.

 

Information

 

Auch die Gestaltung der Nachrichtensendung entspricht dem US-amerikanischen Vorbild, besonders seit von den meisten Sendern das Modell der Anchorperson übernommen worden ist. Die erfolgreichste und seit 1965 täglich um 19:45 Uhr ausgestrahlte Nachrichtensendung ist das Jornal Nacional von Rede Globo. Sie beinhaltet 25 Minuten Nachrichtenbeiträge und ist durch vier Werbeblöcke unterbrochen, von denen jeder fünf Minuten dauert. Dies bedeutet, dass die Hälfte der Gesamtsendezeit von 50 Minuten für Werbung aufgewendet wird. Von den vier Nachrichtenblöcken ist einer für internationale Nachrichten reserviert. Neben reinen Nachrichtensendungen, die im übrigen von allen vier Networks gesendet werden, bestehen wenig weitere Informationsprogramme. Hierzu gehören vor allem wieder Produktionen von Rede Globo, wie z.B. Globo Repórter, die einzige Dokumentarsendung im werbefinanzierten brasilianischen Fernsehen, und die wöchentliche Infotainement-Show Fantástico. Diese äußerst erfolgreiche Sendung besteht zu 47 Prozent aus sog. Softnews, zu 19 Prozent aus Werbung und zu 34 Prozent aus Showeinlagen. Auffallend an allen Infor-mationsprogrammen ist die breite Berichterstattung vor Ort, die stets auch mit Kommentaren aus der Bevölkerung unterlegt ist. Einvernehmlich wird von Kritikern bemängelt, dass die Tendenz zur Berichterstattung über Sensationen, spektakuläre Szenen oder die Darstellung von Gewalttaten allesamt mit wenig Informationsgehalt sehr stark ist. Viele dieser Darstellungen sind ohnehin laut Verfassung verboten, thematisiert wird das Problem jedoch erst in neuerer Zeit. Die Sender sind per Gesetz dazu verpflichtet, täglich eine Stunde Bildungsprogramm zu senden. Dieser Verpflichtung kommen sie abhängig vom Sender in den frühen Morgenstunden zwischen 5:50 Uhr und 7:30 Uhr nach.

 

Bauchladen telenovela

 

