Razzien und Marchas del Orgullo

Schwule und Lesben in Mexiko

von Eva Gundermann

Am 5. Januar 2001 wurden dreißig Lesben wegen Prostitution inhaftiert, weil sie sich in der New Ocean Bar in Monterrey befanden, die vorwiegend von Lesben besucht wird. Die Polizei nahm sie ohne Angabe der Gründe fest. Die Frauen durften nicht mit ihren Anwälten telefonieren. Auf der Polizeiwache misshandelte einer der Polizisten eine von ihnen. Sie mussten eine Geldstrafe wegen Prostitution bezahlen. In dieser Angelegenheit ist keiner der Beamten juristisch belangt worden.

 

Ähnliches geschieht auch in Mexico City, besonders in der Zona Rosa, dem lesbisch-schwulen Viertel. Nach Angaben schwul-lesbischer Gruppen wurde am 18. Mai 2001 die Lokalität El Taller, Treffpunkt, Diskothek und Forum für Menschenrechtskampagnen, geschlossen. In den letzten 15 Jahren ist dies nie geschehen. Trotz Gesprächen mit den Behörden blieb El Taller bis zum 8. August 2001 geschlossen. Am 22. Mai wurde das Anyway und später die Bar Zoo, beides lesbisch-schwule Treffpunkte, ebenfalls geschlossen. Sie konnten erst nach langen und heftigen Protesten wiedereröffnet werden. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind 40 Prozent aller lesbisch-schwulen Treffpunkte geschlossen. Es ist kaum bekannt, dass Ereignisse dieser Art in Mexiko geschehen können, weil sie legal sind. Allerdings werden sie heute nicht mehr so einfach hingenommen, weil sich Lesben und Schwule organisiert haben und erfolgreich gegen ihre Diskriminierung zur Wehr setzen. Obwohl die Homosexualität in Mexiko nie strafbar war und auch heute nicht ist, diskriminierte Artikel 201 des mexikanischen Strafgesetzbuches gegen die Verführung Minderjähriger Lesben und Schwule. Dieser Artikel war bis Dezember 1998 gültig und machte den „Homosexualismus“ illegal, indem dieser Ausdruck als erschwerender Faktor zum Verbrechen hinzukam. In Mexiko gelten immer noch Gesetze, die nicht verfassungsgemäß sind, wie das „reglamento de policía y buen gobierno“ (kommunale Gesetze des „buen gobierno“), die zu willkürlichen Verhaftungen führen, basierend auf der „Moral“ und den „buenas costumbres“ (ehrbaren Sitten). So finden viele illegale Verhaftungen statt, ohne dass die Opfer dagegen vorgehen, weil ein Prozess zu teuer und zu schwierig ist. Unschuldige Menschen werden grundlos verhaftet, in Haft misshandelt und zu Verbrechern gesperrt. Nach Stunden in Polizeigewahrsam können sie einen Anruf tätigen und müssen eine Strafe bezahlen, ohne dass ein Grund dafür angegeben wird, außer dem genannten Gesetz: „por faltas al reglamento de policía y buen gobierno“.

 

Misshandlungen und Morde

 

Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Misshandlungen, denen César Salazar Góngora, ein Schwuler aus Merida im mexikanischen Bundesstaat Yucatan, am 10. August 2001 ausgesetzt war. Drei Männer griffen ihn brutal an und misshandelten ihn sexuell. Nachdem er den Übergriff zur Anzeige gebracht hatte, erhielt er wiederholt telefonische Morddrohungen. Nachdem der Fall in den mexikanischen Medien Aufsehen erregt hatte, willigte der Staatsanwalt des Bundesstaates schließlich ein, sich am 4. September 2001 mit César Salazar Góngora zu treffen. Er sagte zu, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen beschleunigen und man innerhalb von zwei Tagen Maßnahmen zum Schutz von César Salazar Góngora ergreifen werde. Nach Kenntnis von amnesty international sind bislang jedoch keine Schutzmaßnahmen eingeleitet worden, so dass César Salazar Góngora sich versteckt hält, nachdem er im Haus seiner Familie weitere Drohungen erhalten hat.

 

Die politische Repression kann bis zum Mord reichen. Eine Studie der mexikanischen Comisión Ciudadana Contra los Crímenes de Odio por Homofobia (Komitee gegen Hassverbrechen aufgrund von Homophobie) zeigt auf, dass in Mexiko zwischen Januar 1995 und Juni 2000 631 Morde an Schwulen begangen wurden. Durchschnittlich wird alle drei Tage ein Schwuler ermordet, ohne dass die Fälle aufgeklärt werden, weil die Autoritäten Vorurteile gegenüber sexuellen Minderheiten haben. Nach Angaben des Komitees wurden über 70 Prozent der Opfer unter Gewalteinwirkung getötet und erlitten im Durchschnitt 30 Stichverletzungen. Viele Familien weigern sich aus Scham, bei der Aufklärung der Verbrechen mit den Behörden zusammenzuarbeiten.

