Angeles Saura. Später Debütroman

Der Zweifel - La Duda

von Sophie Boldt

Angeles Saura (1947) ist die jüngste Tochter einer der drei bekanntesten Künstlerfamilien Spaniens. Der ältere Bruder war der 1998 an Leukämie verstorbene Maler Antonio Saura, der gemeinsam mit Antoni Tàpies die Künstlergruppe „El Paso“ gegründet hat. Der nächst jüngere Bruder, Carlos Saura, ist einer der bekanntesten spanischen Filmregisseure („Bluthochzeit“/„Carmen“). Dieses Porträt entstand aus einem Gespräch im Anschluss an eine Lesung im Rahmen des Kölner Literaturfestivals Lit.Cologne.

 

Der Zweifel“ handelt von dem 84-jährigen Kunsthistoriker Don César Rinconeda, der sein ganzes berufliches Leben ausschließlich einem spanischen Barockmaler gewidmet hat. Die detaillierte Kenntnis und Leidenschaft für den Maler führen schließlich dazu, dass er sich in diesem ganz gespiegelt sieht. Es gelingt ihm sogar, in einem heruntergekommenen Grafenpalast das letztes Bild des Künstlers aufzustöbern; ein besonders maskulines, karges Still-Leben, das sich nun in seinem Besitz befindet. Da kommt von Norden der Brief einer jungen skandinavischen Wissenschaftlerin, die in merkwürdigem Spanisch und mit bedrohlicher Akkuratesse die Behauptung aufstellt, ebendies Bild stamme in Wahrheit aus Italien – und sei von einer Frau gemalt.

 

Porträt des "alten Spaniens"

 

Das kann Don César Rinconeda nicht auf sich sitzen lassen. Er sieht nicht nur sein gesamtes berufliches Schaffen, sondern das eigene Leben in Gefahr. Er lädt Brunhild Cornelius Björnström aus dem Norden in die Hitze des kastilischen Sommers ein. Meisterhaft und temperamentvoll legt Angeles Saura die Verkrustungen des „alten Spanien“ in die Figur des Don César. Im Perspektivwechsel von auktorialer Erzählweise und innerem Monolog gelingt es ihr, die objektive Rückständigkeit des franquistischen Spaniens in den subjektiven Empfindungen des Don César zu spiegeln. Patriarchales Denken, Katholizismus und Humanismus, Leidenschaftlichkeit und kantiges Temperament als klischéehafte Masken traditionell spanischer Identität werden geschickt kontrastiert mit der Figur der Brunhild Cornelius Björnström. Als Frau, protestantisch, wissenschaftlich und analytisch hat sie nicht nur die stichhaltigeren Argumente bezüglich der Herkunft des Bildes, sondern sie verkörpert eben die Qualitäten, die dem „alten Spanier“ fehlen. Die Autorin begnügt sich jedoch nicht mit dieser Kritik an der spanischen Gesellschaft, sondern würzt sie mit erzählerischem Geschick so, dass eine brisante Rencontre männlicher und weiblicher, katholischer und protestantischer, humanistischer und aufklärerischer Traditionen entsteht, die weit über den spanischen Horizont Gültigkeit beansprucht. Das besondere literarische Talent der Autorin zeigt sich jedoch darin, dass sie dies nie mit erhobenem Zeigefinger tut, sondern ihrem Roman nur ein leises, ein wenig boshaftes Lächeln einschreibt.

 

Künstlerfamilie Saura

 

