Ein Tag und sieben Köpfe

El Salvador hat einen neuen Präsidenten

von Daniel Dräger und Daniel Mundt

Am 7. März 1999 fanden zum zweiten Mal nach dem Ende des Bürgerkrieges 1992 Präsidentschaftswahlen in El Salvador statt. Ein besonderes Ereignis? Wenn es um die Wahl des Staatsoberhauptes und der kommenden Regierung geht, sollte man eigentlich besonderes Interesse an einer solchen Wahl voraussetzen, doch nicht in El Salvador.

 

Nur 37 % der 3,2 Millionen wahlberechtigten Salvadorianer nahmen ihr Wahlrecht in Anspruch. Damit erreichte die Wahlbeteiligung einen neuen Tiefststand. Der eigentliche Sieger der Wahlen ist somit der Abstentionismus. Sechs Parteien und ein Wahlbündnis hatten Kandidaten für die Präsidentschaft zur Wahl gestellt. Von den sieben Kandidaten konnte sich bereits im ersten von zwei möglichen Wahlgängen der Kandidat der rechts-konservativen Regierungspartei ARENA (Alianza Republicana Nacionalista), Francisco Flores, durchsetzen. Dazu reichten knapp 52 % der gültigen Stimmen aus. Auf dem zweiten Platz landete die ehemalige Guerillaorganisation FMLN (Frente Marti de Liberación Nacional) mit 29 %. Für einige Experten überraschend belegte das mitte-links Wahlbündnis CDU (Centro Democratico Unido), welches sich erst 5 Monate vor der Wahl gegründet hatte, mit dem bekannten Kandidaten Ruben Zamora, den 3. Platz (7,5 %). Die Drei-Prozent-Hürde übersprangen nur noch zwei weitere Parteien: Die konservative PDC (Partido Demócrata Christiano) erhielt 5,7 % der Stimmen und die alte Militärpartei PCN (Partido Christiana Nacional) lag bei 3,8 %. Eine Klausel im salvadorianischen Wahlsystem besagt, daß Parteien, welche die Drei-Prozent-Hürde nicht überspringen, aufgelöst werden müssen und aus dem Parteiensystem verschwinden.

 

Aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung vertritt der mit absoluter Mehrheit gewählte Präsident nur rund 18 % der gesamten salvadorianischen Bevölkerung, wobei berücksichtigt werden muß, daß ungefähr der Hälfte der Bevölkerung jünger als 18 Jahre ist und noch nicht wahlberechtigt ist.

 

Kandidaten ohne Alternativen

 

Sämtliche Kandidaten waren bereits in parteiinternen Vorauswahlen bestimmt worden. Der bis vor einem Jahr gänzlich unbekannte Francisco Flores, der in Kalifornien und in Harvard Philosophie und Politikwissenschaften studierte, wurde durch eine Marketingleistung sondergleichen in 10 Monaten aufgebaut und bekannt gemacht. Der 40jährige präsentierte sich täglich - dank der sehr guten finanziellen Ausstattung der ARENA - auf ganzseitig farbigen Zeitungsanzeigen. Einige Wochen vor der Wahl war er in jeder Werbepause auf allen Fernsehkanälen zu sehen, in bunten aber einfallslosen Werbespots. Doch so konnte er viele vergrämte Wähler gewinnen. Er verweigerte jedoch hartnäckig jede öffentliche Debatte mit den anderen Kandidaten. Während alle anderen Kandidaten wenigstens einmal in einer öffentlichen Fernsehdebatte auftraten, gab Flores bekannt, daß er nur mit dem Kandidaten der zweitstärksten Kraft im Land - vor einem eventuellen zweiten Wahlgang - debattieren würde. Diese Haltung wurde immer wieder heftig kritisiert und das Argument, daß öffentliche Debatten der erst jungen Demokratie weiterhelfen könnten, wurde von dem Kandidaten immer wieder vom Tisch gewischt.