 

amnesty international vorliegenden Berichten zufolge sind in Mexiko bereits zahlreiche Homosexuelle und Angehörige anderer sexueller Minderheiten angegriffen oder getötet worden. In vielen Fällen haben die Behörden nach Kenntnis von amnesty international keine angemessenen Maßnahmen eingeleitet, um die gefährdeten Menschen zu schützen und die Anschläge effektiv zu untersuchen sowie die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2001 sind allein im mexikanischen Bundesstaat Colima vier Homosexuelle ermordet worden. Die Behörden des Bundesstaates haben dem Vernehmen nach keine effektiven Ermittlungen eingeleitet und erklärt, sie seien nicht für den Schutz der gefährdeten Menschen zuständig.

 

Die AIDS-Epidemie und ihre Folgen

 

Neben den Misshandlungen und der politischen Repression stellt Aids eine große Bedrohung dar. Als die ersten Aids-Fälle in Mexiko im Laufe der achtziger Jahre auftauchten, führte dies nicht wie in den USA zu Solidaritätsbekundungen. Im Gegenteil, viele Schwule starben in völliger Isolation, ohne von ihren Freunden oder schwul-lesbischen Gruppierungen unterstützt zu werden. Später entstanden als Reaktion darauf die ersten Aids-Organisationen wie die staatliche Fondasida. Leider wurde die Entwicklung von Programmen und Konzepten durch konservative Organisationen, wie Pro-Vida, la Asociación de Padres de Familia oder dem hardliner-Flügel der katholischen Kirche, blockiert. Es gab Anfang der neunziger Jahre kaum Aufklärungskampagnen über Sexualität und Kondome und lediglich eine relativ ineffiziente und kurzlebige staatliche Stelle namens CONASIDA. Das hat sich geändert, aber es gibt nach wie vor Probleme im Zusammenhang mit Aids. Die Aids-Organisation El Frente Nacional de Personas Afectadas por el VIH-SIDA, Frenpavih, wies im letzten April darauf hin, dass 1.350 Aidskranke keine Aids-Medikamente erhielten. Die staatliche Stiftung Fondasida beschloss, bereits betreuten Kranken in den Bundesstaaten Veracruz und Mexico City keine Medikamente mehr zu liefern. 80 Prozent der Erkrankten erhalten keine Proteasehemmer, wodurch Aids von einer chronischen in eine tödliche Krankheit verwandelt wird.

 

Nach Angaben der mexikanischen Zeitung Reforma vom 25. November 2001 sterben in Mexico City im Jahr durchschnittlich 500 Menschen an Aids, der größte Teil davon zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt. Carmen Soler, Leiterin des Aids-Programms von Mexico City, erklärte, dass seit 1983 14.000 Menschen in Mexico City an Aids erkrankten. Besonders junge Männer zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahren stecken sich an, und zwar auf sexuellem Weg. In Mexico City erkranken landesweit am meisten Einwohner, wobei das Risiko bei homosexuellem Geschlechtsverkehr ohne Kondome am höchsten ist. Im Programm sind 1.300 Aids-Kranke, die entweder von Geldern der Regierung über Fondasida oder über Mittel der Stadt selbst behandelt werden.

 

In einer solchen Situation ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Lesben- und Schwulenbewegung sich teilweise mit anderen linken Gruppen solidarisiert, wie z.B. der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN. Schließlich hatten diese indigenen Aufständischen 1994 in ihrem Kongress im lakandonischen Dschungel beschlossen, sich für ein staatliches Antidiskriminierungsgesetz, eine bessere Aufklärung über Homosexualität an Schulen, die Aufstellung von Lesben und Schwulen für Regierungsposten und eine staatliche Kampagne gegen Homophobie einzusetzen. Viele der mexikanischen Lesben und Schwulen solidarisieren sich auch mit der Partei der demokratischen Revolution PRD, obwohl die Schließung von schwul-lesbischen Bars in Mexico City durch Mitglieder der PRD für den Verlust von Sympathien gesorgt hat.

 

Eine Lesbe im Parlament

 

Wenn man die Errungenschaften der letzten Jahre untersucht, staunt man über die Öffnung hin zur schwul-lesbischen Community, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. Im Juli 1997 errang Patria Jiménez als erste bekennende Lesbe einen Abgeordnetensitz für die PRD im mexikanischen Parlament. Sie ist Gründerin und Leiterin der lesbischen Organisation El Closet de Sor Juana in Mexico City, die seit 1992 für die Rechte von Lesben kämpft. Patria Jiménez ist eine unermüdliche Streiterin für die Rechte der Lesben und Schwulen. Sie hat die Erklärung der Menschenrechte für Lesben und Schwule in Mexiko formuliert und viele Änderungen von Gesetzen angeregt, die Lesbisch- oder Schwulsein strafbar machten. Sie setzte auch die Reform des Artikels 201 durch, wodurch der Ausdruck „sexuelle Praktiken und Homosexualismus“ gestrichen wurde. Sie erreichte auch, dass der zweite Verfassungsgrundsatz dahingehend verändert wurde, dass Diskriminierung (einschließlich derjenigen aufgrund sexueller Orientierung) und neue Formen der Sklaverei verboten wurden. Mit ihrer Hilfe wurde ein neues Gesetz verabschiedet, um Flüchtlinge vor bewaffneten Konflikten zu schützen, und eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gestartet, in der ebenfalls die sexuelle Belästigung von Lesben und Schwulen thematisiert wird.

