Vereitelung von Mordanschlägen

Arbeit von Peace Brigades International wird in Kolumbien immer schwieriger

von Kathy Ziegler

Zum Jahreswechsel stellten die in Kolumbien engagierten Menschenrechtsorganisationen allesamt eine Zunahme von Verletzungen der Menschenrechte und des Internationalen Humanitären Völkerrechts fest. Peace Brigades International (PBI) begleiten seit 1994 Personen in Kolumbien, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen. Doch seit Uribes Amtsantritt wird die Arbeit von PBI immer schwieriger.

Kaum hatte Präsident Álvaro Uribe Vélez am 7. August 2002 sein Amt angetreten, rief er schon wenige Tage später den Ausnahmezustand aus. Mit der Verfassungsreform von 1991 wurden auch die gesetzlichen Regelungen des Ausnahmezustands – estado de excepción – reformiert.

 

Seitdem wird er als „Zustand der inneren Erschütterung“ – estado de conmoción - bezeichnet. Die Reform sollte die Einhaltung der Menschenrechte und des Internationalen Humanitären Völkerrechts gewährleisten (siehe auch Länderbericht). Doch die Berichte des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Sergio Viera de Mello, von Amnesty International (ai), des International Office for Human Rights – Action on Colombia (OIDHACO), terre des hommes (tdh) oder PBI, um nur einige Quellen zu nennen, werfen der Regierung Untätigkeit und eine Verschärfung des inneren Konflikts vor. Die Bilanz 2002: Abbruch des Friedensdialogs mit den beiden Guerillagruppen Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) und Ejército de Liberación Nacional (ELN), Verschärfung des Konflikts zwischen den Gewaltakteuren Militär, Guerilla und Paramilitärs, aktives Hineinziehen der Zivilbevölkerung in den Kon-flikt und Stärkung der Paramilitärs.

 

Mano firme

 

Die Paramilitärs, Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), haben die mano firme – die harte Hand – Señor Uribes und seine unnachgiebige Politik bislang nicht zu spüren bekommen. Ganz im Gegenteil galt er, seinerzeit im Amt des Gouverneurs von Antioquia, als „Sympathisant“ der Paramilitärs, die unverhohlen zur Wahl Uribes aufriefen; manche behaupten gar, sie hätten Wähler gezwungen, für Uribe zu stimmen. Nach wie vor gelten die Paramilitärs als „rechte Hand“ des Militärs im Kampf gegen die Guerillagruppen. Sie erledigen die „schmutzige Arbeit“, an der sich das Militär die Finger nicht dreckig machen will oder darf. Eine der Regierungsmaßnahmen im Rahmen der „demokratischen Sicherheitsstrategie“ ist die Schaffung eines Netzwerks mit einer Million Informanten – die Stasi lässt grüßen. Nicht genug damit, plant Uribe ein „Bauern-Heer“ mit 150.000 Soldaten, das eng mit dem Militär und der Polizei zusammenarbeiten und die subversiven Kräfte im Land bekämpfen soll. Eine neue paramilitärische Einheit? Damit erhält die AUC nur weiteren Auftrieb. Bereits vor vier Jahren förderte die Internationale Staatengemeinschaft Kolumbien auf, die Paramilitärs zu entwaffnen, da sie für die meisten Menschenrechtsverletzungen verantwortlich seien.

 

Verfassungsinstitutionen, deren Aufgabe die Wahrung der Menschenrechte ist, wie der Corte Constitucional (Verfassungsgericht), die Defensoría del Pueblo (Nationaler Ombudsman für Menschenrechte) und die Personerías Municipales (Ombudsmänner auf Kommunalebene) werden durch den Ausnahmezustand in der Ausübung ihrer Aufgaben behindert und eingeschränkt. Im Rahmen der Verfassungsreform wies der Leiter des UN-Menschenrechtsbüros in Bogotá, Michael Frühling, die Regierung Uribe ausdrücklich darauf hin, dass die Ausstattung des Militärs mit polizeirechtlichen Befugnissen, wovon sich Uribe eine effektivere Verfolgung der Guerilla verspricht, entschieden gegen die von Kolumbien ratifizierten internationalen Vereinbarungen verstößt: Damit werde einer Verletzung der Bürgerrechte Vorschub geleistet, Beweise für Verbrechen könnten manipuliert oder gar beseitigt werden, sobald sie auf die Täterschaft des Militärs hinweisen würden. Trotz des Ausnahmezustands müsse die Regierung die Unabhängigkeit der Richter und der Rechtssprechung sowie die Gewaltenteilung beachten.