Unterhaltungsprogramme nehmen im Programm des brasilianischen Fernsehens den größten Raum ein. Die bei weitem bekannteste Unterhaltungsform ist die telenovela. Sie hat innerhalb des Gesamtprogramms bei allen Networks vorrangige Bedeutung, da sie auf das größte Zuschauerinteresse stößt. So sind in der Prime Time des Marktführers Rede Globo Einschaltquoten zwischen 80 und 90 Prozent keine Seltenheit. Die telenovela entwickelte sich aus der US-amerikanischen Soap Opera, hat sich von diesem Modell jedoch bald gelöst, so dass in ihr heute eine eigenständige Ausdrucksform brasilianischer Popularitätskultur gesehen wird. Sie ist eine stark dramatisierte Langserie, die bis zu 200 Folgen und eine Laufzeit von einem halben bis zu einem ganzen Jahr haben kann. Die Themen spiegeln Lebensbereich und Probleme der weißen Oberschicht, jeweils angereichert durch aktuelle Tabus oder Aufsehen erregende gesellschaftliche Ereignisse, wie z.B. Aids, Korruption, Homosexualität, Leihmutterschaft etc., jedoch ohne tatsächliche systematische Gesellschaftskritik zu üben. Die Dramaturgie ist dabei auf die regelmäßig eingeblendeten Werbeblöcke ausgerichtet, so dass die Drehbuchschreiber auf ständigen Austausch mit der Werbeabteilung angewiesen sind. Alle vier Networks senden täglich meist parallel telenovelas, jedoch nur Rede Globo und Rede Manchete produzieren ihre Folgen selbst. SBT strahlt dagegen telenovelas aus anderen lateinamerikanischen Ländern, hauptsächlich aus Mexiko, aus. Bei der starken Präsenz von brasilianischen telenovelas in der Prime Time darf jedoch nicht übersehen werden, dass im Unterhaltungssektor der Anteil an ausländischen Produktionen relativ hoch ist. Verantwortlich dafür ist der Import von ausländischen Spielfilmen, denn die nationale Filmindustrie wurde durch die Deregulierung im Rahmen der Wirtschafts- und Währungspolitik der Regierung Collor de Mello Anfang der neunziger Jahre fast vollständig zum Erliegen gebracht. Der Markt für Spielfilme ist somit fast ausschließlich in US-amerikanischer und japanischer Hand. Großer Beliebtheit erfreuen sich neben zahlreichen Quiz- und Spielshows vor allem auch humoristische Serien, jeweils konzipiert und präsentiert von namhaften brasilianischen Showgrößen wie z.B. Jô Soares, deren Inhalte oft aus politischer Travestie und Satire bestehen. Von 8:00 Uhr morgens bis 12:00 Uhr mittags sendet Rede Globo sein Kinderprogramm. Bis 1993 begann der Morgen für das infantile Publikum mit der legendären Xou da Xuxa, die später bei einem US-amerikanischen Network unter Vertrag genommen wurde. Die Sängerin und Kinder-Showmasterin Xuxa wurde häufig als „Bauchladenverkäuferin der Spielzeugindustrie“ bezeichnet. Dieser Vergleich charakterisierte die durch permanente Schleichwerbung für Spielzeug und Kindermoden bis zum Äußersten kommerzialisierte Kindershow treffend. Unterbrochen wurd die vierstündige Show von Gewalt- und High-Tech-Animationsfilmen aus Japan und Musikvideos der Globo-eigenen Plattenfirma Som Livre. Die soziale und regionale Heterogenität der brasilianischen Bevölkerung erklärt den Erfolg des Fernsehens als wichtigstes Massenmedium des Landes. Auf der Vertriebsseite sind die geringen Distanzüberwindungskosten im Vergleich zu Printmedien hierfür Ausschlag gebend, auf der Bezugsseite erklärt die Gebührenfreiheit die Überlegenheit des Fernsehens auf dem Markt gegenüber der Zeitung, die beim Kauf dem Preis einer einfachen Mahlzeit entspricht. Eine weitere Erklärung liefert die hohe Analphabetenrate Brasiliens. Der Anteil des Fernsehens am gesamten Medienmarkt verdeutlicht auch die vorrangige Bedeutung dieses Mediums für die Werbeindustrie. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre erreichte der Anteil des Fernsehens an den Gesamtwerbeinvestitionen die 50 Prozent-Marke. Als Folge der brasilianischen Industrialisierungspolitik hat sich ein hoch konzentrierter Industriesektor herausgebildet, der durch oligopolistische Marktstrukturen gekennzeichnet ist. Staatliche, nationale und multinationale Konzerne dominieren die Märkte für Konsum- und Industriegüter.

 

So ist es keine Überraschung, dass die 30 größten Werbekunden des Fernsehens in der Mehrheit Bestandteil oligopolistischer Märkte sind und zumeist multinationale Unternehmen. Diese Unternehmen sind ihrem Wesen nach der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie, der Chemie- und Pharmaindustrie, der Textilindustrie, der Elektroindustrie, dem Bankensektor und insbesondere der Automobilindustrie zu zu rechnen.

 

Recht und Gesetz

 

Als Folge der mehrfachen Umbrüche in der Geschichte Brasiliens haben sich auch die rechtlichen Grundlagen und damit der Handlungsspielraum der Massenmedien geändert. Für das Medium Fernsehen waren zwei Umbrüche von besonderer Bedeutung. Zum einen die Machtübernahme der Militärs 1964 und die ihr folgende autoritäre Verfassung von 1967, zum anderen der Übergang zu einer Zivilregierung 1985, gefolgt von einer neuen Verfassung, die schließlich am 5.10.1988 verkündet wurde. Die Rechtsgrundlage der Massenmedien in der autoritären Phase bildete die Verfassung von 1967. Diese sah zwar im Prinzip die Gewährleistung der Pressefreiheit vor, doch durch sog. Atos Institutionais kam es häufig zu rechtlichen und praktischen Eingriffen in dieses Grundrecht. Mit der neuen Verfassung von 1988 kehrte Brasilien zur Garantie der Grund- und Menschenrechte und einem demokratischen Regierungssystem zurück. An mehreren Stellen dieser Verfassung sind für die Massenmedien relevante Rechtsbestimmungen zu finden. Nun wird u.a. die Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit und das Zeugnisverweigerungsrecht garantiert.Bereits die letzte zivilen Regierung unter Präsident Goulart erließ 1962 den Código Brasileiro de Telecomunicações/Lei No. 4,117, das Rundfunkgesetz. Trotz der Gültigkeit einer neuen Verfassung bildet dieses Gesetz noch heute die Grundlage des Telekommunikationsrechts. Das Rundfunkgesetz entstand auf der einen Seite durch den Druck der Interessensgruppen, die in diesem Bereich tätig waren und die für die Fortführung ihrer Aktivitäten legale Garantien brauchten, auf der anderen Seite entsprach es den Interessen der technokratischen Bürokratie, die auf den politischen Parteien mit national-populistischen Tendenzen basierte. Art. 32 des Rundfunkgesetzes garantiert das staatliche Monopol für Rundfunkübertragungen. Diese kann er in direkter Weise selbst veranstalten oder indirekt über Konzessionsvergabe auf bestimmte Zeit. Das Vergaberecht bzw. die Verlängerung von Konzessionen lag bis 1988 bei der Regierung, dieses Recht wurde mit Art. 223 der neuen Verfassung auf das Parlament übertragen.