 

Im Laufe ihrer zweijährigen Amtszeit im Parlament hat sich Jiménez einen Ruf als engagierte Anwältin der Rechte von sexuellen Minderheiten erworben, obwohl sie auch sehr umstritten ist. Sie erklärte gegenüber der Presse, dass „die Verfassung uns allen dieselben Menschenrechte zugesteht, aber die Wirklichkeit zeigt, dass wir als Lesben, Schwule, Indigene und Frauen nicht geschützt werden. Uns muss als Lesben und Schwulen bewusst sein, dass unsere Rechte nicht verletzt werden dürfen. Wenn ich über Themen der sozialen Gerechtigkeit spreche, glaube ich, dass die Menschen mich nicht als lesbische Aktivistin sehen, weil ich jede Form der Diskriminierung immer abgelehnt habe. Man kann es an meinen Kampagnen ablesen, in denen ich gleichermaßen mit Menschenrechtsaktivisten zusammenarbeite, die sich für die Rechte der Indigenen, der Frauen, der Lesben und Arbeiter einsetzen.“ Als Folge ihrer Anstrengungen trat im September 1999 das neue Antidiskriminierungsgesetz in Kraft, das den Aufruf zu Hass oder Gewalt, die Diskriminierung am Arbeitsplatz, in öffentlichen Räumen und bei Dienstleistungen aufgrund sexueller Orientierung verbietet.

 

Nach ihrer Amtszeit trat eine andere engagierte Lesbe auf die politische Bühne, Enoé Uranga, die allerdings auf kommunaler Ebene, in Mexico City, aktiv ist. Sie war maßgeblich an dem Gesetzesentwurf der PRD im Dezember 2000 zur Homoehe in Mexico City, die Unión Solidaria, beteiligt. Damit sollen alternative Lebensstile, im Gegensatz zur traditionellen Kernfamilie, anerkannt und respektiert werden, und ein Schritt hin zu Legalisierung der Ehe zwischen Lesben oder Schwulen gemacht werden. Sowohl Acción Nacional als auch die konservative PRI, die Partei der institutionalisierten Revolution, stellten sich gegen dieses Projekt, so dass es nicht realisiert und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde.

 

Öffentliches Auftreten der Lesben und Schwulen

 

Trotz der Repressionen sind die sexuellen Minderheiten unvermindert in der Öffentlichkeit präsent. Am 30. Juni 2001 fand die XXIII. Marcha del Orgullo por el Respeto al Derecho a la Diversidad Sexual oder die Christopher-Street-Parade in Mexico City statt, die wie immer von der Explanada de los Leones über den Paseo de la Reforma bis zum Zócalo oder Stadtzentrum führte. Wie immer in den letzten 23 Jahren machten die TeilnehmerInnen mit bunten und fröhlichen Wägen auf sich als Lesben oder Schwule aufmerksam. Es kamen etwa 20.000 Lesben und Schwule, um sich öffentlich zu bekennen. In Aguascalientes, einem Ort, der für Lesben bisher nichts zu bieten hatte und als „Staat der Intoleranz“ bekannt war, wurde eine lesbische Bar eröffnet. Wie eine Besucherin erzählte, waren „nur 21 Lesben anwesend, aber wir waren so vergnügt, dass wir tanzten und uns unterhielten, als ob wir eine Familie wären.“

 

In Monterrey ist im Juni des vergangenen Jahres ebenfalls die erste lesbisch-schwule Parade gefeiert worden. Besonders wichtig war die erstmalige Teilnahme lesbisch-schwuler Organisationen an den Silvesterfeiern 1999 in der Hauptstadt. Am 31. Dezember fanden sich zahlreiche Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender unter der Leitung des Komitees der sexuellen Vielfalt (CODISEX) am Zócalo ein. Sie waren auf Einladung des Stadtrats von Mexiko gekommen und führten einen Wagen mit Regenbogenfahnen mit. Die Hauptattraktion der Feierlichkeiten war ein Konzert des Sängers Juan Gabriel, der angeblich schwul sein soll, das eine große Anzahl von Schwulen und Lesben anlockte. Sie versammelten sich ab 22.30 Uhr um die Regenbogenfahnen und gaben sich kurz vor Mitternacht mit Soy Gay Soy Gay zu erkennen. Es gibt also doch Hoffnung, dass sich trotz der Repressionen, die zum mexikanischen Alltag gehören, auch eine Bewegung für ihre Rechte stark macht.