„ETA raus!“

Vom Sympathieträger zum Hass - Objekt

von Thomas Schmid

Genährt von einem ausgeprägten Nationalismus und einem Hass auf alles Spanische warfen sich junge Basken Anfang der 1960er Jahre in den Kampf gegen den spanischen Zentralstaat. Am Beginn des 21. Jahrhunderts ist von einstigen Ideologien nichts weiter als blanke Gewalt übrig geblieben.

Am 31. Juli 1959 beschloss eine Gruppe junger Männer aus dem Umfeld der Baskischen Nationalpartei Partido Nacionalista Vasco (PNV), vornehmlich Studenten der Jesuitenuniversität von Bilbao, die Gründung von Euskadi ta Askatasuna („Baskenland und Freiheit“), kurz ETA.

 

Nicht zufällig fiel das Datum auf den 31. Juli. An diesem Tag hatte Sabino Arana, Leitfigur der nationalen Erweckungsbewegung, 1895 die PNV gegründet. Und der im Baskenland geborene Ignatius von Loyola, Gründer des militärisch organisierten Jesuitenordens, war 1556 am selben Tag gestorben.

 

Die jungen Dissidenten beschuldigten die alte Garde des baskischen Nationalismus, sich mit der Diktatur Francos arrangiert zu haben. Dabei blickten sie ins Ausland: In Irland hatte die IRA zwei Jahre zuvor eine Bombenkampagne gegen die Teilung der Insel gestartet, in Indochina kämpfte der Vietcong gegen ein Regime von amerikanischen Gnaden, in Algerien zeichnete sich bereits ein Sieg der FLN-Partisanen ab. Der Mythos, dass Euskadi, das Baskenland, von Spanien (und Frankreich) besetztes Land sei, wurde schon von Sabino Arana belebt, die Gründer der ETA übernahmen ihn bedenkenlos, und ihre heutigen Anhänger pflegen ihn weiter.

 

Sabino Arana y Goiri

 

1865 wurde er in Abando/Vizcaya als Sohn eines karlistischen Schiffsbauers geboren. Mit 17 Jahren er-lernte er die baskische Sprache und befasste sich mit Geschichte. Er veröffentlichte zahlreiche Studien bas-kischer Sprache und Geschichte, sein Hauptwerk, Bizkaia por su independencia, erschien 1892. Mit dieser -seiner Meinung nach - "richtigen Darstellung der wah-ren, glorreichen Geschichte Vizcayas" begründete er den Mythos des ehemals unabhängigen und nun von Spanien besetzten und ausgebeuteten Baskenlandes. Der Verlust der Fueros (Sonderrechte der baskischen Provinzen im Bereich der Selbstverwaltung, Zoller-hebung und Finanzen) im Verlauf der Karlistenkriege belegt für Arana die Unterdrückung durch Spanien. Dagegen sei die baskische Rasse rein, während die Maketos (abfällige Bezeichnung für Nichtbasken) für alles Übel und die Fehlentwicklungen im Baskenland verantwortlich seien. Das Ganze mischte er mit ei-nem religiösen Sendungsbewusstsein. Er gibt seiner Heimat den Namen Euzkadi - Land der reinrassigen Basken, und auch die Nationalflagge, die Ikurriña, ist seine Schöpfung. 1903 starb Arana. Siehe auch Matices Nr. 18, Sommer 1998.

 

In zweierlei Hinsicht aber brach die ETA mit dem überkommenen baskischen Nationalismus. Obwohl die Organisation im niederen Klerus schon bald auf breite Sympathie stieß und ihr einige Priester beitraten, lehnte sie jede Vermischung von Religion und Politik strikt ab. Und während für Sabino Arana das Baskentum eine Frage der Rasse war, ist es für die ETA eine Frage der Sprache. Baskisch ist, wer euskera (baskisch) spricht. Allerdings wirken Religion und Rassismus im Märtyrerkult der ETA und in ihrer Vorstellung von ethnischer Reinheit unterschwellig durchaus weiter.

 

Zunächst trat die neue Organisation mit an sich harmlosen Aktionen an die Öffentlichkeit, wie etwa mit dem Hissen der Ikurriña, der baskischen Flagge, oder mit dem Verteilen von Flugblättern, was aber unter der Franco-Diktatur durchaus gefährlich war. Eine erste militante Aktion scheiterte: 1961 versuchte ein ETA-Kommando einen Zug zum Entgleisen zu bringen, in dem franquistische Parteigänger nach San Sebastián fuhren, um dort den Jahrestag des Militärputschs von 1936 zu feiern. Als Folge kam es zu massenhaften Festnahmen, und die meisten Führer der noch jungen Organiation setzten sich ins Ausland ab.