Viele Motive aus „Der Zweifel“ gehen unmittelbar aus dem allgemeinen Repertoire und der gegenseitigen Inspiration der Künstlerfamilie Saura hervor. Angeles, die mit Abstand Jüngste der Familie, empfand ihre bekannten Brüder Antonio und Carlos wie Väter, die eigenen Eltern wie Großeltern. Und auch wenn die Kreativität der Familie sicherlich durch die Mutter geprägt wurde, die eine talentierte Konzertpianistin war, so kam die eigentliche Inspiration für Angeles doch von ihren Brüdern. Die für sie teilweise phantastischen Erinnerungen an das Haus ihrer Kindheit in Madrid zeigen dies deutlich. Im obersten Stockwerk des dreistöckigen Hauses hatte der Bruder Carlos, der später zu einem der bekanntesten Filmregisseure Spaniens wurde, sein Photolabor. Hier wohnte die kleine Angeles häufig dem magischen Prozess bei, bei dem aus einem Stück Papier und verschiedenen Flüssigkeiten eine ganz neue Realität entstand. Ihr Bruder hatte die Macht, diese neue, eigene Realität zu erschaffen. Diese Erfahrung, über die schöpferische Tätigkeit göttliche Möglichkeiten zu erlangen, beeindruckte sie nachhaltig. Allerdings fühlte sie sich nur auf einer zweiten Ebene – der visuellen Vorstellungskraft – von den bildenden Künsten angezogen. Ihr Steckenpferd war von früh auf die Literatur und das Schreiben, das sie jedoch bis kurz vor dem Tod ihres Bruders Antonio nur im Stillen betrieb. Zu schüchtern war sie, zu konfus und undiszipliniert ihr Lebenswandel, als dass sie sich an ein längeres Werk gewagt hätte.

 

Franco-Diktatur

 

Im zweiten Stockwerk des Hauses Saura war das Musikzimmer der Mutter. Die Mutter weckte nicht nur die Liebe der Kinder für die Musik, sondern eröffnete ihnen auch die Welt der Künste im Allgemeinen. Die kreative Vielseitigkeit der Kinder Saura zwischen Photographie, Film, Malerei und Literatur ist nicht zuletzt auf die umfassende Förderung durch die Mutter gegründet. Aber auch die gesellschaftskritische Perspektive der Kunst der Saura-Kinder und die ihnen gemeinsame Freiheitsliebe hat ihre Wurzeln in der familiären Vergangenheit. Im Unterschied zu Angeles, die erst 1947 in Madrid geboren wurde, hatte die aus Aragon stammende Familie die Schrecken des spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) hautnah miterlebt. Der Vater hatte vor dem Bürgerkrieg als Finanzexperte für die demokratisch gewählte republikanische Regierung gearbeitet, weshalb die Familie mehrfach dem Frontenverlauf folgend umzog. Nach dem Sieg Francos war die Familie zahlreichen Repressalien, nicht zuletzt denen der Zensur, ausgesetzt. Während für Carlos der Bürgerkrieg und dessen Konsequenzen das herausragende Motiv seiner Photographien, Filme und seines Romans „Esa Luz“ wurde, so steht für Angeles stärker noch das Innenleben ihres Protagonisten im Vordergrund. Diese Vorliebe für das Subjekt teilt sie mit ihrem Bruder Antonio, in dessen Malerei immer die menschliche Figur als struktureller Anhalt für die Handlung steht.

 

Unterstützung der Brüder

 

Antonio hatte seinen Platz im Hause Saura in der Gartenlaube, wo er sich ein Atelier eingerichtet hatte. In den prägenden Kinderjahren von Angeles befand er sich gerade in seiner surrealistischen Phase. Es ängstigte die kleine Angeles zwar zunächst, wenn ihr Bruder beispielsweise ihre alten Puppen auseinander nahm, sie an die Wand tackerte und mit roter Farbe bewarf. Andererseits lernte sie hier auch die Möglichkeit kennen, Empfindungen durch künstlerische Handlung auszudrücken. Ihr Bruder Antonio war es denn auch, der Angeles nachhaltig zu ihrem Roman inspirierte. So bezieht sich der Plot von „Der Zweifel“ auf eine wahre Begebenheit zwischen Antonio und seiner Schwester. Angeles und Antonio pflegten bei seinen späteren Madridbesuchen gemeinsam in den Prado zu gehen. Dort hing ein Porträt Philipp II, das fälschlicherweise einem spanischen Künstler zugeordnet wurde, und das der große Künstler Antonio Saura wiederholte Male erstaunlich maskulin und typisch spanisch fand. Später stellte sich heraus, dass das Porträt von einer italienischen Malerin angefertigt worden war. Eine Begebenheit, die sich zu einem Scherz unter den Geschwistern entwickelte. Nachdem Antonio häufige Male vergeblich versucht hatte, seine Schwester zu bewegen, auch für die Öffentlichkeit zu schreiben, griff Angeles Saura für ihren ersten Roman auf diese gemeinsame Geschichte zurück, die sie ihrem Bruder postum widmet.