Verbotener Veilchenduft

Über ihren Film Perfume de Violetas - Nadie te oye sprachen mit der Regisseurin Maryse Sistach

Ute Mader und Sonja Hofmann

 Perfume de Violetas - Nadie te oye bezieht Position zum Thema Missbrauch von jungen Frauen. Yessica und Miriam sind zwei 15-jährige Jugendliche im Mexiko von heute. Spiel und ernstes Leben gehen bei den pubertierenden Mädchen Hand in Hand: Schminksessions wechseln sich ab mit Badeorgien, dem Austausch von Vertraulichkeiten und der Bewältigung des schulischen und sonstigen Alltags. Miriam wächst bei ihrer ängstlichen alleinerziehenden Mutter in einer überbehüteten Welt auf, die von der Doppelmoral bestimmt ist, denn dass die Mutter einen Liebhaber hat, darf die Tochter nicht wissen. Yessica hingegen wird von dem neuen Freund ihrer Mutter und dessen Sohn tyrannisiert. Während der Stiefvater sie zum Schule schwänzen animiert, damit sie arbeiten und Geld anbringen kann, verkauft sein Sohn in Zuhältermanier die Stiefschwester an einen Arbeitskollegen, um sich das neueste Modell Turnschuhe leisten zu können. Die Lehrer, die Spuren der Misshandlungen bei Yessica entdecken, schweigen letztlich genauso wie Yessica selbst, die sich niemandem anvertrauen kann, weil sie sich nicht traut, ihre Probleme offen anzusprechen. Sie versucht, den Missbrauch mit einem gestohlenen Veilchenparfüm zu überdecken. Doch ihre Probleme werden dadurch nur noch größer.

Sind Deine ersten Filme auch Filme, in denen es hauptsächlich um Frauen geht?

 

Nein, nicht immer, aber die meisten. Ich habe bisher vier Langfilme und zwei Kurzfilme gedreht. Der erste Spielfilm hieß Los Pasos de Ana (1987). In dem Film ging es um eine alleinstehende Mutter, die in einem Kino arbeitet und zwei Kinder aufziehen muss. In Anoche soñé contigo (1992) geht es um eine sexuelle Initiation eines jungen Mannes, der ein Verhältnis mit einer älteren Frau hat. Der dritte ist ein Dokumentarfilm, der La Línea paterna (1995) heißt, ein Gemeinschaftsregieprojekt mit meinem Mann, der die Drehbücher für alle meine Filme schreibt. Es geht darin um einen Mann, der aus Valencia in Spanien nach Mexiko emigriert, jedoch weniger aus ökonomischen als persönlichen Gründen. Er war Arzt von Beruf, verlor seine Familie wegen der spanischen Grippe und entschloss sich, sein Leben zu ändern und in ein anderes Land zu ziehen.

 

Dort befand er sich plötzlich mitten in der mexikanischen Revolution vom Jahre 1910. Er ging nach Papantla im Staat Veracruz, wo es eine starke indianische Tradition gibt, mit den Voladores de Papantla und den berühmten Pyramiden von Tajín. Der Großvater hatte Filme auf 9,5 Millimeter-Material gedreht, einem Schmalfilmformat, das in der 30er Jahren aufgenommen wurde. Er nahm seine Kinder auf wie ein Wissenschaftler, von dem Zeitpunkt an, als sie klein waren, bis sie erwachsen wurden, jedes Jahr mit den gleichen Festen und Geburtstagen.

 

Wir haben in unserem dokumentarischen Spielfilm mit diesen Filmen gearbeitet und noch weitere Szenen dazu gedreht. Ein weiterer Film von mir, der sich während der mexikanischen Revolution abspielt, heißt El Cometa (1998). Es geht um einen Jugendlichen, der lernt, Filme vorzuführen. Ich hatte immer die Idee, dass es mehr ein Streifen sein soll, der sich an junge Menschen wendet, um etwas von der Geschichte Mexikos und auch der Geschichte des Kinos zu verdeutlichen, aber er wurde leider zensiert.

 

In vielen Filmen aus Mexiko und auch aus Brasilien spielt das Thema der Gewalt von Jugendlichen eine große Rolle. Ist das eine Tendenz des aktuellen mexikanischen Kinos?

