Pedro Almodóvar

Cineast der Post-Postmoderne

von Sophie Boldt

Just zum Frühlingserwachen ist der neue, vierzehnte Film von Pedro Almodóvar "Hable con ella" in den spanischen Kinos angelaufen. Und auch wenn der Kinostart für Deutschland noch nicht feststeht (29. März Italien; 10. April Frankreich; 12. April Griechenland), öffnet sich hier vorweg eine schöne Gelegenheit, sich zur Einstimmung mit einer der zahlreichen Facetten des spanischen Filmemachers zu beschäftigen.

 

Almodóvar als Cineast der Post-Postmoderne. Diese Perspektivierung lohnt zum einen, weil man mit der Postmoderne beginnen muss, um sie zu überwinden und kein Zweiter es verstanden hat, die kulturellen Schwingungen der „spanischen Postmoderne“, d.h. des Postfranquismo und der Movida so eingehend auf der Leinwand umzusetzen, wie Almodóvar. Somit führt uns das Thema unmittelbar ins Gesamtwerk. Zum Anderen, weil Almodóvar es vermocht hat, über den eigenen Kulturkreis hinaus – und Spanien nimmt durch die lang anhaltende politisch-kulturelle Abschottung durch die Franco-Diktatur innerhalb der westlichen Demokratien zweifelsohne einen Sonderplatz ein – zunehmend Kultur-übergreifende Phänomene in seinen Werken zu visualisieren, ohne den eigenen Wurzeln untreu zu werden.

 

Als preisgekrönter Regisseur (allein „Todo sobre mi madre“ wurde 2000 mit zahlreichen Filmpreisen ausgezeichnet, darunter: Oscar, Premio Goya, Golden Globe, Prix César, Deutscher Filmpreis etc.) hat sich Almodóvar einem internationalen Publikum zugewandt und sich inhaltlich und stilistisch weiterentwickelt. Konnte man die frühen Filme – von seinem ersten großformatigen Leinwandfilm „Pepi, Luci, Bom y otras chicas del montón“ (1980) an bis zu „La flor de mi secreto“ – in den kulturellen Kontext der Postmoderne, bzw. der Madrilener Movida einordnen, so lässt sich in seinen neueren Werken eine Umkehr zu „moderneren“ Erzählformen konstatieren. Dies freilich ohne tatsächlich zur Moderne zurückzukehren – das heißt, wenn man von Moderne oder Postmoderne für Spanien überhaupt sprechen kann.

 

Almodóvars Werk fußt, entgegen aller Behauptungen, in der Moderne. Er selbst erzählt, dass er von zwei wichtigen Strömungen beeinflusst wurde: Der Hippiebewegung und dem Lateinamerika-Boom mit dessen Freude am Erzählen und dessen Vermischung von Realität und Fiktion.

 

Dass der lateinamerikanische modernismo integraler Bestandteil der spätmodernen Problematik Europas und Nord-Amerikas ist, ist unbestritten. Thematisch ist er eng mit der spanischen Generación ’98 verbunden, die in jeder Hinsicht als modernistisch gelten kann (Krise politischer, religiöser und kultureller Werte, Krise des Subjekts, Beeinflussung durch Nietzsche, Schopenhauer, Kierkegaard etc.). Über die Rückwirkung des lateinamerikanischen Booms nach Europa strahlen somit moderne und erzählfreudige Überlegungen auf Almodóvar aus. Hier entsteht, was sich in seiner jüngsten Entwicklung zirkulär rückentwickelt: eine Kontinuität von Moderne und Postmoderne.

 

