EU-Strafe für Portugal

Ehemaliger Musterschüler strauchelt

von Alex Martins

Die Defizitquote Portugals stieg auf 4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2001 und bricht somit deutlich den Stabilitätspakt der Europäischen Union (EU), der maximal 3,0 Prozent vorsieht. Nun wird in Ministerien und Institutionen über Sinn und Unsinn der Stabilitätskriterien und über Sanktionen diskutiert, zumal auch andere und als weitaus stabiler geltende Volkswirtschaften das Kriterium verfehlen.

Der ehemalige Musterschüler Portugal hat nicht nur das Klassenziel „3,0 Defizitquote“ nicht erreicht, sondern auch in anderen Fächern seine Hausaufgaben nicht gemacht. Anfang der 1990er Jahre wurde Portugal noch für die Reformen und das Erreichen der Stabilitätskriterien gelobt, nun zogen Griechenland und Irland als Klassenbeste mit einem realen Wachstum des Bruttoinlandprodukts von 4,1 Prozent bzw. 5,7 Prozent im Jahr 2001 an Portugal vorbei. Der Nachbar Spanien erreichte im besagten Jahr 2,7 Prozent, während Portugal selbst mit 1,7 Prozent sich mit Frankreich, Italien und Schweden um den Mittelwert der EU (1,5 Prozent) versammelt. Dass die portugiesische Wirtschaft die überaus hohen Wachstumsraten der ersten Hälfte der 90er Jahre nicht lange halten konnte, überrascht kaum. Dass der beträchtliche Aufschwung aber nicht zumindest zur Konsolidierung des Staatshaushalts genutzt wurde, verwundert und fordert nun seinen Preis. Die Portugiesen waren noch nie vorausdenkende Nettosparer: Mit nur rund 3,2 Mrd. Euro sind 2001 weniger als ein Zehntel dessen verblieben, was in anderen EU-Staaten gesparte wurde. Das Bruttosozialprodukt lag 2001 mit EUR 11.900 pro Kopf erstmalig an letzter Stelle und ist gerade einmal halb so hoch wie der EU-Durchschnitt. Die Inflation stieg 2001 auf 4,4 Prozent an; diese Trends scheinen für die nächsten Jahre anzuhalten.

 

Das Defizitverfahren und die damit verbundenen Sanktionen würden Portugal schwer treffen. Nicht nur die hohe Geldbuße von bis zu 380 Millionen Euro, sondern auch das mögliche Einfrieren der Mittel aus dem EU-Kohäsionsfonds machen der portugiesischen Finanzministerin Manuela Ferreira Leite Sorgen. Auch die Ankündigung, im Jahr 2002 mit einem Defizit von 2,8 Prozent knapp unter der Obergrenze zu bleiben, ändert nichts an die Tatsache, dass Portugal wohl als erstes Land die 1996 festgesetzten Stabilitätskriterien der Währungsunion gebrochen hat.

 

Die Europäischen Kommission schätzt das Defizit Portugals für 2002 um 0,6 Prozentpunkte höher als die Angabe des portugiesischen Finanzministeriums.

 

Ministerin Ferreira Leite ist nicht allein verantwortlich für die schlechten Ergebnisse. Auch die sozialistische Vorgängerregierung hatte sich gründlich verschätzt und prognostizierte vor ihrer Abwahl im Februar 2002 für das Jahr 2001 ein eher harmloses Defizit von 2,2 Prozent. Mit den aktuellen Zahlen rückt das Ziel, 2004 eine ausgeglichene Haushaltsbilanz vorzulegen, in unbestimmte Ferne.

 

Als klar wurde, dass auch die Haushaltsbilanzen Deutschlands, Frankreichs und Italiens gegen den Stabilitätspakt verstoßen, wurde plötzlich über die Lockerung der sonst in Ehren gehaltenen Vereinbarung debattiert. Grundsätzlich gilt, dass in Rezessionszeiten die Sanktionen ausgesetzt werden können. Dass Kommissionspräsident Romano Prodi, dessen Land ebenfalls zu den Defizitsündern gehört, die Relevanz und vor allem die Starrheit der Kriterien kritisierte, ließ viele zurecht um die Glaubwürdigkeit der EU-Kriterien bangen. Ein „Instrument der Stabilität“ darf nicht ausgehöhlt werden, wenn die Länder plötzlich mit den ursprünglich befürworteten Sanktionen konfrontiert werden.

