Der ADLER und seine Kunst

Der bolivianische Maler Mamani Mamani kämpft für die Anerkennung der indigenen Kunst. Die Motive seiner Bilder stellen die Kultur und die Traditionen der Aimará-Indianer dar. Mit dem Künstler sprach Torsten Eßer für Matices über Kunst und indígenas in Bolivien.

Was bedeutet Mamani Mamani?

 

Mamani ist ein Aimará-Wort und bedeutet „Adler des Hochlandes“. Ich habe den Namen gewählt, weil ich möchte, dass mein Volk stolz darauf ist, eigene Namen zu tragen. Wenn meine Leute vom Land in die Städte ziehen, verlieren sie oftmals einen Teil ihrer Identität, vor allem weil sie ihre Namen ins Spanische ändern. Denn in unserer Gesellschaft herrscht ein verdeckter Rassismus. Sobald ein Name indianisch klingt, hat man Nachteile. Aber sie sollen trotzdem ihre Namen tragen. Ich will ihnen zeigen, dass man auch so nach oben kommen kann. Die Dopplung verstärkt diese Wirkung.

 

Wovon handeln deine Bilder? Woher stammen die Ideen für die Motive?

 

Ich habe keine künstlerische Ausbildung und komme aus dem kleinen Dorf Tiahuanacu. Nach dem Abitur ging ich nach La Paz und habe dort Agronomie und Jura studiert. Aber ich habe schon immer gemalt, schon als Kind. Leider stamme ich aus einer armen Familie, so dass ich nicht Kunst, sondern etwas studieren musste, womit ich meine Familie ernähren konnte. Aber dann habe ich einige nationale und internationale Auszeichnungen bekommen, die mir ein wenig bei meiner Karriere als Maler geholfen haben.

 

Alles, was ich male, reflektiert meine indianische Kultur. Die Bilder handeln von den Bräuchen, Traditionen und Festen meines Volkes. So finden sich dort Kondore, Sonne und Mond und viele Feiern. Ich male meistens Serien, das heißt zum Beispiel eine Reihe von Bildern mit indianischen Tempeln, oder mit Motiven aus dem Gebirge oder mit den indianischen Göttern. Die Thematik bezieht sich meistens auf die präkolumbianische Phase unserer Völker. Ich glaube nämlich, dass wir Künstler uns erst auf unsere eigene Kultur beziehen sollten, bevor wir uns anderen zuwenden. Einige bolivianische Künstler teilen meine Meinung, doch viele malen so wie in Europa oder den USA, was gar nichts mit unserer Gesellschaft zu tun hat. Sie adaptieren eine neue Strömung aus Europa und verkaufen sie hier als Neuheit. Ich hingegen benutze Vorlagen unserer Vorfahren für meine Gemälde. Zum Beispiel die Zeichnungen, die sie auf Keramiken oder Stoffen hinterlassen haben.

 

Was hat deine Kunst mit den religiösen Konzepten deiner Vorfahren zu tun?

 

Viel! In der Religion drückt sich die Essenz der Aimará aus. Bis heute feiern wir präkolumbianische Feste, bei denen pachamama (Mutter Erde) und sayo (Donnergott) verehrt werden. Mit den spanischen Eroberern kam der Katholizismus zu den indígenas, mit seinen Heiligen, Jungfrauen usw., aber die Aimará und andere blieben bei ihren Göttern. Sie gaben ihnen nur vordergründig die katholischen Namen. Wir feiern zum Beispiel das Tata Santiago-Fest, das eigentlich zu Ehren des Hl. Georg ausgerichtet wird. Aber im Grunde ehren wir dort sayo. Dieser Synkretismus ist wichtig für die Identität unseres Volkes.

 

Für deine Bilder benutzt du immer sehr knallige Farben, warum?

 

Ich benutze sehr oft die Primärfarben, was mir schon den Vorwurf eingetragen hat, wie ein Kind zu malen. Aber Mamani Mamani bedeutet Farbe! Mir gefällt diese Reinheit. Meine Großmutter schenkte mir einmal einen sehr bunten Poncho und ich fragte sie, warum er diese grellen Farben habe. Sie antwortete mir, dass die Farben in unserer Kultur bedeuten, nicht im Dunkeln zu sein. Die bösen Geister können so verschreckt werden. Diesen Brauch habe ich in meine Bilder übernommen.

 

Kannst du in Bolivien von deiner Kunst leben?

 

Jetzt ja! Seit sieben Jahren bin ich ja bekannter. Ich glaube, wenn man wirklich etwas in einem Bereich erreichen will, schafft man es auch. Ich wollte immer Malen und davon leben und habe es letztendlich geschafft.

 

Das bedeutet aber auch, dass es in Bolivien Leute gibt, die es sich leisten können, deine Bilder zu kaufen?

 

In Bolivien geht die Vermögensschere stark auseinander. Es gibt viele sehr arme Menschen, aber auch einige unvorstellbar reiche. Und die kaufen dann auch Kunst. In Europa ist das anders. Da gibt es eine Mittelschicht, die sich zumindest auch das eine oder andere Kunstwerk leisten kann. Die Kunst in Lateinamerika ist eine Sache für die Eliten. Nur wenige können es sich leisten, Kunst zu erwerben. Aber auch der Genuss von Kunst ist elitär: Die Armen gehen nicht in Galerien oder Museen, aus Unkenntnis oder weil diese zu weit weg sind. Sie liegen meistens in den reichen Vierteln.

 

Handelt es sich bei der Mehrheit der Künstler Boliviens um Weiße/Mestizen oder um indígenas, die immerhin 55 Prozent der Bevölkerung ausmachen?

 

Klar gibt es diese Söhnchen reicher und einflussreicher Leute, die Bilder malen und dann Ausstellungen machen, bei denen der Onkel, der auch Minister ist, die Bilder kauft. Im Moment stellen die Weißen bzw. Mestizen noch die Mehrheit. Aber es gibt auch immer mehr indígenas, die künstlerisch tätig werden. Man muss dafür kämpfen.

 

Sind die Künstler in Bolivien auch politisch engagiert? Hat ihre Stimme Gewicht in der Gesellschaft?

 

Es gibt eine Künstlerorganisation, in der ich allerdings nicht Mitglied bin. Sie ist mir zu bürokratisch, das ist ein Hindernis. Auch die kleineren Vereinigungen geben kaum gesellschaftspolitische Impulse. 1952 gab es eine einflussreiche Künstlergruppe. Sie spielte eine wichtige Rolle in der Revolution, durch die die indígenas zum ersten Mal ein Wahlrecht erhielten. Es waren hauptsächlich Wandmaler. Aber danach gab es kaum noch etwas.

 

Dabei haben die Künstler meiner Meinung nach die Pflicht, Probleme in ihrem Land zu thematisieren. Es gibt viele Probleme in Bolivien, die mir Sorgen machen. Ich habe deswegen schon viele Gemälde mit sozialkritischem Inhalt gemalt. Ein Maler muss ein Kritiker seines Volkes sein.

 

Welche Kunstrichtung außerhalb Boliviens hat dich am meisten beeindruckt oder sogar beeinflusst?

 

Jeder Künstler ‚ernährt‘ sich von anderen Künstlern und Strömungen. Aber er sollte die Basis in seiner Kultur haben. Die indigenen Künstler haben ihre Basis in ihrem Volk und ihrer Geschichte. Trotzdem schauen sie auch über den Tellerrand. Ich war zum Beispiel gerade in einer Ausstellung von Gustav Klimt, die mir sehr gut gefallen hat. Ich bewundere Picasso, auch wenn er kaum Einfluss auf mein Schaffen hatte.