Producido en América Latina

Lebensmittel aus Lateinamerika erobern die Weltmärkte. Europäische und US-Konzerne freuen sich über gute Rendite – und den Verfall der Esskultur. Ein kritischen Resumée über aktuelle Entwicklungen im Foodmarkt.

von Michael Melter

Die Broccoli-Röschen schmecken ja wieder wunderbar – sind die aus Frankreich?” fragte mich kürzlich wieder ein Kunde. Nein, sie sind nicht aus Frankreich, sondern aus Mittelamerika, genau: aus Guatemala. Riesige Broccolifelder werden dort von zahlreichen Frauen aus den umliegenden Dörfern geerntet, von holländischen und US-Kontrolleuren auf ihre Qualität überprüft. Aufgrund der strengen Kontrolle und der besseren klimatischen Bedingungen ist die Ware oft in besserem Zustand als heimische Ware, obwohl die zum Teil aus der Kölner Bucht stammt. Oder eben aus Frankreich.

 

Und das Rindfleisch – natürlich aus einer BSE-freien Zone. Die grössten Rinderzuchtgebiete der Erde liegen ausserhalb von Texas und Colorado (USA) in Südamerika, vor allem in Brasilien und Argentinien. Und daher kommt das gute magere Rindfleisch zu einem erstaunlich günstigen Preis. Ausserdem ist es nicht zuletzt durch die freie Haltung in der Steppe so schmackhaft, weiss man doch von Euro-Viechern, dass sie zumeist mit industriell erzeugtem Billigstfutter gefüttert werden. In manchen Metzgereien finden sich z.B. überhaupt keine Rinderhüfte oder Filet aus Deutschland mehr. Außerdem ist Rindfleisch einfach und preisgünstig mit dem Schiff zu importieren, braucht es doch nach der Schlachtung Reifezeit, die bis zu fünf Wochen dauert, um gut abgehangen zu sein. Die modernen Frachtschiffe können den Weg in weniger als drei Wochen schaffen. Mittlerweile produziert auch Uruguay gutes Rindfleisch und macht Neuseeland mit Lammfleisch Konkurrenz.

 

Auch die Gewürzkonzerne haben verstanden. Wozu aus Polen, Ungarn, Spanien gemahlene Paprika importieren, wenn man unter einem neuem Spezialitätenlabel - mit aufwendiger Gestaltung - das viel billiger produzierte Pulver aus Brasilien einführt und doppelt so teuer wie das europäische Pulver verkauft?

 

Chilenische Kaltwasser-Gambas und Camarones mit 'Freshwater-Quality' gelten als sehr schmackhaft, mit festem Fleisch, sozusagen al dente, und können sowohl als Frischware als auch 'fangfrisch' (Bezeichnung der EU für auf See gefangene und direkt auf dem Schiff schockgefrostete Ware, die dann im Einzelhandel aufgetaut und verkauft wird) auf den Markt gebracht werden. Oder gleich als TK, bei billigen Produkten mit viel Wasserglasur, durch die die armen Viecher dann beim Kochen oder Braten rund 60% ihrer Größe einbüßen. Ecuador spezialisierte sich in den vergangenen Jahren auf die Zucht von Camarones in Freshwater-Bassins, da sich mit diesen Tieren bessere Qualitäten und höhere Renditen erzielen lassen als mit den überzüchteten Asia-Krabben, die in trüben Süßgewässern zwischen Reispflanzen alle zwei Jahre regelmäßig am eigenen Kot ersticken und danach die Marktpreise für hochwertige Ware nach oben schnellen.

 

Sicher eine Chance für die Lateinamerikaner, versuchen doch neben Großkonzernen auch zunehmend kleine Kooperativen vor allem in Ecuador, einen Anteil am Markt zu erlangen, was allerdings nur durch Einigkeit und Zusammenhalt gelingt. Grosse Konzerne tricksen früher wie heute, um kleine 'Nebenbuhler' auszuloten, sie preislich kurzfristig zu unterbieten, um sie in den Bankrott zu treiben und dann den Preis selber zu diktieren.

