Barcelona mestiza

von Britta Margraf

Sie mischen Flamenco mit Dub, Samba mit Hip Hop und singen Rock in Zapoteco. Es wird gesampelt und gescratcht was das Zeug hält und die Musikjournalisten dies- und jenseits des Atlantiks kommen ins Schwitzen: wie um alles in der Welt nennt man eine Musik, die so viele Grenzen überschreitet? Achja, dar war doch was. „Fusion“ heißt das, wenn verschiedene Dinge vermischt werden. Ein Aufatmen geht durch die Redaktionen, die Wind bekommen haben von der Mestizo Szene in Mexiko Stadt, der Nortec-Bewegung in Tijuana oder der florierenden Bandkultur in Barcelona.

Barcelona ist der derzeitige Dreh- und Angelpunkt der europäischen Fusion- Szene. Bands wie Wagner Pá, Ojos de Brujo, Dusminguet und Macaco mischen vor allem lateinamerikanische und europäische Rhythmen und Klänge zusammen. Warum dies gerade in Barcelona geschieht, liegt wohl an der speziellen Atmosphäre der Stadt: „Barcelona ist eine typische Hafenstadt, sehr weltoffen, die Menschen aus der ganzen Welt anzieht“, weiß Wagner Pá, der vor 17 Jahren mit seinen Eltern aus Brasilien in die Stadt kam. „Und wenn man einmal dort ist, will man bleiben.

 

Die Stadt hat viel zu bieten, ein reges kulturelles Leben, die Internationalität, den Strand und natürlich die ungemein reiche Auswahl an allem möglichen guten Essen....“. Für Lateinamerikaner ist Spanien der erste Anlaufpunkt in Europa, auch wegen der Sprache und des Klimas. Ein Zentrum für die Musiker aus aller Welt, die es aus sehr unterschiedlichen Gründen nach Barcelona verschlagen hat, ist der „Club Mestizo“, den Wagner selbst mit gegründet hat. Mit „Brazuca matraca“ (etwa „brabbelnder Brasilianer“) hat Wagner Pá ein sympathisch-leichtes Debütalbum hingelegt. Seine brasilianische Herkunft ist darauf deutlich spürbar: Rock, Jazz und Reggae mischen sich mit Samba und Bossa.

 

Bei Macaco spielen Argentinier, Kubaner, Andalusier und Katalanen zusammen. Sie mixen Pop, Reggae, Flamenco, Hip Hop, Rumba Catalana usw. Kann das gutgehen? „Einige Musikstile passen sehr gut zusammen, wie die katalanische Rumba und der Reggae oder Latin und Funk. Man muss ein paar Spielregeln beachten, aber darüber hinaus ist eigentlich alles möglich“, erklärt Dani Carbonell, der Kopf von Macaco. Die meisten Lieder entstehen in seiner Band spielerisch, durch ausprobieren. „Aber man muss schon aufpassen, dass man nicht ‘fusión confusión’ produziert anstelle von Liedern. Es macht keinen Sinn, Stile zu vermischen um Stile zu vermischen. Für mich geht es darum, gute Lieder zu schreiben, die dich einfach mitnehmen. Aber ich bin nicht auf der Welt, um Dinge zu tun, die andere vor mir schon getan haben. Deswegen probiere ich gerne neue Sachen aus.“

 

Und was sagen die „Puristen“ der einzelnen Musikstile zu derartiger Mixtur? Das Grundelement der Musik von Ojos de Brujo ist eindeutig der Flamenco. Doch die traditionellen Flamencoliebhaber zwischen Sevilla und Barcelona bleiben ruhig, wenn Panko ein Sample in die burlería hinein scratcht oder mehr Bläser als Gitarren auf der Bühne stehen. „Wir waren mal bei einem sehr traditionellen Flamencoprogramm im Radio eingeladen“, erzählt er. „Da haben wir sogar absichtlich unsere extremsten Fusion- Stücke mitgebracht, um ein bisschen zu provozieren. Aber niemand hat uns kritisiert. Weil man bei uns halt doch „echten“ Flamenco hört, auch, wenn wir ihm andere Elemente beimischen.“ Ojos de Brujo-Sängerin Marina wirft ein, dass die Bezeichnung „reine“ Musik ohnehin eine Lüge sei. „Jede Musik hat vielfältige Einflüsse und gerade der Flamenco ist doch der Inbegriff von Fusion: seine Ursprünge liegen in Indien, Afrika, der arabischen Welt und sonstwo. Die Gitanos, die ihn nach Spanien brachten, waren ständig auf Reisen. Sie haben überall Eindrücke von der lokalen Musik gewonnen und sie miteinander vermischt und am Ende kam das raus, was wir heute als ‘Flamenco’ bezeichnen.“ Eine weitere Abstraktionsstufe der kulturellen Vermischung erlebt die Fusion- und Mestizo- Szene in Mexiko. Hier ist die indigene Kultur überall präsent und zunehmend auch in der aktuellen Musik. Das Ergebnis lässt sich beispielsweise samstags in Mexiko Stadt auf dem Tianguis del Chopo beobachten. Der kleine, selbst verwaltete Markt ist ein Zentrum der mexikanischen Gegenkultur, in der Musik eine große Rolle spielt. Allerdings trifft man hier nicht auf Panflöten spielende Indios in Ponchos wie in den Fußgängerzonen Mitteleuropas. Indigene Kultur ist Alltag und vermischt sich in diesem mit allen übrigen Einflüssen der modernen Welt. Orines de Pureco aus dem Bundesstaat Mexiko spielen knallharten Punk: nicht mit dem Akzent der Londoner Vorstadt, sondern in der Otomí-Sprache, aber eindeutig Punk. Und auch Sentimientos Contradictorios singen ihre rockigen Lieder in ihrer eigentlichen „Muttersprache“, dem Zapoteco aus dem Bundesstaat Oaxaca.