 

Allerdings tragen überhöhte Strafgelder sicherlich nicht zur Konsolidierung der Bilanzen bei – es sei denn, man setzt auf die abschreckende Wirkung der sogenannten „Blauen Briefe“, in der Hoffnung, dass es nicht zum konkreten Sanktionsfall kommt. Dieser ist aber nun eingetreten.

 

Haushaltsplan 2003

 

Ob Portugal in Zukunft vernünftiger mit seinem Haushalt umgehen wird und sogar daran denkt, einen Sparstrumpf zu pflegen, bleibt fraglich.

Wie in Deutschland wird seit mindestens einem Jahrzehnt vehement ein schlankerer Staatsapparat gefordert, konkret unternommen wurde leidlich wenig. Die sozialdemokratische Regierung unter Durão Barroso legte im letzten Herbst ihren Haushaltsplan für 2003 vor. Dieser beginnt mit der Feststellung, der wirtschaftliche Aufschwung sei aus vier Hauptgründen – im Wesentlichen exogene Faktoren - ausgeblieben: wegen der Schwankungen der Börsenmärkte, den nicht-wirtschaftlichen Einflüssen auf den Ölpreis, den Krisen in aufstrebenden Märkten sowie den Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen politischen und militärischen Entwicklungen. Erst später wird unter anderen Punkten die „hohe und unhaltbare“ Verschuldung des öffentlichen Haushalts genannt -übrigens wie die Verschuldung des Privatsektors - „trotz niedriger Zinsen“. Für 2003 sagt das Finanzministerium einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts zwischen 1,25 und 2,25 Prozent voraus. Die Staatsausgaben sollen entweder gehalten werden oder sogar um 0,5 Prozent fallen. Für die Konsolidierung des Haushaltsdefizits seien „sehr hohe Anstrengungen“ nötig. Konkret heißt das beispielsweise, die Ministerien müssen ihre Ausgaben um 10 Prozent reduzieren; befreit davon werden nur die Ministerien, welche die oberste Staatsgewalt ausüben.

 

Die für 2003 geplanten Staatsausgaben belaufen sich auf über EUR 6.400 pro Kopf. Dabei fällt auf, dass im Vergleich zu den letzten zwei Jahren fast alle Bereiche mit Einsparungen rechnen müssen: der Gesundheitssektor machte 2001 noch 17,5 Prozent des Gesamtplanes aus; 2002 und 2003 befindet er sich nach Schätzungen ein Prozentpunkt darunter. Sowohl die Anteile des Verteidigungshaushalts als auch der öffentlichen Verwaltung sollen laut Plan 2003 insgesamt 8 Prozent ausmachen (2001: 9,9 Prozent; 2002: 8,7 Prozent), während der Bereich „Nationale Sicherheit und Öffentliche Ordnung“ von 5,5 Prozent (2001) auf 6,3 Prozent (Planung 2003) ansteigt. Die Gesamtdarstellung zeigt jedoch keine nennenswerte Umverteilung (siehe Grafik): das portugiesische Sozialsystem ist im direkten Vergleich zu den Schätzungen für 2002 der einzige Verlierer im neuen Haushalt, befindet sich aber immerhin noch über dem Niveau von vor zwei Jahren. Laut dem Haushaltsplan ist mit der Erholung der portugiesischen Wirtschaft erst ab 2004 zu rechnen; zu diesem Zeitpunkt sollte sie „ihrem eigentlichen Potential nahe kommen“.

Mit solchen halbherzigen Anpassungen und geringfügigen Korrekturen darf sich Lissabon auf weitere Post aus Brüssel freuen. Es bleibt die Feststellung: der ehemalige Musterschüler hat seine Hausaufgaben immer noch nicht gemacht, muss nachsitzen und kriegt wohl vorerst kein „Taschengeld“.