Über die Herkunft des Begriffs „Capoeira“

von Ivan Jung

Es gehört wohl zum Charakter der Capoeira, dass sie ihre Herkunft und Bedeutung verschleiert, so wie man auch in der roda seinem Gegenüber seine Absichten verbirgt. Die etymologische Bedeutung des Begriffes „Capoeira“ ist umstritten. Fest steht, dass im Jahre 1712 Rafael Bluteau in seinem portugiesisch-lateinischen Wörterbuch zum ersten Mal „Capoeira“ erwähnt.

Es waren die Medien. So handelt etwa der Actionfilm „Only the Strong“ von einem Amerikaner, der in Brasilien Capoeira gelernt hat. Nach seiner Rückkehr trainiert er die Jugendlichen an seiner früheren High School, während er blutige Kämpfe mit den lokalen Drogengangs austrägt. In dem Computerspiel „Tekken 3“ taucht neben anderen Kämpfern auch ein Capoeirista namens Eddie auf. Ein Werbespot der finnischen Mobilfunkfirma Nokia zeigt eine Capoeira-Szene am Strand, und auch in diversen aktuellen Musikvideos, so etwa bei Sasha, sieht man eindrucksvolle Capoeira-Bewegungen. Die weltweite Anerkennung, die die Capoeira heute Mit der Entscheidung für die eine oder andere etymologische Erklärung entscheidet man sich gewissermaßen für eine bestimmte Auffassung über Capoeira. Die Etymologie des Begriffes lässt sich grob in vier verschiedene, ideologiegefärbte Richtungen einteilen:

 

Afrozentrische Etymologie

 

Vertreter dieser Theorie leiten die Herkunft der capoeira aus afrikanischen Tanz-, Kampf- und religiösen Riten ab und sehen den Ursprung des Wortes in der Sprache der Bantu in Angola, dem umbundo.

 

Portugiesische Etymologie

 

Auf den ersten Blick scheint eine Ableitung des Begriffes „Capoeira“ von capão, übersetzt mit „Kapaun“, „kastrierter Masthahn“, plausibel.

 

Diesem Erklärungsansatz scheint auch das Taschenwörterbuch von Langenscheidt zu folgen. Es übersetzt den Begriff capoeira mit „Hühnerstall“ oder „Hahnenkampf“. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass der Ablauf der roda mit den zwei capoeirista entfernt an einen Hahnenkampf erinnert. Andere Nachschlagewerke verweisen in ihren Erklärungen auf Sklaven, die auf Geflügelmärkten Käfige mit Hühnern auf dem Kopf trugen und in ihrer Freizeit capoeira praktizierten. Die Bezeichnung wurde dann offensichtlich von der Tätigkeit als Sklaven auf die „Freizeitbeschäftigung“ derselben übertragen.

 

„Zoologische“ Etymologie

 

In den Reiseberichten des Prinzen von Wied-Neuwied findet man die Beschreibung eines in ganz Brasilien verbreiteten Vogels mit dem Namen capoeira (Odontophorus capueira, Spix, auch uru genannt). Der Vogel ähnelt dem Rebhuhn, hat kurze Beine, einen runden Körper und ein dunkelgelbes Federkleid. Er legt keine großen Entfernungen in der Luft zurück, sondern läuft meist auf dem Boden. Morgens und abends ist sein eindringlicher Gesang zu hören, der von Jägern, Sklaven und Kuhhirten zur Kommunikation imitiert wurde. Daher könnte sich die Bezeichnung des Vogels auf den Menschen übertragen haben.

 

Indianische Etymologie

 

Eine sehr verbreitete Theorie leitet capoeira aus dem Tupí- Guaraní, eine der Sprachen der brasilianischen Ureinwohner, und zwar aus dem Begriff caá-puêra, ab. Er bezeichnet das Gestrüpp, das an einer gerodeten Stelle nachwächst. Verknüpft wird diese Etymologie mit dem Sklavenwiderstand. Sklaven, die ihren Herren entflohen, trafen sich an Waldlichtungen, um im Schutz des Gebüschs capoeira auszuüben., hätte wohl noch vor wenigen Jahrzehnten niemand für möglich gehalten. In Brasilien war ihre Ausübung lange Zeit sogar verboten. Der portugiesische König João VI., der 1808 vor Napoleon nach Brasilien floh, fürchtete den sozio-politischen Sprengstoff des Kampftanzes und ließ die Capoeirista verfolgen, jedoch ohne rechtliche Grundlage. Im Jahr 1889 schließlich hat die neue republikanische Regierung Capoeira wegen der monarchischen Tendenzen der Capoeirista per Gesetz verboten. Diese fühlten sich der Krone auf Grund der Abolition durch Prinzessin Isabella verpflichtet. Doch trotz des Verbots, das erst unter der Regierung von Getúlio Vargas in den 1930er Jahren aufgehoben wurde, lebte die Capoeira weiter. Mit der Einführung eines Schulungssystems durch Mestre Bimba und Mestre Pastinha begann eine neue Ära der Capoeira.

 

Seitdem wurde Capoeira zunehmend als Sport praktiziert. Gleichzeitig änderte sich die soziale Struktur ihrer Anhänger durch das gestiegene Interesse sozial Bessergestellter und Weißer an der Kampfkunst.