Almodóvar war und ist mit Sicherheit der international namhafteste Vertreter des postmodernen spanischen Films. Natürlich ist es nicht ganz unproblematisch, im spanischen Zusammenhang von modernen oder postmodernen Strömungen zu sprechen. Im Gegensatz zur mitteleuropäischen und nordamerikanischen Situation herrschte in Spanien bis 1975 eine Diktatur. Aufgrund der damit verbundenen Zensur beginnt die öffentliche, kritische Auseinandersetzung und die Ablehnung aller Autoritäten und der bis in die völlige Destruktion reichenden Relativierung der „grandes histoires“ erst wesentlich später und auch wesentlich abrupter. Trotzdem gilt die postmoderne Abwehrhaltung im besonderen Maße auch für das Madrid nach der Diktatur, wo moderne Werte wie: Präzision, Klarheit und Struktur, von der Jugend unmittelbar mit Autorität, Unfreiheit und Gewalt in Verbindung gesetzt wurden. Das kulturelle Geschehen in postfranquistischer Zeit lässt sich grob in zwei Strömungen unterteilen. Einerseits die etablierte Kulturszene, die (teilweise schon während der Francozeit unveröffentlicht) versuchte, den Bürgerkrieg und seine Folgen aufzuarbeiten; andererseits die Künstler, die sich im Sinne von Gehlens „posthistoire“ völlig von der Geschichte lossagen und ihr Augenmerk lediglich auf die Gegenwart legen. Letztere Strömung äußerte sich vor allem im kulturellen Treiben der „movida madrileña“ (ca. 1980-1985) mit ihren subkulturellen Grundwerten von „todo vale“, „no future“ und individueller Freiheit. Sie äußerten sich in einer Art collageartigem, individuellen Lebensentwurf ihrer Mitglieder (künstlerische Ausdrucksformen, Kleidung, Sprache, Musik, Bars etc.).

 

Almodóvar war einer der Hauptvertreter dieser Subkultur, die sich später zum kulturellen Mainstream entwickelte. So liest sich der Abspann seiner ganz frühen Filme wie eine Auflistung der wichtigsten Figuren der „movida“ (Alaska, Ceespa, Ouka Lele etc.), deren künstlerische Ausdrucksformen (Comic, Musik, etc.) und Lebensstile (u.a. freier sexueller Ausdruck, Drogenkonsum, Wohnungseinrichtung, Frisuren etc.) er in seinen Filmen aufnimmt. Hier, in der bunten Vielfalt und dem farbigen Nebeneinander der unterschiedlichsten kulturellen und künstlerischen Stile hat der schrille, neobarocke, ekklektizistische Stil Almodóvars seine Wurzel.

 

Es sind neben den historisch-politischen Merkmalen des almodóvarischen posmodernismo also vor allem die stilistischen Elemente seiner Filme, die der kulturellen Bewegung sowohl der spanischen, aber auch der europäischen Postmoderne in besonderem Maße Ausdruck verleihen – und sie mitprägen. Ein wesentliches dieser Merkmale ist die Unbestimmtheit: Nur wer keine Weisheiten vertritt oder Thesen postuliert, ist vertrauenswürdig. Diese Unbestimmtheit ist bereits in der fragmentisierenden Grundstruktur der almodóvarischen Filme angelegt. Die Nebenhandlungen werden so stark ausgebaut, dass sie die Haupthandlung aus ihrer vorrangigen Position verdrängen. Der Film zerfällt in Einzelteile, in der die kleinste Geschichte Bedeutung erhält, wie zum Beispiel der Fund einer schönen bunten Eidechse in „Que he hecho yo para merecer esto“. Aber nicht nur Bedeutungsgewichtungen werden nivelliert, sondern auch Genrezuordnungen. Die Spannung der Filme Almodóvars entsteht mitunter durch die groteske Vermischung von Tragödie und Komödie, dem Film Noir und der Leidenschaftlichkeit einer Soap Opera. Antiautoritäre Strukturen entmystifizieren die etablierten Machtverhältnisse. Ironie, Spott und Revision werden zu Stilmitteln des Subversiven, das auch in schauerlicher Gewalt Ausdruck finden kann, ohne dass diese bewertet würde, da ja die Unterteilung in Gut und Böse wegfällt. So erscheint die Vergewaltigung von Kika in „Kika“ zwar als Gewaltakt, wird aber inhaltlich als etwas rein Nebensächliches verhandelt.

 

Hier zeigt sich ein existentieller Verlust von Subjektivität und emotionaler Tiefe. Diese emotionale Verflachung wird auch an der Pornodarstellerin Marina in „Átame“ anschaulich. Marina reagiert zwar ärgerlich auf ihre Entführung, jedoch nicht sonderlich ängstlich und schlussendlich vollführt sie sogar die emotionale Kehrtwende, sich in ihren Räuber zu verlieben. Auch die Schwester zeigt Verständnis für die Motive des attraktiven Entführers Ricky und nimmt ihn wie selbstverständlich in den Kreis der Familie auf. Das Ich löst sich auf in einer Oberfläche stilistischer Gesten, es verweigert, entzieht sich jeglicher Interpretation.