 

Marktmacht

 

Oftmals werden die Ursachen für den Erfolg von Rede Globos der Einflussnahme der Machteliten in der autoritären Phase zugeschreiben. Dem muss entgegengehalten werden, dass auch die neu hinzugetretenen Networks diese Protektion genossen, sogar bewusst als Konkurrenten etabliert wurden. Die aktuelle Marktstellung des Rede Globo ist somit ein Beleg für die Aussage, dass hierfür eher ökonomische Mechanismen verantwortlich sind und zugleich Bestätigung der Wirkung von Größenvorteilen. Der im Printmedienbereich stärkste Konkurrent der Gruppe Globo ist die Gruppe Abril der Unternehmerfamilie Civita. Bis zum Erhalt einer Konzession für den Betrieb eines Abonnementsenders 1991 hatte sich das Unternehmen Abril Vídeo vergeblich um eine Fernsehlizenz bemüht. Heute ist die Gruppe Abril mit dem werbefinanzierten MTV Brasil über MMDS und auf dem Sektor Abonnementfernsehen mit TVA über Kabel vertreten, das ungefähr den gleichen Marktanteil wie Globosat der Gruppe Globo hält. Abril ist der kapitalstärkste Neuling auf dem Fernsehmarkt, der Schwerpunkt des Unternehmens liegt jedoch noch im Printbereich. Das größte Verlagshaus Brasiliens, Abril Editora, gibt ca. 100 Zeitschriftentitel heraus, elf davon gehören zu den 20 Auflagenstärksten. Von diesen ist das Flaggschiff Veja mit einer Auflage von ca. einer Million Exemplaren auch das erfolgreichste wöchentliche Nachrichtenmagazin Brasiliens. Rede Manchete ging aus der Gruppe Manchete der Verlegerfamilie Bloch hervor. Der Aufstieg des Unternehmens begann 1952 mit der Herausgabe des Foto-Hochglanzmagazins Manchete. Bloch Editora legt heute noch weitere 12 Zeitschriftentitel auf. Rede Bandeirantes ging im Gegensatz zu den bereits erwähnten Gruppen aus dem Hörfunk-Network Rádio Bandeirantes hervor.Der Ursprung der Hörfunkaktivitäten der Familie Saad geht in die dreißiger Jahre zurück, in denen es neben Diários Associados das zweitwichtigste Unternehmen war. Rede Bandeirantes schloss jedoch in den siebziger Jahren zur qualitativen Verbesserung des Informationssektors Kooperationsverträge mit der Wirtschaftszeitung Gazeta Mercantil und der Tageszeitung Jornal do Brasil. Die Gruppe nutzte inbesondere auch die Erfahrungen im Programmbereich Sport und veranstaltet heute gemeinsam mit Globosat den Sportkanal Sport TV im Abonnementsektor. Eine Ausnahme in diesem Prozess bildet SBT. Zwar war Silvio Santos im Laufe seiner Aktivitäten im Medienbereich im Besitz einer Zeitung, diese hatte jedoch lediglich lokale und geringe publizistische Bedeutung. Seine Karriere zum Eigentümer eines Fernseh-Networks ist für brasilianische Verhältnisse untypisch. Diese begann er als Moderator bei TV Record und wechselte später zu Rede Globo. Sein Network SBT gründete er schließlich mit Hilfe der Stationen, an denen er bei TV Record und TV Tupi beteiligt war. Das Kapital hierfür stammte aus seinen zahlreichen Aktivitäten vor allem im Handel- Dienstleistungsbereich. Insbesondere bei Rede Globo macht sich der direkte Einfluß Roberto Marinhos auf die Inhalte des Nachrichtenprogramms bemerkbar. Der Missbrauch seines Networks für parteipolitische Interessen ist hinreichend dokumentiert. An dieser Stelle sei insbesondere auf seine Einflussnahme bei der Wahl Collor de Mellos zum Präsidenten hingewiesen, der seit 1978 die dem Network angehörende Fernsehanstalt in Alagoas kontrolliert. Ebenso gehört die direkte Einflussnahme auf die journalistische Arbeit seiner Angestellten zum Repertoir: So durfte beispielsweise die Formulierung „das Militärregime von General Pinochet“ nicht verwendet werden, erlaubt war lediglich „die Militärregierung von Präsident Pinochet“. Auch der Unterhaltungssektor, der ohnehin auf monothematische Programmformate reduziert ist, blieb von parteipolitischen Interessen nie unbehelligt. Im Wahlkampf 1989 sendete Rede Globo drei telenovelas, deren Inhalt Brasilien als ein Reich von korrupten und professionellen Politikern porträtierte. Die Lösung der Probleme in diesem Szenario bestand nun in der Rettung des Landes durch einen politischen jungen Außenseiter: Collor de Mello.