 

Auch die nationalen und internationalen Menschenrechts-organisationen können unter den Bedingungen des Aus-nahmezustands nur noch schwer ihren Aufgaben nachgehen. In einer Pressemitteilung vom 13. Dezember 2002 protestiert tdh „gegen Einschüchterungsversuche und Drohungen der kolumbianischen Regierung gegen die Projektarbeit von terres des hommes“. Am 10. Dezember 2002 durchsuchten Staatsanwaltschaft und Polizei eine Einrichtung von tdh in Bogotá, in der Kinder betreut werden, die Opfer des Konflikts wurden. Angeblich habe tdh dort Waffen versteckt, gefunden wurden jedoch keine. „Es kann nicht sein“, so Peter Strack, Projektkoordinator von tdh in Südamerika, „dass die Kriegspolitik der Regierung hunderttausende von Kindern zu Opfern macht und dieselbe Regierung dann uns schikaniert, wenn wir uns für die Opfer dieser Politik einsetzen.“

 

Impunidad

 

Impunidad, die Straflosigkeit bei Verbrechen, ist an der Tagesordnung. Die Menschen sind zunehmend willkürlichen Verhaftungen und unrechtmäßigen Hausdurchsuchungen durch die Polizeikräfte ausgesetzt, die wiederum der Strafverfolgung entgehen. Selbst die Kompetenzen der Staatsan-waltschaft wurden beschnitten. Javier Zúñiga, Strategieleiter bei ai, fordert: „Jeder Fall von Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des Internationalen Humanitären Völkerrechts muss Gerechtigkeit erfahren. Das ist die Schlüsselbedingung, um wahren Frieden und Sicherheit in Kolumbien zu erreichen.“ Die Erfahrung aus anderen Konflikten in Lateinamerika habe dies deutlich gezeigt.

 

Auch PBI, 1981 in Kanada gegründet, stützen ihre Arbeit in Kolumbien auf die Erfahrungen aus anderen lateinamerikanischen Ländern. In Bogotá und Barran- cabermeja gründete PBI 1994 die ersten Teams. 1998 wurde in Urubá ein drittes Team eingesetzt, seit 1999 arbeitet das vierte Team in Medellín. Momen-tan sind 40 Freiwillige aus zehn europäischen Ländern sowie aus Mexiko, Brasilien, den USA und Kanada in Kolumbien im Einsatz. Sie begleiten vor allem Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen und Vertriebene.

 

Aufgabe PBIs ist, „die gewaltfreie Konfliktbearbeitung durch den Einsatz von ausländischen zivilen Drittparteien in Konfliktgebieten“. Menschen, die sich gewaltfrei für die Verteidigung von Menschenrechten, für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, befinden sich häufig dann in Lebensgefahr, wenn sie dadurch Institutionen oder andere Gesellschaftsgruppen in ihrem rechtswidrigen Handeln stören. „International zusammengesetzte PBI-Teams von freiwilligen Fachkräften begleiten gefährdete Menschen, fördern dadurch gewaltfreie Konfliktbearbeitung und schaffen Raum für die politische Arbeit von Friedens- und Menschenrechtsorganisationen.“

 

Den Begriff der „Begleitung“ verwendet PBI für „die physische Anwesenheit von ausländischen Freiwilligen, mit der zwei Ziele zugleich verfolgt werden: der Schutz der zivilen Aktivisten oder Organisationen vor gewalttätigen, politisch motivierten Angriffen und die Ermutigung dieser Akteure, ihr demokratisches Handeln fortzuführen“. Aber wie kann dieser gewaltfreie Schutz von gewaltfreien Aktivisten gegenüber Gewaltakteuren, die normalerweise vor keinem Verbrechen Halt machen, aufgebaut werden? Ein Schlüsselerlebnis erfuhr eine Delegation PBI-Freiwilliger, die im April 1983 eine Erkundungsreise in Nikaragua durchführte. Als sie ein Dorf besuchten, das kurz zuvor von Contra-Rebellen angegriffen wurde, fragten die PBIs, warum jetzt in diesem Augenblick nicht mehr geschossen würde. Die einfache Antwort der Dorfbewohner lautete: „Weil ihr da seid.“

 

Die Anwesenheit der internationalen Freiwilligen, die jederzeit bereit sind, die internationale Öffentlichkeit zu informieren und zu alarmieren, ist die Abschreckung, die die Gewaltakteure fürchten. Der Fall von Rigoberta Menchú, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten guatemaltekischen Menschenrechtsaktivistin, ist ein eindrucksvolles Beispiel. PBI-Freiwillige begleiteten Menchú 1988 während ihres ersten Besuchs in Guatemala aus dem Exil. Sofort nach ihrer Ankunft am Flughafen wurde sie von Sicherheitskräften verhaftet und vor Gericht gestellt. Dank des Informationsnetzwerks von PBI wurde die internationale Öffentlichkeit innerhalb kürzester Zeit über die Verhaftung informiert. Folge war ein derart gewaltiger internationaler Druck auf den damaligen Präsidenten Cerezo, dass er nicht nur Menchú wieder freilassen musste, sondern sie auch amnestierte.