 

Nein, es ist eher ein Thema, das bei Festivals auf sehr viel Gegenliebe stößt. In Mexiko ist vielmehr das, was wir „Comedias lights“ nennen, im Kino zu sehen, weil die Regierung weniger Geld zur Verfügung stellt, um Kino zu machen und weil die private Kinoproduktion immer stärker wird. Der Preis für eine Eintrittskarte ist sehr teuer geworden, so dass ein Arbeiter, der ins Kino gehen möchte, einen ganzen Tag arbeiten muss, um sich das Vergnügen überhaupt leisten zu können. So ist der Kinobesuch heute eher der Mittelklasse und den Schichten darüber vorbehalten. Das mexikanische Kino war früher ein Kino des Volkes, da in den 40er Jahren in Mexiko 150 Filme pro Jahr produziert wurden, während es heute lediglich 12 sind. Die privaten Produzenten denken, dass man ausschließlich Filme nach dem Geschmack der Mittelklasse machen kann, darum war der Erfolg von Perfume de Violetas und Amores Perros eine Überraschung, die keiner so recht glauben wollte, weil mit diesen Produkten sogar noch Geld verdient wurde. Für das mexikanische Kino war das eine gute Sache. Jetzt geht es darum, dass sich die Produzenten trauen, auch andere Filme zu finanzieren. Amores Perros war natürlich die erfolgreichere Produktion, für die auch viel mehr Geld ausgegeben wurde als für Perfume de Violetas, so dass mein Film durch die kleinere Vermarktung eigentlich noch mehr einspielen konnte. Y tu mamá también ist wiederum ein anderes Phänomen, da der Regisseur in Hollywood bekannt ist und einen amerikanischen Produzenten hatte.

 

Per se ist das ein anderes Niveau, denn der Film war mit drei Millionen Zuschauern in Mexiko sehr erfolgreich. Es ist jedoch interessant, dass die Sexualität in diesem Film mit so wenig Heuchelei gezeigt wird und ich glaube, dass das für Mexiko sehr gesund ist. Es ist eher eine leichte Komödie, die zwar sehr unterhaltsam ist, aber ich glaube nicht, dass sie einen besonderen Anspruch hat.

 

Beide Mädchen in Deinem Film haben keinen Vater. Im lateinamerikanischen Kino ist ja die Suche nach dem Vater und nach der eigenen Identität oft ein Thema.

 

In meinem Film ist die Mutter diejenige, die die Familie zusammenhält und die Kinder aufzieht. Das ist vor allem ein Thema der Unterschicht.

 

Die Väter kommen und gehen, die Kinder bleiben bei der Mutter. In diesen neuen Familienkonstellationen sind dann die Kinder der beiden zusammengewürfelt, wie es bei Yessica und dem Sohn des neuen Vaters der Fall ist. Das schafft oft eine Grundlage für weitreichende Konflikte.

 

Bei Miriam hingegen haben wir den Fall der alleinerziehenden Mutter, die ganz auf sich gestellt ist und ihre Tochter mit einer Art Überbemutterung fast zu ersticken droht. Die Gewalt ist eine Realität, die für unterentwickelte Länder leider immer wieder zum Tragen kommt.

 

Es gibt eine Statistik der UNESCO, die mich wirklich erschreckt hat und die besagt, dass die höchsten Todesraten in den unterentwickelten Ländern durch Misshandlungen von Stiefmüttern und -vätern verursacht werden - gerade in den neu formierten Familien mit all diesen Kindern! Das sind aber natürlich Tabus, von denen in der Regel nicht gesprochen wird und das betrifft auch das Thema Vergewaltigung.

 

Glaubst Du denn, dass Dein Film so viel Erfolg hatte, weil er Tabuthemen anspricht?

 

