„Mit Piazzolla hatte ich nichts zu tun“

Die wahren Geheimnisse des Bandoneons. Ein Interview mit René Marino Rivero & Gabriela Díaz

Bereits als Kind hat der Musiker und Dozent René Marino Rivero das Bandoneon für sich entdeckt. Auf seinen Konzerten mit der Gitarristin Gabriela Díaz verbreitet er die Magie des Bandoneon in der Welt. Sabine Hesse traf die beiden Künstler bei einer Konzertreihe mit dem Modern String Quartett in Köln.

 

Herr Rivero, wann hielten Sie zum ersten Mal ein Bandoneon in den Händen? Rivero: Als ich vier Jahre alt war habe ich in meiner Heimatstadt Tacuarembó -im Norden Uruguays- auf einem Akkordeon gespielt, wir nennen das verdulera. Mit sechs Jahren habe ich dann angefangen, Bandoneon zu spielen.

 

Wie kamen Sie mit vier Jahren an das Instrument? Haben Ihre Eltern es Ihnen einfach geschenkt? Rivero: Nein, einfach war das nicht – ich musste erst sehr viel weinen, um es zu bekommen (lacht)! Die verdulera stammte von dem deutschen Instrumentenbauer Hohner, und bei uns auf dem Land wurde sie von den gauchos gespielt. Sie hat nur wenige Knöpfe, aber genug, um unsere Volksmusik zu spielen: polkas, rancheras, valses criollos... Ich spielte also zuerst verdulera, aber als ich das Bandoneon kennen lernte war das für mich ein magisches Instrument! Und das ist es für mich noch heute. Das Bandoneon, das ja von Deutschen erfunden wurde, aber zu Beginn des letzten Jahrhunderts am Rio de la Plata in den Tango integriert wurde, bietet vielfältige Möglichkeiten, nicht nur beim Tango, sondern für alle Arten von Musik. Angefangen bei Bach, über die Könige des Kontrapunkts -von den Romantikern über Bartok, der sich sehr gut für das Bandoneon eignet- bis hin zur zeitgenössischen Musik. Denn das Bandoneon ist unglaublich vielseitig. Sein Register umfasst so viele Tonlagen wie ein gesamtes Streichquartett, vom tiefen C des Violoncello bis zum hohen B der Geige. Das Bandoneon ist außerdem vergleichbar mit dem Harmonium. Deswegen eignet es sich so gut für alte Musik wie die von Bach, der viel für das Harmonium komponiert hat. Und hinsichtlich der Klangfarbe hat es sogar noch mehr Möglichkeiten: durch das Touché kann man sie verändern. Doch trotz dieser Vielseitigkeit ist der Klang unverwechselbar, so dass man immer, egal in welchem Stück, egal bei welcher Gelegenheit, sagen kann: ‚Was ich da höre, ist ein Bandoneon!‘

 

Sie haben zunächst eine klassische musikalische Ausbildung absolviert ... Rivero: Ja, an einem nordamerikanischen Konservatorium – Klavier, versteht sich. Nach dem Studium war ich viele Jahre lang Lehrer und Professor für klassische Musik. Aber das Bandoneon ist mein Leben, und mit der Gitarre zusammen, mit Gabriela, eine ganz neue Magie (beide lachen)!

 

Gabriela, wann haben Sie mit der Musik angefangen? Díaz: Ich habe mit vier Jahren angefangen, in Montevideo. Aber wirklich wichtig ist erst die Zeit nach 1980, als ich bei Marino studierte. Ich habe klassische Musik studiert, auch Gitarre. 1986 hatte ich dann bei einem Workshop für zeitgenössische Musik, den Marino gegründet hatte, die Gelegenheit, mit Marino zu spielen. Dann kam diese großartige Möglichkeit, in Europa zu spielen. Marino war schon in den 80er Jahren hier auf Tournee, und seit 1991 kommen wir gemeinsam ein- oder zweimal im Jahr nach Europa und geben Konzerte, vor allem in Deutschland. Rivero: Das mit Gabriela war ein Geschenk des Himmels, denn seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts spielt man Bandoneon in Kombination mit Gitarre, in der Unterwelt, im Arrabal, und auf dem Land. Es gab immer sehr gute Duos, aber richtig berühmt wurde erst Aníbal Troilo, der mit Roberto Grela spielte. Auch der große Piazzolla schrieb ein Konzert für Bandoneon und Gitarre, das wir beide oft spielen. Und ich werde wahrscheinlich bald Seminare in Barcelona geben, zu Bandoneon und Gitarre, für Musiker und Komponisten.

 

Wo Sie gerade von Astor Piazzolla sprechen - sie haben mit ihm zusammen gearbeitet. Wie kam es dazu? Rivero: Ich habe zwei Konzerte von ihm dirigiert, eines davon in Punta del Este, in Uruguay, und Piazzolla lebte dort, aber er war gerade in Frankreich auf Tournee. Ein Gitarrist, der in Holland lebt und schon einmal mit mir gespielt hatte, schlug ihm vor, in Montevideo ein Konzert zu organisieren, um das „Doble Concierto“ aufzuführen. Piazzolla hatte es gerade geschrieben, das war 1985. Sie riefen mich an, ich schlug es dem Kulturministerium vor und wir machten es. Ich hatte eigentlich nichts mit Piazzolla zu tun, ich hatte nie seine Nähe gesucht, und er nie meine. Wir machten ganz verschiedene Sachen.

 

Ich gab Solokonzerte mit dem Bandoneon und machte damals noch viel Bach etc. und Piazzolla war der Mann des Tangos. Aber dann dirigierte ich diese Konzerte, u.a. das in Montevideo, und bei der Gelegenheit haben wir uns gesehen. Astor war ein wunderbarer Mensch, sehr charismatisch. Zu jener Zeit war er immer auf der Flucht vor der Presse, weil sie ihm ziemliche Probleme machte. Aber unter uns Musikern fühlte er sich wohl, er war ein sehr bescheidener Mensch, sehr nett. Einmal sagte er zu mir: ‚Che, René‘, (ich heiße mit erstem Vornamen René, und so nannte er mich immer), er sagte also: ‚Che René, weißt du, das sage ich jetzt nur zu dir, aber eigentlich fängt doch alles in Uruguay an.

 

Danach kommt es nach Argentinien, entwickelt sich und geht weiter nach Europa.‘ Es stimmt, aber er war der einzige, der das ausgesprochen hat. Er war sehr nobel. Díaz: Nein, das stimmt nicht ganz. Jorge Luis Borges hat es auch gesagt. Er war auch ein großer Freund Uruguays und seiner Künstler.

 

Stimmt es denn, dass beim Tango alles in Uruguay seinen Anfang hat, oder hatte? Rivero: Fast alle guten Tangomusiker waren Uruguayer, die nach Argentinien gezogen sind! Das fängt schon bei Carlos Gardel an - der kam übrigens auch aus meinem Heimatort, Tacuarembó. Francisco Granado und auch viele wichtige Komponisten waren Uruguayer. Aber Buenos Aires mit seinen mehr als zehn Millionen Einwohnern sog wie ein Polyp alle Intellektuellen und Künstler in sich auf. Jetzt ist das anders, denn man kann hin und her fliegen, also gehen wir jetzt direkt nach Europa. Aber früher musste man zuerst nach Buenos Aires gehen, wenn man im Tango etwas werden wollte. Buenos Aires war...

Diaz: ...das Mekka!