 

Die Nortec- Bewegung aus dem Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA, zwischen Tijuana und San Diego, gibt dem Techno hier eine ganz eigene Identität. Sie mischt ihm traditionelle Klänge des Norteño Genres bei.

 

Ist das nun „Weltmusik“, wie die Plattenläden der industrialisierten Welt gerne die Musikstile bezeichnen, die sich nicht unter den Interpreten der englischsprachigen Musikkultur einsortieren lassen?

 

„Ich hasse Weltmusik“ schrieb vor einiger Zeit David Byrne (ehemals Talking Heads, Gründer des Labels Luaka Bop) in der New York Times. In New York gilt er als „Papst“ eben dieser Musikrichtung, so dass seine Aussage schockierte. Was Byrne mit dieser Provokation kritisiert und ironisiert, ist eine Geisteshaltung „westlicher“ Musikkonsumenten, die Weltmusik „wie eine exotische Speise“ behandeln, die durch ihre Andersartigkeit Abwechslung bringt, die man aber um Himmels Willen nicht jeden Tag zu sich nehmen will, um etwa Pizza, Pasta und Burger zu ersetzen. Als besonders exotisch wird die Weltmusik idealisiert, damit gleichzeitig aber auch vom eigenen Leben abgegrenzt.

 

Zugleich wird vom Genre der „Weltmusik“ oft eine Ursprünglichkeit und Wahrhaftigkeit erwartet, die an der Lebensrealität der Musiker weit vorbeigeht. Über die Entstehung der Fusion-Musik von Macaco sagt ihr Sänger Dani: „Rock’n’Roll und Hip Hop sind meine Kultur, genauso wie Flamenco und Rumba catalana. Ich bin damit aufgewachsen; ist doch egal, wo diese Musik einmal herkam. Meine persönliche Musik ist also eine Mischung aus all dem, das ist „meine“ Musik.“ Die „Globalisierung“ der Musik geschieht durch die Erfahrungen jedes einzelnen Musikers, in einer Welt, in der Distanzen schneller überwunden werden können und mehr Menschen als je zuvor– aus welchen Gründen auch immer- in Ländern leben, in denen sie nicht geboren wurden. „Wenn ich ein Stück schreibe, folge ich keinen Regeln. Es schreibt sich praktisch selbst, in mir drin“, erzählt Wagner Pá. „Und in mir drin, da ist nicht nur die brasilianische Musik, da ist auch Rock, Pop, Raggae, Jazz. Denn das sind doch die eigentlichen „globalen“ Stile, die bisher die Musikmärkte der Welt beherrschen. Die angelsächsische Musik. Aber eben auch brasilianische und spanische Musik trage ich in mir- und heraus kommt dann halt eine Musik, die verschiedene dieser Elemente miteinander verbindet.“

Manchmal schafft die Fusion verschiedener Stile auch einen Zugang zu bisher unbekannten Musikrichtungen, weil sie „Neuhörern“ durch vertraute Elemente einen Anknüpfungspunkt bietet. Diese Erfahrung hat Juan Luis von Ojos de Brujo gemacht. „Ich hab ein paar Italiener kennengelernt, die durch Ojos de Brujo zu richtigen Flamencofans geworden sind“, erzählt er. „Früher fanden sie Flamenco seltsam und uninteressant; Ojos de Brujo hat ihnen aber gefallen, weil sie da andere Rhythmen gehört haben, die gerade aktuell sind. Nachdem sie unsere Musik kannten, haben sie sich auf einmal für traditionellen Flamenco interessiert.“

 

Marina holt uns bei allem Gerede um eine Globalisierung der Musik auf den Teppich zurück. „Was wir machen, haben auch schon unsere Großeltern, Urgroßeltern und Ururgroßeltern gemacht, nämlich die Musik, die sie kannten, gespielt und dabei natürlicherweise vermischt und Neues geschaffen. Nur, dass heute alles viel schneller geht, da es viel schnellere Kommunikationsmittel gibt.“

 

Ein entscheidender Unterschied, den erst die Revolution der Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglichte, ist die zunehmende Unabhängigkeit der Musikfans von den Plattenfirmen. Über Internet, Zeitschriften oder persönliche Kontakte erreicht die Musik oft diejenigen, die sie gerne hören. „El Chopo“ in Mexiko Stadt ist ebenso ein Knotenpunkt für den Austausch von Informationen und Musikaufnahmen aus der ganzen Welt wie Barcelona.

 

Der Begriff „Weltmusik“ dagegen ist in erster Linie ein Marketing-Etikett. In ihm manifestiert sich ein anglozentristischer Blickwinkel von Kultur, der den musikalischen Entwicklungen überall auf der Welt nicht gerecht wird. Ob sich die geschaffene Realität auch auf dem internationalen Musikmarkt durchsetzen kann, ist fraglich- vielleicht aber auch gar nicht nötig oder wünschenswert.

 

Es gibt jedoch Hinweise auf die Möglichkeit der Grenzüberschreitungen auch in kommerzielleren Bereichen: Das Qrquestra de la Luz stürmte unlängst die USamerikanischen Salsa-Charts und wurde die Nr. 1. Die Bandmitglieder sind alle Japaner.