Berufskleidung: Schusssichere Weste

Menschenrechtsanwälte in Kolumbien

von Jochen Schüller

Menschen, die sich für das Recht einsetzen, leben in einem Land wie Kolumbien gefährlich. Trotzdem gibt es sie. Alirio Uribe Muñoz ist einer von ihnen.

 

Die Begrüßung ist herzlich, als würden wir uns schon länger kennen – doch es ist das erste Mal, dass ich dem Anwalt Alirio Uribe Muñoz begegne. Es war nicht einfach, in seinem engen Zeitplan überhaupt einen Termin zu bekommen, doch ich hatte ihn ein paar Wochen zuvor vereinbart. Lange sprechen wir über die Menschenrechtssituation in Kolumbien und den neuen ultra-rechten Präsidenten. Über die Befürchtungen, dass dessen repressiver Kurs den Bürgerkrieg anheizen und die Menschenrechtsverletzungen verschärfen wird. Immer jedoch bleibt ein leichtes Lächeln in seinem Gesicht. Engagiert argumentiert er für einen alternativen Weg aus dem verfahrenen Bürgerkrieg: die Stärkung der Zivilgesellschaft und der sozialen Bewegungen, um die Armut und die ungerechte Landverteilung zu überwinden; und natürlich die konsequente Strafverfolgung von Gewaltverbrechen, insbesondere bei Menschenrechtsverletzungen. Zu ihm zu gelangen ist, als wollte man einen Staatspräsidenten besuchen: Im Bürohochhaus „Avianca“ in Bogotá gelten strengste Sicherheitsregeln. Passkontrolle am Eingang, telefonische Nachfrage beim Sekretariat im 15. Stock, ob auch wirklich ein Termin vereinbart ist, Durchsuchung nach Waffen. Mit aller Berechtigung. Die Anwälte der Gemeinschaft „José Alvear Restrepo“ gehören zu den prominentesten Menschenrechtsverteidigern Kolumbiens. Alirio Uribe ist ihr Vorsitzender und seit über zehn Jahren dabei. Der Jurist hat sich - wie alle Mitglieder der Gemeinschaft - auf Menschenrechtsfragen spezialisiert. Die Arbeit der Anwälte ist eher die eines unabhängigen Menschenrechtsvereins als die einer herkömmlichen Anwaltskanzlei. So veranstalteten sie in Kooperation mit der internationalen Menschenrechtsorganisation FIDH im Herbst letzten Jahres eine Konferenz über die Menschenrechtsentwicklung in Kolumbien. Auch im Ausland sind sie regelmäßig auf Konferenzen und Kongressen und haben konsultativen Status bei der Organisation Amerikanischer Staaten. Doch ihre Hauptarbeit liegt in Kolumbien. Sie beraten und unterstützen Opfer von Menschenrechtsverletzungen und deren Angehörige. Dabei geht es um politischen Mord, Folter, Verschwindenlassen oder gewaltsame Landvertreibung. Allein im vergangenen Jahr fielen über 4.000 Zivilisten politisch motivierten Morden zum Opfer. Unter ihnen waren 17 Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NRO) und 184 Gewerkschafter. Auch die gewaltsamen Vertreibungen, die in den letzten Jahrzehnten rund zwei Millionen Kolumbianer zu Flüchtlingen im eigenen Land werden ließen, halten an.

 

Kampf gegen Straflosigkeit

 

Die Verantwortlichen finden sich meist in den Reihen der rechten Paramilitärs oder der sie deckenden Armee. Von den staatlichen Behörden werden diese Verbrechen jedoch selten verfolgt und bleiben fast immer straflos. „Die Straflosigkeit ist ein strukturelles Problem. Von den mehr als 1.500 anhängigen Fällen ermordeter Gewerkschafter wurden nur sechs zur Anklage gebracht. Die Straflosigkeit in Fällen von Menschenrechtsverletzungen beträgt fast 100 Prozent. In Bezug auf Kapitalverbrechen beträgt die Rate der Straflosigkeit mehr als 90 Prozent. Hier gibt es keinen Justizapparat, der die Ausübung von Rechten und Freiheiten garantiert. Das erklärt auch ein wenig die Gewalt: In einem Land, in dem es keine funktionierende Justiz gibt, meint jeder, das Recht auf Vergeltung in die eigene Hand nehmen zu dürfen“, erklärt Alirio Uribe. Die Anwälte sehen die Gewalt in Kolumbien immer auch im Kontext sozialer und ökonomischer Ausgrenzung: 57 Prozent der Bevölkerung leben im Elend, sieben Millionen Menschen in absoluter Armut. In Kolumbien fehlen 3,7 Millionen Wohnungen, über eine Million Bauernfamilien sind ohne Land und ein funktionierendes Sozialsystem gibt es nicht.

 

Flucht ins Exil

 

Der Einsatz für die Menschenrechte und gegen die Straflosigkeit läßt die Anwälte selbst zum ständigen Ziel von Drohungen und Mordanschlägen werden. Der Terror rechter Gruppen und ihrer Hintermänner hat etliche Anwälte ins Ausland vertrieben. Alirio Uribes Kollege Luis Guillermo Pérez lebt seit vergangenem Jahr mit seiner Familie in Belgien im Exil. Zu konkret waren die Hinweise auf ein bevorstehendes Attentat paramilitärischer Gruppen im Auftrag der Armee, erklärt Pérez. Am 14. Februar entging die Anwältin Dr. Soraya Gutiérrez nur knapp einem Mordanschlag. Vier Männer in einem zivilen Fahrzeug verfolgten sie, bremsten ihren Wagen aus und wollten sie zum Aussteigen zwingen.

 

Als sie dann losfuhr und flüchtete, wurde ihr Fahrzeug unter Maschinengewehrfeuer genommen. Nur die Panzerung ihres Wagens bewahrte Soraya Gutiérrez vor den Kugeln ihrer Attentäter. Schon in den Tagen zuvor hatte sie Anrufe von einer hämisch lachenden Männerstimme bekommen Ihrer Haushälterin fiel außerdem ein Mann auf, der offenbar den Schulweg der Tochter ausspionierte. Der Hintergrund des Mordversuchs ist offensichtlich: Soraya Gutiérrez arbeitet zur Zeit an der Aufklärung des „Massakers von Sarna“ und hatte gerade die Familienangehörigen der Opfer besucht. In Sarna waren im Dezember 2001 15 Menschen von Paramilitärs willkürlich erschossen worden. Zum Schutz werden die Anwälte fast ständig von Aktivisten der internationalen „Peace-Brigades“ begleitet; die schusssichere Weste gehört zur Berufsbekleidung. Auch Alirio Uribe kennt die Gefahr und die Einschüchterungsversuche. Mehrmals wurde er in den vergangenen Jahren bedroht, einmal wurde seine „Hinrichtung“ von paramilitärischen Gruppen öffentlich angekündigt. Seit über zehn Jahren arbeitet er dennoch konsequent für die Menschenrechte und gegen die Straflosigkeit in Kolumbien. Für seinen risikoreichen Einsatz wählte ihn eine internationale Jury – u.a. bestehend aus Amnesty International, Human Rights Watch und Diakonie – zum diesjährigen Preisträger des renommierten Martin-Ennals-Award für Menschenrechtsverteidiger. Er wurde Alirio Uribe Muñoz am 31. März durch den UN-Hochkommissar für Menschenrechte Sergio Vieira de Mello in Genf überreicht.

 

Mehr Informationen zum Anwaltskollektiv unter: http://www.colectivodeabogadosjar.org/

Homepage der Martin Ennals-Stiftung: http://www.martinennalsaward.org/