Militant und schlitzohrig

Politik und Gesellschaft auf Jamaika

Der Schriftsteller Peter Paul Zahl, Jahrgang 1944, aufgewachsen in der DDR und im Rheinland, lebte in den 60er Jahren in Berlin und druckte Schriften für die APO. Als RAF-Symphatisant verdächtigt, geriet er in einen Schusswechsel mit der Polizei und kam ins Gefängnis. Seit 1985 lebt er in Jamaika und veröffentlichte seither mehrere Bücher zu karibischen Themen. Für Matices sprach Torsten Eßer mit ihm über jamaikanische Politik, Literatur, die hohe Kriminalität und die letzten Wahlen.

Wann bist du nach Jamaika gegangen und warum gerade dorthin?

 

Es sollte ursprünglich Grenada sein, denn da hatte ich vom Kultusministerium einen Job angeboten bekommen: Hilfe beim Aufbau eines Nationaltheaters. Dann marschierten 1983 die Amerikaner ein und ich stand auf der Liste der unerwünschten Personen. Ich ging auf die Seychellen, da war es zwar wunderschön, aber langweilig. Nächste Station war die Atlantikküste von Nikaragua, die Stadt Bluefields, wo etwa 30.000 Jamaikaner leben. Die haben mir in ihrer Mischung aus Militanz und Schlitzohrigkeit gut gefallen. Was mir in Nikaragua nicht gefiel, war die Mischung aus Rassismus und Machismo. So bin ich nach Jamaika gegangen und da geht es mir sehr gut.

 

Bei Beck ist ein landeskundliches Buch über Jamaika von dir erschienen. Viele Aussagen darin sind sehr politisch, du beziehst unter anderem Stellung gegen Regierung, Armee und Korruption oderschilderst Dinge wie die Erschießung von Jugendlichen durch Todesschwadronen. Das ist für eine Landeskunde eher ungewöhnlich.

 

Dabei hat die Lektorin sogar schon Einiges zensiert, weil sie meinte, dass Deutsche so viele kritische Anmerkungen nicht vertragen könnten.

Vieles ist drin geblieben, wie die Passagen über die zunehmende Verarmung und über die Versiffung der Insel durch Abfall, Bauxit- und Goldabbau. Da gibt es sehr kritische Stimmen in Jamaika, die ich praktisch nur reflektiere. In Jamaika mische ich natürlich auch mit und engagiere mich in zwei Bürgerinitiativen. Schließlich bin ich nicht nach Jamaika gekommen, um auszusteigen, sondern mit dem Bewusstsein, dort einzusteigen, mich einzubringen. Als Bürger, als Rebell. Ich stellte dann fest, dass ich dort zur radikalen Mehrheit gehöre, nicht zur Minderheit wie 1968. 1999 gab es auf der Insel die größten Unruhen seit 1938. 150.000 Menschen demonstrierten gewalttätig, 120.000 gewaltlos. Es gab neun Tote und einen Sachschaden von sage und schreibe 350 Millionen Euro – und 69 Prozent der Bevölkerung fanden das vollkommen richtig. Ich glaube, es den Jamaikanern schuldig zu sein, keinen Touristenführer zu schreiben, in dem alles geschönt wird. Deswegen habe ich die Touristengegend in dem Buch auch faktisch ausgeklammert.

 

Du hast jamaikanische Literatur und Kindergeschichten ins Deutsche übersetzt. Wie sieht die literarische Landschaft auf Jamaika aus?

 

Jamaika ist eine kulturelle Großmacht in der Karibik und trotz guter Vorinformation war ich sehr überrascht, wie viele Talente es auf der Insel gibt und wie sie gefördert werden. Von der Vorschule an wird das Selbstbewusstsein der Kinder mit Lese- und Vortragswettbewerben gefördert. Auch die Musik ist sehr demokratisch, weil auf der B-Seite einer Single immer die (textlose) Dub-Version drauf ist. Jeder, der talentiert ist, kann so seine eigene Textfassung machen. Dadurch werden viele Leute sehr schöpferisch.

 

Ich habe mich alsbald mit der Literatur beschäftigt. Auf Jamaika gibt es wenig Langprosa, Romane usw. Sehr gut sind Kurzgeschichten und die Lyriker. Aber die Guten müssen auf der Suche nach Geld fast immer ins Ausland gehen.

 

Daneben finde ich die orale Literatur sehr gut, zum Beispiel, dass Gute-Nacht-Geschichten erzählt werden und dass diese ständig aufgearbeitet werden. Wenn’s gut läuft, liest hier der Opa oder die Oma den Kindern etwas vor, aber in Jamaika gibt es nur kleine Rumpffassungen, die jeder anders ausgestalten kann. Jedes Jahr von Juni bis August gibt es einen Wettbewerb der Geschichtenerzähler. Der wird sowohl auf DVD als auch auf Kassette gespeichert, weil die Jamaikaner sagen, wenn ein alter Mensch stirbt, ist das so, als ob die Stadtbücherei abbrenne.

 

Weil du ein politisch sehr engagierter Mensch bist, nun die Frage, was du von den Parteien hältst und ob du eher mit der People’s National Party (PNP) von Percival Patterson oder der Jamaica Labour Party (JLP) von Edward Seaga symphatisierst?

 

Mit keiner natürlich. Beide haben seit 40 Jahren das Land zugrunde gerichtet, haben blutige Wahlkämpfe geführt, auch 2002 wieder: Es war nicht friedlich wie es in der taz stand, sondern es sind einige Tote zu beklagen. Wahrscheinlich hat die größte Rolle im Wahlkampf wieder das Kokain gespielt: Wenn eine Partei Millionen Dollar ausgeben kann und die andere nicht, dann hechelt sie hinterher. Die JLP ist vielleicht etwas besser, da in ihr vor allem reichere Leute organisiert sind, die es nicht so nötig haben zu klauen. Patterson hingegen ist in den frühen 90er Jahren unter Michael Manley schon einmal gefeuert worden, weil ihm Korruption nachgewiesen wurde. Er sagte damals „I shall return“ und hat die Drohung wahr gemacht. Wählbar ist im Prinzip keine Partei. Darum sind auch 56 Prozent der registrierten Wähler nicht zur Wahl gegangen.

 

Mit rund 770 Morden in 2002 und somit der höchsten Mordrate pro Einwohner weltweit gilt Jamaika als gefährlich. Was rätst du deutschen Besuchern?

 

Es gibt vor allem in den letzten zehn Jahren Schwierigkeiten durch den zunehmenden Einfluss von Crack. Schnellboote aus Kolumbien kommen mit jeweils 1.500 Kilogramm Kokain beladen nach Jamaika. Nicht alles wird weiter ins Ausland gebracht, einiges bleibt hängen und wird mit Backpulver zu Crack aufbereitet. Das ist eine Droge, die zu Größenwahn und Impotenz führt und die Kriminalität anschwellen lässt. Aber einem Touristen, der durch die Straßen von Kingston-Downtown geht - nicht durch die Gassen und die Ghettos – wird nichts passieren. In den 17 Jahren, die ich nun dort lebe, hatte ich einmal mit einem versuchten Taschendiebstahl zu tun.

 

An welchen weiteren Projekten arbeitest du?

 

Unter anderem an einer Triologie über Grenada. Ich will eine Parabel schreiben über eine kleine Inselrepublik, die eines Tages eine Revolution machen muss. Sie soll „Die Hoffnung“ heißen. Ein Band spielt in der Zeit vor der Revolution, einer während ihr und der letzte danach.

 

Peter Paul Zahl: "Jamaika", Beck 2002, 191 S., 12,90 Euro.