Ost-Timor

Unabhängigkeit nach 24 Jahren?

von Ricarda Bruder und Ivan Jung

Die Unabhängigkeit der ehemaligen portugiesischen Kolonie Ost-Timor scheint in greifbare Nähe gekommen zu sein. Bei jüngsten Gesprächsrunden von portugiesischen und indonesischen Vertretern unter der Leitung des pakistanischen UN-Gesandten Jamsheed Marker in New York wurde ein Abkommen über die Autonomie Ost-Timors, das 1975/76 von Indonesien unrechtmäßig annektiert wurde, erarbeitet. Das Dokument beinhaltet - laut Marker - auch Vorschläge der Ost-Timoreser und ist in Teilen so verfaßt worden, daß es später als Basis für eine Verfassung dienen kann. Allerdings fanden die Forderungen nach einer UN-Friedenstruppe und einer dreijährigen Übergangsphase bis zur Erklärung der Unabhängigkeit keine Berücksichtigung. Indonesien soll aber die Möglichkeit eingeräumt haben, Ost-Timor umgehend in die Unabhängigkeit zu entlassen, falls die Bevölkerung dem Autonomieplan nicht zustimmen sollte. Auch die indonesischen Streitkräfte seien zu einer Unabhängigkeit unter gewissen Umständen bereit.

 

Bei einem Treffen am 11. März 1999 in Jakarta verständigten sich der Anführer der ost-timorischen Rebellen, Xanana Gusmão, und der Chef der pro-indonesischen Miliz, João Tavares, auf gemeinsame Friedensanstrengungen. "Der Frieden beginnt heute", bekräftigte Tavares anschließend auf der Pressekonferenz. Beide Seiten wollen die Waffen ruhen lassen, allerdings ist ein Waffenstillstand noch nicht in Kraft getreten, wie Gusmão einräumte. Während der seit dem 10. Februar unter Hausarrest stehende Gusmão die Entwicklung positiv beurteilt, bleibt der ost-timoresische Friedens-nobelpreisträger José Ramos Horta weiterhin skeptisch: "Die Indonesier haben uns bisher keinen Grund gegeben, ihnen zu trauen. Ich beurteile sie aufgrund ihres Handelns und nicht aufgrund ihrer Versprechungen." Rund 200.000 Tote in dem Konflikt geben ihm Recht, skeptisch zu sein.

 

Am 22. April 1999 wird die nächste Gesprächsrunde zwischen dem portugiesischem Außenminister Jaime Gama und seinem indonesischem Amtskollegen Ali Alatas stattfinden. Dabei sollen Einzelheiten des Autonomieabkommens besprochen werden. Eine Befragung der 800.000 Einwohner Ost-Timors soll im August stattfinden. Jakarta sträubt sich jedoch weiterhin gegen ein "richtiges" Referendum. Die Regierung befürchtet, daß Unabhängigkeitsbewegungen in anderen Landesteilen Auftrieb bekommen könnten.

 

Chaos nach der Befreiung

 

Die Vereinten Nationen haben bis heute die indonesische Staatshoheit über Ost-Timor nicht anerkannt und sehen dementsprechend die völkerrechtliche Verantwortung für die Verwaltung Ost-Timors offiziell noch bei Portugal. Die letzten Verträge Portugals über die Anerkennung ehemaliger Kolonien als Nationalstaaten stammen aus dem Jahr 1976. Mehr als zwanzig Jahre später muß sich Portugal nun mit der Frage befassen, welche Rolle es beim Übergang Timors in die Unabhängigkeit spielen kann.

 

In Portugal hatte mit der ‚Nelkenrevolution' vom 25. April 1974 der Entkolonialisierungsprozeß begonnen. Das portugiesische Militär konnte aber einen friedlichen Weg in die Unabhängigkeit nicht sicherstellen, da keine ausreichenden Truppenkontingente vorhanden waren. Das führte Ost-Timor zu einem Bürgerkrieg. Ähnlich wie auch in Angola, standen sich in Timor drei politische Gruppierungen gegenüber: die União Democrática de Timor (UDT), die Associação Popular Democrática Timorense (APODETI) und die Frente Revolucionária de Timor-Leste Independente (FRETILIN). Die UDT wollte der portugiesischsprachigen Gemeinschaft die Treue halten und sich in diesem Sinne weiterhin mit Portugal verbunden wissen. Die APODETI hingegen bevorzugte die Zugehörigkeit zu Indonesien, wollte dabei aber eine Teilautonomie beibehalten. Das Programm der FRETILIN glich den Zielen der linken anti-imperialistischen Unabhängigkeitsbewegungen aus den afrikanischen Kolonien, wie dem PAIGC in Guinea Bissau, dem MLSTP in São Tomé und Principe, dem MPLA in Angola und der FRELIMO in Moçambique, die alle eigene Staaten zum Ziel haben. Auch heute noch stehen sich die FRETILIN des Guerillaführers Xanana Gusmão und die proindonesische Miliz, geführt von João da Silva Tavares, gegenüber. Beide Gruppen liefern sich blutige Auseinandersetzungen, so daß auch nach einer Unabhängigkeit wieder ein Bürgerkrieg zu befürchten steht.

 

Auch internationale Interessen spielen in dem Konflikt eine Rolle. Australien zum Beispiel ist die einzige westliche Nation, welche die indonesische Annexion anerkannt hat. Dies geschah mit dem Ziel, sich die reichen Erdölvorkommen des ‚Timor-Gap' mit Indonesien zu teilen. Australien hat die Annexion einerseits durch finanzielle Zusammenarbeit mit der Diktatur gestützt, andererseits durch Waffenlieferungen und die Ausbildung von Soldaten. Auch die USA duldeten die indonesische Invasion 1975, denn im Kampf gegen den Kommunismus sollte verhindert werden, daß Timor sich zu einem linksorientierten Kleinstaat entwickelt. "Macht es, aber nicht mit von uns gelieferten Waffen", signalisierte der damalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger den Freunden in Jakarta. Jetzt wollen die Australier, daß die USA, Japan und die EU - mit besonderem Hinweis auf Portugal und seine "historische Schuld" -, finanzielle Mittel für die Übergangsphase bereitstellen.

 

Politisch und wirtschaftlich ist Ost-Timor schlecht auf die Selbständigkeit vorbereitet. Zwischen fünfzig- und hunderttausend Menschen, muslimische Zuwanderer aus anderen Teilen des Inselreiches, werden wahrscheinlich in ihre Heimat zurückkehren. Das könnte den Zusammenbruch des Schul- und Gesundheitswesens sowie der öffentlichen Verwaltung bedeuten. Alles sieht danach aus, als wenn Ost-Timor wieder einmal nicht die Chance auf eine gesicherte Selbständigkeit bekäme. In Portugal ist man sich seiner Verantwortung bewußt und will Hilfsprogramme für Ost-Timor organisieren.