 

Lizenz zur Meinung

 

Die Instrumente der Medienpolitik Brasiliens reduzieren sich auf die Institutionalisierung der gesetzlichen Vorgaben sowie die Vergabepraxis von Konzessionen. Die Medienpolitik ist damit ausschließlich zentralstaatlich bestimmt. Als im Jahr 1988 die neue Verfassung beraten wurde und absehbar war, dass das Vergaberecht für Rundfunkkonzessionen vom Präsidenten auf das Parlament übertragen werden sollte, brach unter der Regierung von Präsident Sarney ein panikartiger Ausverkauf von Sendefrequenzen aus. Waren es 1987 noch 208 vergebene Konzessionen, so wurden 1988 bis zur Verabschiedung der Verfassung insgesamt 539 weitere bewilligt, 43 davon für Fernsehen. Die neuen verfassungsmäßigen Bestimmungen änderten wenig an der Vergabepraxis, umso mehr beflügelten sie die Phantasie der Machteliten hinsichtlich des Bedürfnisses, ihr Klientel weiterhin mit Frequenzen zu versorgen: Unter der Regierung von Collor de Mello betrachtete das zuständige Ministerium für Infrastruktur die Wiederausstrahlung oder Wiederholung von Programmen nicht als Rundfunkübertragung, da sie eingeschränkte Dienstleistungen sind und keine neuen Bilder und Töne erzeugen und somit auch nicht von der Genehmigung des Kongresses abhängen. Weit bemerkenswerter sind die Ergebnisse von Studien, nach denen 20 Prozent aller Abgeordneten im direkten oder indirekten Besitz eines Presse-, Hörfunk- oder Fernsehunternehmens sind. Nach Auskunft des Kommunikationsministeriums waren bereits 1995 insgesamt 83 Abgeordnete (von 513) Inhaber einer Rundfunkkonzession, ebenso 13 Senatsmitglieder (von 81). Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein, da die Praxis der Politiker darin besteht, Konzessionen im Namen Dritter zu erlangen. „Wenn Lula nicht aufpasst, dann wird Globo mit im Schluss machen“, lautete der Spott, als er sich 1889 zum ersten Mal zur Wahl stellte. Globo hatte ihn im letzten Wahlkampf dennoch mit dem gleichen Respekt behandelt, wie die anderen Bewerber. Seine Popularität schien nach der enttäuschenden Regierungszeit Cardosos - in der die Wähler noch an die Durchführung echter Reformen geglaubt hatten – derart groß, dass seine Wahl zum Präsidenten unabwendbar schien. Das hatten auch die führenden Fernsehsender begriffen, die um die gesetzgebenden Möglichkeiten des Parlaments und der Regierung wissen. Eine unabhängige Institution, die die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Politiker und Rundfunkunternehmer behindert und für die Konzessionsvergabe, Kontrolle und Sanktion des Rundfunkunternehmens zuständig ist, existiert nicht. Theoretisch besteht sie nach der Verfassung im Conselho de Comunicação Social. Dessen beratende Funktion müsste zumindest um eine Zustimmungspflicht bei Vergabe oder Erneuerung der Konzession erweitert werden. Am Beispiel Italiens ist deutlich geworden, dass ohne die Trennung von ökonomischen und politischen Interessen jegliche Konzentrationsregelung die herrschenden Verhältnisse eher zementiert als reguliert. In Brasilien haben sich auch konservative Wähler für einen Richtungswechsel entschieden. Doch wenn er nicht gelingt, dann muss Lula aufpassen, sonst wird Globo mit ihm Schluss machen.