 

Neutralität

 

Dabei ergreift PBI aber nicht Partei für die Aktivisten, sondern bietet ihnen lediglich Schutz zur Ausübung ihrer Menschenrechte und ihres politischen Engagements. PBI betrachtet die Konfliktbearbeitung als wesentlich. Konfliktbearbeitung heißt aber auch, das Gespräch mit den „Gegnern“ zu suchen, denn Kommunikation ist eine der Grundlagen zur Lösung von Konflikten. Im Falle Kolumbiens weisen die PBI-Freiwilligen die Regierung immer wieder auf die vorgefallenen Menschenrechtsverletzungen hin und fordern sie auf, die Justiz mit der Untersuchung der Fälle zu beauftragen. Diese Aufgabe übernimmt hauptsächlich das PBI-Team in Bogotá. Durch den Hauptstadt- Sitz fällt dem Bogotá-Team besondere Bedeutung zu. Seine Arbeit beschränkt sich nicht allein auf die Begleitung von Personen, sondern umfasst auch Öffent-lichkeitsarbeit und die Koordination von Gesprächen mit den verschiedenen NGOs, verantwortlichen Militärs, Regierung, Kirche, Botschaften und internationalen Organisationen.

 

Besonders schwierig ist die Arbeit für das Team in Barrancabermeja, das in der Region des mittleren Laufs des Flusses Magdalena, dem sogenannten Magdaleno Medio, mehrere Städte und Verwaltungsbezirke betreut und teilweise bis in die Departements Bolivar, Antioquia und Santander hineinreicht. In der Gegend des Magdalena Medio ist die Konfrontation zwischen den Konfliktparteien am stärksten. Bewaffnete Auseinandersetzungen, Überfälle und Attentate bedrohen die Zivilbevölkerung. So verurteilt beispielsweise die von PBI begleitete Menschenrechtsorganisation CREDHOS öffentlich, dass die Menschen der Region Magdalena Me-dio nicht nur in die gewalttätigen Auseinandersetzungen um die politische und ökonomische Vorherrschaft des Gebiets hineingezogen werden, sondern unter der unbeschreiblichen Zunahme von Morddrohungen, gewalt-samen Verschwindenlassen und Landvertreibung leiden. Sie beklagen die Erhebung illegaler Steuern seitens der AUC und der Guerilla für Produkte der Bauern, die diese auf den Märkten verkaufen wollen. Die Ombudsmänner in der Region werden verfolgt und der stellvertretende Vorsitzende von CREDHOS, Pablo Arenales, wurde gezwungen die Stadt zu verlassen.

 

Schließlich beschuldigt der Ombudsmann für dei Gegend des Magdalena Medio, Jorge Gómez Lizarazu, die AUC, im Nord- und Südosten von Barrancabermeja Minderjährige zu rekrutieren. Sie würden rund 7.000 Kinder als Informanten, Wachposten, Soldaten und zur Beschaffung von Sprit einsetzen. 2002 hätten zehn Jugendliche betreut werden müssen, die Morddrohungen erhalten hätten und aus der Stadt fliehen mussten.

 

So ließen sich noch viele Menschenrechtsverletzungen anführen, die dank PBI an die Öffentlichkeit gelangen. Die Arbeit PBIs wird den seit über 40 Jahre andauernden Konflikt in Kolumbien nicht lösen können, doch ist es wichtig, dass sie sie fortführen. Ihre Arbeit lebt von der Kontinuität, Neutralität, Objektivität, Beharrlichkeit und dem Mut der Freiwilligen. Ihr Engagement und ihre physische Präsenz hat schon so manchen Anschlag auf Leib und Leben vereitelt.

 

Infos zu PBI und Kolumbien

  • Mahony, L u. Eguren, L. E.: "Gewaltfrei stören - Gewalt verhindern", Rotpunktverlag 2002, 19 Euro.
  • www.peacebrigades.org/pbi-d.html
  • www.hchr.org.co/
  • www.defensoria.org.co/spanish.php
  • www.edai.org/temporal/colombia/colombia.htm