 

Als Ausgleich für die Auflösung von Subjektivität rückt zunehmend der Körper, das Geschlecht und die Sexualität in den Vordergrund. Allerdings werden auch hier die konventionellen Kategorien durchbrochen und aufgehoben. Das ehemals Perverse, wie Homosexualität und Travestie erscheint als natürliche, geschlechtliche Identität und Spielform. Die heterogene Sexualität wird hingegen ihrer eigenen „Perversitäten“ entlarvt. Der perfekte weibliche Körper und der romantische Charakter des Transvestiten Tina in „Kika“, die kurz vor dem Liebesakt „La Luz de Luna“ singt, erscheint im harten Kontrast zur Gewalttätigkeit des normalerweise heterosexuellen Nicolas, der sie während des Aktes ermordet.

 

Auch die Machtverteilung der Geschlechter im spanischen Patriarchat verkehrt Almodóvar in seinen Filmen. Im Vordergrund der Handlung stehen Frauen. Sie sind die eigentlichen Protagonisten und die einzigen Figuren, die zu wahren, leidenschaftlichen Emotionen und Bindungen in der Lage sind. Deutlich zeigt sich die Vorliebe der Postmoderne für Intertextualität, bzw. das Zitat. So erinnert das kleine Mädchen mit den magischen Fähigkeiten in „Que he hecho yo para merecer esto“ unweigerlich an die hellseherisch begabte Clara aus Allendes Geisterhaus, nur hier situiert in einem Madrider Arbeitermilieu. Aber auch Intermedialität spielt in Almodóvars Filmen eine große Rolle. So arbeitet er collagenartig Comics, Musik, ironisierende neobarocke Bilder und Ikonen, wie Abziehbildchen und Marien- und Heiligenbilder in seine Filme ein. Die Heiligenbilder, Massenimitate christlicher Werke, verdeutlichen auch die Tendenz zur Hybridisierung und Reproduktion von Genremutationen. Das Spiel mit der Parodie, dem Pop und dem Kitsch bereichert diese Repräsentation. In diesem Sinne besitzt das Abbild die gleiche Wertigkeit wie das Original, wenn freilich auch entkontextualisiert.

 

Fragmentarisierung, Partikularisierung, Auflösung der Genrevorstellungen, Verlust der subjektiven Tiefe steigern sich ins Tragikomische und Absurde. Die Dinge und Ereignisse werden relativiert, es entsteht ein karnevaleskes Antisystem der spielerischen und subversiven Elemente, die etwas völlig Neues evozieren. Dieses Neue ist durch seine spielerische Verknüpfung wandelbar, das Leben der dargestellten Personen wird zur Performanz. Die im Film dargestellte Realität wird als Konstrukt entlarvt, die Unterschiede von Sein und Schein verschwimmen.

 

Neben den positiven Seiten der Entideologisierung und Suche nach neuen Lebensformen in einer Gesellschaft, in der die großen Metatheorien (Faschismus, Diktatur, Politisierung des Glaubens durch die Kirche, aber auch existentialistisches Gedankengut) historisch nicht mehr akzeptabel erscheinen, zeigt sich in den postmodernen Auflösungstendenzen jedoch auch eine neue Gefahr, nämlich die der Indifferenz und erneuten Ideologisierung. Aber auch diese Problematik wird in den Filmen keineswegs geleugnet. Gerade „Kika“ ist für die aus Entlegitimierung zentraler gesellschaftlicher Normen entstehende Indifferenz ein herausragendes Beispiel. Gewalt (Vergewaltigung Kikas), Tendenzen zu Narzissmus (Ramons Stiefvater Nicholas tötet aus reiner Gleichgültigkeit) und Reideologisierung (hier eindeutig über die neue Macht des Mediums Fernsehen repräsentiert) werden als die Kehrseiten von „todo vale“ und grenzenloser Freiheit gezeigt. Allerdings findet in den Filmen keinerlei Wertung bezüglich der Gewalt statt, sie wird lediglich dargestellt. Und diese Nichtwertung wird zusätzlich durch die Naivität und Harmlosigkeit der Charaktere bagatellisiert.