 

Beginn der Gewalt

 

Bei ihrer ersten Versamm-lung 1962 im französi-schen Exil sparte die ETA die Frage der Gewalt noch aus, doch schon bald radikalisierte sie sich. Auf ihrem dritten Kongress 1964 erhob sie den „revolutionären Krieg“ für die nationale und soziale Befreiung zum Programm. 1965 fand die vierte Versammlung erstmalig in Räumlichkeiten der Jesuiten im spanischen Baskenland statt. Dabei verstieg ETA sich zur Behauptung, „dass die Diktatur des General Franco für unser Volk unendlich viel positiver ist als eine bürgerlich-demokratische Republik“. Die von der Diktatur erzeug-ten Spannungen würden es nämlich erlauben, „das Volk in den Kampf zu werfen“. Die Spannungen innerhalb der eigenen Organisation führten jedoch während der fünften Versammlung 1966/67 zur Spaltung. José Luís Álvarez Emparanza alias „Txillardegi“, einer der ETA-Gründer, verließ mit seinen Getreuen die Organisati-on, der er eine zunehmende Militarisierung vorwarf. 1968 überschritt die ETA den Rubikon. Als Txabi Etxebarrieta, gewissermaßen Chefideologe der Organisation, bei einer Geschwindigkeitskontrolle ange-halten wurde, erschoss er den Polizisten José Pardines und wurde schon Stunden später selbst erschossen. Mochte die ETA beim Tod Pardines‘ noch von Notwehr sprechen, ging es zwei Monate später, am 2. August 1968, schon um Mord – oder um „Hinrichtung“ in der Sprache der Täter. Opfer war der Chef der Geheimpolizei von San Sebastián, Melitón Manzanas, weithin verhasst, weil unter seiner Verantwortung zahlreiche Häftlinge gefoltert worden waren. Und als sechs ETA-Mitglieder 1970 dafür zum Tod verurteilt wurden, gingen weltweit Millionen von Menschen auf die Straße und protestierten.

 

Erstes Attentat

 

Franco sah sich daraufhin ge-zwungen, das Urteil in eine le-benslängliche Freiheitsstrafe umzuwandeln. Drei Jahre später tötete ein ETA-Kommando Carrero Blanco, den Ministerpräsidenten und designierten Nachfolger des Diktators. Dies gab den antifranquistischen Strömungen in der Bevölkerung und Teilen von Politik und Kirche Auftrieb. Während zu Beginn der 70er Jahre die Sympathiewerte der ETA ihren Zenith erreichten, war die Organisation zerrissen – zwischen Anhängern der alten nationalrevolutionären Linie und einer Fraktion, die sich zunehmend marxistisch orientierte, 1971 abspaltete und bald darauf auflöste. 1974 teilte sich die Organisation - in eine „militärische“ und eine „politisch- militärische“ ETA. Die moderaten poli-milis traten nach einigen Jahren den Rückzug in die zivile Gesellschaft an, die milis hingegen setzten die alte Traditi-on fort. Für sie machte es keinen grundsätzlichen Unterschied, ob in Madrid ein Diktator oder ein gewählter Präsident regierte. Denn bei aller linker Rhetorik vom Kampf gegen den Kapitalismus war der Kampf gegen Spanien als „Besatzungsmacht“ letztlich wichtiger. Die nationale Frage war gegenüber der sozialen immer vorrangig.

 

Während der Diktatur des General Franco, der im November 1975 friedlich in seinem Bett verstarb, brachte die ETA 16 Menschen um. In den folgenden 27 Jahren fielen über 830 Personen der ETA zum Opfer; im Durchschnitt mehr als 30 Personen jährlich. Ein trauriger Höhepunkt wurde 1980 mit hundert Toten erreicht. Ins Visier der Terroristen gerieten nun längst nicht mehr nur Angehörige von Armee, Polizei und Guardia Civil, in deren Kasernen und Kommissariaten auch Jahre nach dem Tod des Diktators immer wieder politische Häftlinge gefoltert wurden. Auch Politiker und Unternehmer, die sich der Erpressung von „Revolutionssteuern“ verweigerten, wurden zu Opfern des ETA-Terrors. Selbst vor „Hinrichtungen“ in den eigenen Reihen schreckte die ETA nicht zurück. So beschloss ihre Führung 1986 die Ermordung von Dolores González Katarain alias „Yoyes“. Sie war die erste Frau, die in der ETA eine leitende Position einnahm. Nachdem sie sich vom bewaffneten Kampf zurückgezogen hatte, lebte sie sechs Jahre im mexikanischen Exil, bevor sie in ihre Heimat zurückkehrte, wo sie am helllichten Tag vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes erschossen wurde.