 

Wer hat nicht schon einmal diese wunderbaren kernlosen Weintrauben aus Chile oder Argentinien gegessen (Sorte: Thompson Seedless), die in riesigen Bodegas an den Andenhängen und im Valle Central in Chile angebaut werden – sie kommen per Flugzeug nach Europa und haben jetzt mit südafrikanischen Trauben zu konkurrieren. Nicht etwa, dass hier ein freier Wettbewerb herrscht: der Importeur der Trauben ist derselbe.

 

Aber die schwarzen Arbeiter in Südafrika verdienen noch weniger als die Chilenen, denn die haben schon Sozialansprüche, wie ein Importeur kürzlich seufzend von sich gab.

 

Und aus welchem Land ein nicht-europäisches (Lebensmittel-)Produkt kommt, hat nicht nur mit Preisen und der Saison, sondern auch mit den Eurokraten in Brüssel zu tun. Schliesslich hat fast jedes Land der EU ein Assoziationsabkommen mit Nicht-EU-Ländern. Die Franzosen dürfen z.B. die Bananen aus Guadeloupe und Martinique (kleine Antillen, Karibik) zu Sonderkonditionen einführen. Da die dort produzierten Bananen aber teuer sind als die der Monokulturen in Honduras, Nicargua etc., wird ein Mindestpreis festgesetzt, der den Konsum der mittelamerikanischen Festlandsbananen bremst. Das gleiche gilt für Tomaten und sonstige Gemüse und Südfrüchte aus den Maghreb-Staaten.

Die Briten können bevorzugt aus Südafrika importieren, wie die Spanier aus vielen Ländern Lateinamerikas, die Portugiesen aus Brasilien, und die Deutschen aus Polen, Ungarn und der Tschechei.

 

Grosse Lebensmittel-Multis beherrschen den Markt. Es braucht keine United Fruit Company mehr – die Konzerne handeln mit den Politikern die Konditionen aus, weit entfernt von wirklich freier Marktwirtschaft. General Foods und Unilever (Holland/USA) handelt grosse Anteile des TK-Waren-Marktes in Europa bei Gemüse, und auch Bonduelles' zarte Erbschen und Mais kommen immer seltener aus Europa – sie werden weltweit eingekauft. Nestlé dehnt seinen Marktbereich weiter aus und schaffte es in Chile kurzfristig sogar, den gesamten Milchproduktemarkt zu beherrschen, bis mit Hilfe des Staates eine landeseigene Grossmolkerei aufgebaut werden konnte. Aber auch Konzerne wie Wal-Mart, Marktführer in den USA im Lebensmittelhandel, und die in Köln ansässige METRO beherrschen zunehmend die Einkaufspolitik weltweit. Nur noch Nischen- und Luxusprodukte werden in Zukunft von kleinen Firmen und freien Produzenten kommen – alles andere ist, selbst wenn es gewollt wäre, technisch und logistisch nicht mehr möglich.

 

Der Rest wird der sich rasant entwickelnden Lebensmittelchemie überlassen – man betrachte nur einmal eine Zutatenbeschreibung einer Maggi- oder Knorr-Tüte oder Dose: Geschmacksverstärker in drei Variationen, Farb- Aromastoffe, früher neudeutsch 'naturidentische Aromastoffe' genannt, billige Fette und ähnliches mehr.

 

Lateinamerikanisches Obst und Gemüse wird solange gut exportiert werden können, bis die Chinesen ihre Agrar-produktion mit Hilfe von Chemie effizienter gestalten. Holländische Konzerne arbeiten schon daran. Und der Lehrgang 'Lebensmittelchemie' in Berlin ist überlaufen – von Asiaten und Nordafrikanern, den Regionen, wo die Riesen der Branche ihre neuen Chancen sehen. Das wird sich nicht durchsetzen? Ich fürchte ja. “Ihre Tomatensosse ist so stückig, ausserdem ist da so viel grünes drin. Nehmen sie kein italienisches Tomatenmark?” fragte neulich ein anderer Kunde. Waren doch in der Sosse echte Tomaten und echte frische Kräuterblätter drin. Wie altmodisch!