 

Spätestens seit „Carne Trémula“, aber eigentlich auch schon in „La flor de mi secreto“, lässt sich allerdings eine neue Entwicklung im almodóvarischen Kino feststellen, die sich in „Todo sobre mi madre“ noch weiter vertieft. Ab hier kann man Almodóvar durchaus als Post-Postmodernen Cineasten bezeichnen. Wird in Kika die Gewalt lediglich dargestellt, stellenweise sogar bagatellisiert, so scheint „Carne trémula“ sich bereits mit den Folgen indifferenter „No Future“-Lebenshaltung auseinander zu setzen. Die Auflehnung gegen bestehende Normen als wichtigstem Motivationsfaktor verliert zunehmend an Bedeutung. Auch die Ignoranz gegenüber der spanischen Geschichte wird in „Carne trémula“ ansatzweise gebrochen. Zum ersten Mal gibt es Anspielungen auf die Franco-Zeit.

 

Almodóvar beginnt, sich von seiner früheren Rebellion zu distanzieren. Diese neue Ruhe zeigt sich auch in der Erzählstruktur der Filme. Anstelle der Dezentrierung der Handlung in viele gleichwertige Erzählstränge zeigt „Carne trémula“ die komplexe, durchstrukturierte, kreisförmige Struktur einer einzigen, zusammenhängenden Geschichte, deren Mittelpunkt der männliche Protagonist Viktor bildet. Auch inhaltlich stehen nun also nicht mehr antipatriarchalisch nur Frauen im Zentrum des Geschehens.

 

Stilistisch lässt sich eine Abwendung von schriller, kitschiger, poppiger Oberfläche hin zu mehr emotionaler Tiefe konstatieren. Diese emotionale Tiefe findet ihre Fortsetzung in „Todo sobre mi madre“, wo sie durch die Trauer von Manuela um den Tod ihres Sohnes sogar den Mittelpunkt des Geschehens einnimmt. Gleichwohl Almodóvar in seinen beiden letzten Filmen die karnevalesken, dionysischen Elemente nach wie vor einsetzt und auch weiterhin mit den Verfahrensweisen der Ironie, des Eklektizismus und der Hybridisierung spielt, lässt sich doch eine Überwindung postmoderner Auflösungstendenzen hin zu mehr erzählerischer Substanz und emotionaler Tiefe bemerken. Der zeitliche Abstand zur Diktatur und die zunehmende internationale Kontextualisierung lassen den subversiven Charakter der Filme in den Hintergrund treten, wenn auch freilich dessen typische Merkmale stets präsent bleiben.

 

Und hier zeigt sich die besondere Begabung Almodóvars, nicht an Bewährtem zu hängen, sondern sich beständig weiter zu entwickeln – der eigenen Zeit voraus. Denn eben das ist die eigentliche Kunst seiner Filme, neben jeglicher Kommerzialisierung, die der steigende internationale Ruhm mit sich bringt. Während sich die Feuilletonisten die Köpfe darüber zermartern, wie die „indifferente“ Postmoderne zu überwinden sei, haben sich Künstler und Cineasten wie Almodóvar schon lange auf einen neuen Weg begeben. Wie sich dieser Weg ausgestaltet, bleibt mit Spannung vom neuen Film „Hable con ella“ zu erwarten: Almodóvar spielt hier weniger mit Handlungssträngen, als vielmehr mit der Zeit, die in verschiedene Richtungen läuft, und die die äußere Handlung unterbricht. Aber diese Unterbrechungen werden aufgefangen durch eine nach innen gerichtete mentale Handlung, die den Film zusammenhält. „Hable con ella“ handelt von der Freundschaft zweier Männer, von Einsamkeit, Kommunikation und Stille. Es geht um Verfall und um Verrücktheit, als einer – foucaultschen? – Spielform der Normalität. Und der Film evoziert erneut die Erzählfreude des modernismo, der auch der postmoderne Almodóvar nie ganz widerstehen konnte.