 

Radikalisierung

 

Zur Bekämpfung des Ter-rors setzte die spanische Regierung schließlich Todesschwadronen ein. Sehr vieles spricht dafür, dass die Anti-Terror-Kommandos der Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL) vom sozialistischen Innenminister José Barrionuevo, womöglich mit Wissen des damaligen Ministerpräsidenten Felipe González, aufgebaut wurden. Sie ermordeten zwischen 1983 und 1988 insgesamt 27 tatsächliche oder vermeintliche Mitglieder der ETA – zum Teil im baskischen Süden Frankreichs, dem traditionellen Rückzugsgebiet der Organisation.

 

Drei Faktoren führten zu einer anhaltenden Schwä-chung der ETA: Erstens rückte der sozialistische Präsident François Mitterrand von der traditionellen Politik der Tolerierung ab. Zwischen 1984 und 1989 wurden 63 ETA-Mitglieder deportiert – vor allem in lateinamerikanische Staaten; 1992 wurde die dreiköpfige oberste Führung der ETA im Süden Frankreichs verhaftet. Zweitens beschlossen 1988 mit Ausnahme der ETA-nahen Herri Batasuna alle nationalistischen und nicht-nationalistischen Parteien des Baskenlandes einen „Pakt für die Befriedung und Normalisierung Euskadis“. Drittens, und langfristig am wichtigsten, wuchs der Widerstand in der Zivilgesellschaft je mehr sich der Terror gegen Politiker, kritische Intellektuelle und Journalisten oder gegen völlig unbeteiligte Zivilisten richtete.

 

So kam es zu breiten Protesten, als 1987 vor einem Supermarkt in Barcelona eine ETA-Bombe 21 Menschen in den Tod riss. 1993 wurde der Unternehmer Julio Iglesias, Vater des populären Sängers Pablo Iglesias, entführt, um die „Revolutionssteuer“ zu erpressen - die Arbeiter seiner Firma gingen für ihren Boss umgehend auf die Straße. Und als die ETA 1997 den konservativen Lokalpolitiker Miguel Angel Blanco entführte und ihn nach einem Ultimatum von 48 Stunden ermordete, protestierten in ganz Spanien Millionen. Seit diesem äußerst kaltblütig ausgeführten Verbrechen hat ein beachtlicher Teil der baskischen Gesellschaft die Angst vor der ETA verloren und ächtet sie und ihre Sympathisanten.

 

Angesichts ihrer zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Isolierung suchte die ETA das Bündnis mit den moderaten nationalistischen Kräften der PNV. Im Herbst 1998 schloss diese mit dem politi- schen Arm der ETA, der Euskal Herritarrok (der früheren Herri Batasuna und heutigen Batasuna) den „Pakt von Lizarra“. Dabei sprachen sich sämtliche nationalistische Kräfte für Verhandlungen aus, um „das Problem der Gewalt“ zu lösen.

 

Als Bedingung für den Dialog verlangte das Bündnis allerdings, dass Spanien dem Baskenland das Recht auf Selbstbestimmung zubillige. Die ETA rief gleichzeitig einen unbefristeten einseitigen Waffenstillstand aus. 1999 kam es schließlich in der Schweiz – wie schon zehn Jahre zuvor in Algerien – zu einem Treffen zwischen Vertretern der ETA und der spanischen Regierung. Ohne Ergebnisse.

 

Im Dezember 1999 kündigte die ETA den Waffenstillstand auf. Im Januar 2000 starb Pedro Antonio Blanco, Oberstleutnant der Armee, als in Madrid ein mit Sprengstoff gefülltes Auto explodierte. Die ETA hatte nach fast anderthalbjähriger Pause ihr mörderisches Handwerk wieder aufgenommen. 44 Todesopfer hat der neu aufgelegte Terror seither gefordert. Doch ist die Organisation heute isolierter denn je in ihrer 43jährigen Geschichte. Für den 22. Dezember rief der lehendakari, der Präsident des Baskenlandes, Juan José Ibarretxe, ein gemäßigter Nationalist, die Basken zu einer Massendemonstration in Bilbao auf – zum erstenmal ausschließlich unter der Losung: ETA kanpora – „ETA raus“.