Ich glaube schon und für mich war der Erfolg in der Tat eine Überraschung, weil er in jeglicher Hinsicht ein Low Budget-Film war. Eine Million Zuschauer hatte der Film in Mexiko. Und wir schauten zu, wie der Film auf wirkliches Interesse stieß und zwar nicht aufgrund eines Marketings, was es ja gar nicht gab, sondern weil die Menschen ihn gerne sehen wollten. Es kam dabei heraus, dass Missbrauch sehr oft vorkommt. Um die Protagonistinnen zu finden, haben wir einen Theaterworkshop veranstaltet, der die Teilnehmerinnen nichts kostete. Bei den Interviews mit den jungen Leuten kam heraus, dass sie enorme Zweifel bei diesem Thema haben. Wir haben mit Improvisationen zu den unterschiedlichsten Themen gearbeitet: Sexualität, der Beziehung zwischen Mann und Frau, der Beziehung zu den Eltern, Gewalt in der Schule etc. und keine nannte einen Namen, um den Missbrauch anzuzeigen. Ich gab jedem Mädchen ein Heft, damit jede ihre Biografie aufschreiben konnte. Das spielte sich jedoch alles anonym ab, denn die Hefte waren nicht mit dem Namen der Schreiberinnen gekennzeichnet. Einige von ihnen dealten Kokain, andere waren Prostituierte, und wieder andere wurden vergewaltigt. Mit den Vergewaltigungen ist das natürlich so, dass sie sich nicht selbst outen, sondern von einer anderen erzählen, der das widerfahren ist: der Cousine, der Freundin usw. Meistens war es dann der Onkel, der beste Freund des Hauses etc. Ich habe alle ihre Geschichten in einem Video festgehalten, denn ich hatte ihnen versprochen, wenn ich das Geld für den Film nicht zusammenbrächte, dass ich auf jeden Fall eine Dokumentation mit diesen Geschichten herausbringen würde. Durch den Theaterworkshop habe ich dann die beiden jungen Darstellerinnen gefunden. Die beiden Mütter sind hingegen professionelle Schauspielerinnen. Ich hatte mehrere unterstützende Gelder aus dem Ausland, wie z.B. vom Hubert-Bals-Fund des Filmfestivals Rotterdam zur Verfügung. Das war für mich wichtig, um den Film überhaupt produzieren zu können. Ich hätte jedoch gerne mehr Zeit gehabt, um ihn zu drehen, denn wir hatten nur vier Wochen.

 

Warum wolltest Du einen Film über das Thema des sexuellen Missbrauchs drehen?

 

Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit, einem Kriminalfall unter Jugendlichen, den ich in einer französischen Zeitschrift vor etwa 10 Jahren gelesen habe. Es war ebenfalls eine Missbrauchsgeschichte. Für mich war es angenehm, dass die Grundlage für Perfume de Violetas aus Frankreich kam, denn dann kann nicht jeder sagen, dass das ein typisches mexikanisches Problem sei. In Mexiko ist sexueller Missbrauch leider an der Tagesordnung, was auch durch den Mord an 200 Frauen in Ciudad Juarez belegt wird. Die allgemeine Gewalt - nicht nur gegen Frauen - ist ein Phänomen der Konsumgesellschaft. Im Drehbuch haben wir uns darum gekümmert, dass jede Figur im Film eine Geschichte hat, um auch keine Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben. Yessicas Bruder ist eifersüchtig auf seine Stiefschwester, die zur Schule geht, während er arbeiten muss. Das schafft Hass. Zudem hat er keine Mutter, arbeitet als Gehilfe eines Busfahrers, dem Yessica gefällt und vor dem er Angst hat.

 

Der Fahrer setzt ihn unter Druck und so wird die Vergewaltigung der Schwester arrangiert. Der Bruder geht sich dann die Turnschuhe kaufen, die in Lateinamerika ein ungeheures Statussymbol sind. Nur der Vergewaltiger hat im Film keine Geschichte und er ist eher so etwas wie ein Monster.

 

Welche sind Deine nächsten Projekte?

 

Meine geplante Trilogie zum Thema Gewalt wird mit zwei weiteren Filmen fortgeführt. Der zweite Teil wird sich mit dem Blickwinkel der Kinder, die auf dem Land leben, befassen. Das Drehbuch ist bereits fertig. Im dritten Teil geht es dann um Jurastudenten aus der Oberschicht Mexikos, die sich Freitag abends vor den Multiplexkinos treffen, mit Freunden quatschen und junge Mädchen anmachen, um ihre Telefonnummern zu bekommen. Sie rufen dann die Eltern an, täuschen eine Entführungssituation vor und verlangen Geld, da ihre Töchter sonst umgebracht würden. Unterdessen sitzen die Mädchen seelenruhig im Kino. Dieses Delikt kann nicht verfolgt werden, da ja nicht wirklich etwas passiert ist.

 

Und die zukünftigen Anwälte brauchen ja Geld für die Edeldisco und andere Vergnügungen. Das Drehbuch für den Film ist ebenfalls bereits fertig, es fehlt leider noch das Geld, um ihn auch drehen zu können.