 

Von 1950 an verbreitete sich Capoeira wieder von Bahia über Rio und Recife, wo sie während des langen Verbots fast vollständig vom Straßenbild verschwunden war. Seit 1974 ist Capoeira als Nationalsport anerkannt und wird seitdem in Schulen, Vereinen und Universitäten unterrichtet.

 

Capoeira in Europa: Die Anfänge

 

Vor 25 Jahren kam Edvaldo Carneiro e Silva, besser bekannt als Mestre Camisa Roxa, mit einer Gruppe von Capoeirista nach Europa. Er war ein Schüler Mestre Bimbas und Mitglied der Gruppe Senzala. Mit der Folkloregruppe „Brasil Tropical“ tourte er durch Europa und präsentierte seine Kunst. Mit Camisa Roxa kamen in den 70er Jahren auch viele andere Brasilianer nach Europa und in die USA und gründeten erste Schulen.

 

Mestre Camisa Roxa lebt heute in Österreich und koordiniert den europäischen Teil der Gruppe ABADA Capoeira. Seine Reisen haben ihn bereits in über 50 Länder geführt, in die er die Capoeira als Ausdruck brasilianischer Kunst und Kultur mitgenommen hat.

 

Paulo Siqueira, ein Capoeira-Mestre aus Rio de Janeiro, begründete in Hamburg Anfang der 80er Jahre den Eroberungszug der Capoeira in Deutschland. Neben dem Aufbau seiner eigenen Gruppe half Paulo Siqueira auch vielen anderen Lehrern, in Europa Fuß zu fassen und gemeinsame Veranstaltungen und Auftritte zu organisieren. Zu Recht wird er daher als ein wichtiger Wegbereiter der Capoeira in Deutschland und Europa angesehen.

 

Für die wenigsten brasilianischen Lehrer sind jedoch idealistische Vorstellungen von Völkerverständigung oder internationalem Kulturaustausch ausschlaggebend, wenn sie ihr Glück im Ausland suchen. Meist ist es einfach die schwierige ökonomische Lage ihres Heimatlandes, in der es kaum jemandem gelingt, mit Capoeira-Unterricht seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Während in Brasilien an jeder Straßenecke eine Capoeira-Akademie auf Schüler „lauert“, gilt es dagegen in Europa, weite Landstriche zu „missionieren“.

 

Trotzdem ist es in Europa nicht leicht, eine funktionierende Schule aufzubauen. Zunächst müssen die brasilianischen Capoeira-Lehrer sprachliche und kulturelle Hürden sowie eine Menge Bürokratie bewältigen - ganz zu schweigen von den überaus schwierigen Anpassungen an Klima und Essen. Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten ziehen jedoch viele Capoeira-Lehrer das Leben in Europa dem Existenzkampf in Brasilien vor. Gleich den Anpassungen, die die Capoeira-Lehrer vollziehen müssen, verändert sich auch die Capoeira selbst gegenüber ihren Ursprüngen in Brasilien. So gilt die Capoeira hier als weniger aggressiv. Während in Brasilien der Kampf stärker im Vordergrund steht, dominieren hier die kulturellen und spielerischen Aspekte. Europäische Capoeirista sind in der Regel älter; viele nehmen ihre erste Capoeira-Stunde erst mit Anfang zwanzig, in einem Alter, in dem die meisten Brasilianer schon wieder mit dem Training aufgehört haben. Dies scheint sich allerdings zu ändern, denn in den letzten Jahren begeistern sich auch in Europa immer mehr Kinder und Jugendliche für die Kampfkunst. Schließlich ist Anfängern, die noch kein Portugiesisch beherrschen, der Zugang zu den Gesängen der Capoeira erschwert. Sie müssen mehr Zeit und Geduld für das Erlernen der Lieder aufbringen. Während sich die verschiedenen Gruppen in Brasilien teils feindselig gegenüberstehen, hat die geringere Konkurrenz zwischen den Schulen in Europa die Organisation internationaler Capoeira-Treffen möglich gemacht, auf denen Capoeirista und Gruppen aus verschiedenen Ländern neue Techniken und Erfahrungen austauschen können. Die bekanntesten, jährlich stattfindenden Treffen sind das einwöchige Sommertreffen in Hamburg und das dreitägige Ostertreffen in Amsterdam. Kritiker sehen in der internationalen Ausbreitung der Capoeira einen Verlust ihrer Wurzeln und befürchten, dass der Kampftanz, der ursprünglich aus dem Widerstand schwarzer Sklaven gegen ihre Herren hervorging, nun zu einem Konsumgut für Europäer verkommt. Dass die Geschichte nicht vergessen wird, dafür sorgen die Capoeira-Lieder, in denen bis heute der Alltag der afrikanischen Sklaven besungen wird. Die Sklaverei entspricht jedoch nicht mehr der Realität Brasiliens, und so spiegelt sich die langsame Überwindung des Gegensatzes zwischen Schwarz und Weiß auch in der Capoeira wider, an der heute jeder teilnehmen kann - unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Alter oder Herkunft. Capoeira erobert die europäischen Großstädte