Infiziert von Gewalt

von Tobias Heider

Bislang scheint ETA keine Nachwuchssorgen zuhaben, denn sie ist an der „Basis“ bestens organisiert. Die Jugendorganisation Segi macht dieJugendlichen „scharf“ und versorgt ETA mit„Nachschub“.

Die Jugendorganisation Segi – besser bekanntunter ihrem früheren Namen Jarrai und Haika- gilt als existenzieller Teil der ETA. Aus ihren Reihen stammen die späteren militärischen Führerder baskischen Untergrundorganisation. Im Baskenland verkörpern sie sichtbar den Autonomiegedankenund die Absicht, das Ziel der Extremisten mit allen Mitteln durchzusetzen. Die Jugendlichen demonstrieren, liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei, werfen Molotowcocktails auf Gegner und schüchtern Politiker, Journalisten oder x-beliebige Bürger ein, die es wagen, sich der radikalen baskischen Sache und derArt ihrer Umsetzung entgegenzustellen. Segi stelltgewissermaßen das unerschöpfliche Reservoir an Nachwuchs für ETA dar.

 

Die Organisation wurde in den sechziger Jahrenzur Unterstützung und für die Propaganda unter bas-kischen Jugendlichen gegründet. Die kale borroka, derStraßenterror, ist einer ihrer wichtigsten Aufgaben. Siesorgen für die alltägliche Angst in der baskischen Be-völkerung.

 

Straßenschlachten

 

Ebenso organisieren undbesuchen sie Großdemon-strationen für die gemeinsame Sache mit ETA. Sienegieren die Geschichte und stellen sie als Propagandades „spanischen Feindes“ dar, der ihre Kultur, Spra-che und Mentalität zu unterdrücken versucht. Der Hassauf alles Spanische ist über Generationen in baskischenFamilien geschürt worden und wie eine Krake in alleGesellschaftsbereiche vorgedrungen. Solch anerzoge-ne, tief sitzende Abneigung entlädt sich dabei immer wieder in der von ETA gesteuerten kale borroka. DieJugendlichen glauben, das „baskisches Volk“ sei umsein Territorium betrogen worden und der Kampfgegen den „spanischen Usurpator“ sei die einzigeMöglichkeit, um die „Nation“ wieder vereinigen zukönnen. Segi betrachtet das Morden der ETA als das„Recht des baskischen Volkes“, die Mittel und Metho-den selber zu bestimmen. Der Hinweis auf die unzäh-ligen unschuldigen Opfer wird damit abgeschmettert,dass in einem „Krieg“ auch Unschuldige sterben.

So ist es die Jugendorganisation, die im Kampfgefallene etarras (ETA-Kämpfer) hochleben und ge-meinsam mit Batasuna ihre Begräbnisse zu Demonst-rationen werden lässt. Das Verbrennen der spanischenFlagge, das Entrollen des ETA-Zeichens - die um eineAxt gewundene Schlange - und das Skandieren von„Gora ETA“ („es lebe ETA“) unterstreichen üblicher-weise das Bild. Dass ETA nicht die Gesamtheit derBasken vertritt, verkennt Segi.

 

In ETA-Trainingslagern im unübersichtlichen spanisch-baskischen Bergland sowie im gegenüberliegen-den Süden Frankreichs, werden sie für eine eventuelleKarriere in comandos ilegales – die im Untergrund ope-rierenden Vollstrecker der ETA – vorbereitet. Die kaleborroka gilt als Übungsplatz, auf dem die Jugendli-chen sich profilieren, beobachtet und schließlich aus-gesucht sowie intensiv gefördert werden. Ihre Nervenstärke und Kaltblütigkeit wird später geschult.

 

Die kale borroka gibt ETA in den letzten Jahreneinen unberechenbareren und härteren Anstrich als noch zu Gründungszeiten. Ideologische und intellektuelleFührung ist zweitrangig geworden; ihre Manifeste ent-behren mehr und mehr klarer Inhalte.

 

Der Soziologe Fernando Reinares setzt sich in sei-nem letzten Buch Patriotas de la muerte mit dem Phäno-men der ETA-Jugendlichen intensiv auseinander. Erbeschreibt den klassischen Nachwuchsterroristen, ausder kale borroka emporsteigend, jung, ledig, aus einerneuen Mittelschicht und dem urbanen Raum stammendsowie durchaus gebildet. Nicht selten rücken jungeNachwuchskräfte bis in die höchsten Organisations-strukturen auf. So konnte im Februar 2001 der dama-lige mutmaßliche Chef des militärischen ETA-Apparats, Txapote, gefasst werden, der bei Haika ausgebildet wurde. Über das Werfen von Molotowcocktailsund Erpressungskampagnen entwickelte er sich zu einem der kaltblütigsten Mörder und soll zuletzt Auftraggeber der Killerkommandos gewesen sein.

 

Angeblich ist er für das wohl zynischste Attentat inder ETA-Geschichte verantwortlich: Die mit öffentlichem Countdown angekündigte Hinrichtung des zuvorgekidnappten Politikers Miguel Angel Blanco im Sommer 1997.

 

 

Informationen zu Segi und ETA

  • Internet-Seite der radikalen baskischen Jugendorga-nisation Segi
  • ETA-Dossier des Internet-Portals Europa Digital
  • über ETA von Thomas Schmid in derschweizerischen Wochenzeitung „Weltwoche“