 

Die linke FMLN hatte den 45jährigen Facundo Guardado ins Rennen geschickt, der sich als besonders blaß und rhetorisch schwach erwies. Ohne neue Ideen präsentierte er sich den gesamten Wahlkampf über und bot somit keine Alternative zur bestehenden Regierung. Zum Nachteil gereichte ihm auch seine Vergangenheit als Guerillero. Viele seiner Parteifreunde warfen ihm vor, er würde die Berge des Landes besser kennen als das politische Parkett. Der 57jährige Rubén Zamora hingegen trat mit seinem neuen mitte-links Wahlbündnis (CDU) an, und war verhältnismäßig erfolgreich. CDU hat nun Ambitionen, sich in eine Partei der neuen Mitte zu verwandeln, da die PDC kein Vertrauen mehr in der Bevölkerung genießt. Zamora, der schon lange auf dem politischen Parkett tätig ist, hinterließ in sämtlichen Diskussionen den besten Eindruck.

 

Aber auch er konnte keine neuen Ideen zur Lösung der gravierenden Wirtschaftsprobleme des Landes präsentieren. Die Christdemokraten (PDC) geniessen kein Vertrauen mehr in der Bevölkerung und gelten inzwischen als Partei des rechten Spektrums. Seit den Wahlen von 1984 haben sie kontinuierlich Stimmen verloren, daran konnte der bekannte 42jährige Anwalt Rodolfo Parker auch diesmal nichts ändern. Für die alte Militärpartei PCN, deren Kandidat Hernan Contreras kaum Wahlkampfveranstaltungen durchführen konnte, da er einige Wochen vor den Wahlen einen schweren Autounfall erlitt und den Großteil des Wahlkampfes im Krankenhausbett zubrachte, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ihre alten Wähler aussterben und sie aus dem Parteiensystem verschwindet.

 

Wählen kann teuer sein

 

Eine Reihe von Faktoren haben die niedrige Wahlbeteiligung begünstigt. Zum einen das mangelnde Vertrauen in die politischen Parteien El Salvadors und zum anderen ein kompliziertes Wahlsystem, daß die Bevölkerung nicht unbedingt ermuntert, wählen zu gehen. Jeder volljährige Bürger muß sich zuerst einen Wahlausweis besorgen, der ihn zur Wahl berechtigt. Dieser Ausweis gilt nur in der Region, in der er ausgestellt wurde. Hat man sich also in der Kommune X eingeschrieben, wohnt aber mittlerweile in der Stadt Y, kann man nur in X wählen gehen, egal wie groß die Entfernung ist. Da so eine Fahrt neben Zeit auch Geld kostet, nahmen viele nicht an den Wahlen teil. Das System der Briefwahl ist in El Salvador unbekannt.

Nachdem die erste Hürde mit Erhalt des Wahlausweises übersprungen ist, muß sich der Wähler informieren, in welchem Wahlzentrum er wählen soll. In El Salvador werden große Wahlzentren errichtet, in denen die Wahlbezirke nach Buchstaben aufgeteilt sind. Gerade in der Hauptstadt San Salvador sorgt dies bei der Vielzahl von Wahlzentren immer wieder für Verwirrung. So kann es passieren, daß man, um sein Wahlrecht auszuüben, zum anderen Ende der Stadt fahren muß, weil dort das Wahlzentrum mit dem eigenen Buchstaben liegt. In ländlichen Bereichen mußten die Wähler teilweise Distanzen von bis zu 30 km zurücklegen, um zu 'ihrem' Wahlzentrum zu kommen. Bei der Wahl selbst ergaben sich dann vor allem für die rund 50 % Analphabeten weitere Probleme. Sie konnten oft ihre Urne nicht finden, an der sie wählen mußten. So wurde von Fällen berichtet, in denen die Wähler das Wahlzentrum ohne Abgabe der Stimme wieder verließen.

 

Nach Einschätzung aller internationalen Wahlbeobachter ist am Wahltag selbst alles mit rechten Dingen zugegangen. Großangelegter Betrug, wie zum Beispiel bei den Präsidentschaftswahlen 1996 in Nicaragua, fand offensichtlich nicht statt. Doch wurden gerade aus den ländlichen Gebieten immer wieder Unregelmäßigkeiten bekannt.

 

So ist im Wahlkodex festgelegt, daß sich an jedem Wahltisch ein Beobachter jeder Partei aufhalten darf, um den Wahlvorgang zu überwachen. Doch diese Beobachter verursachen nach Einschätzung der internationalen Wahlbeobachter ein unerwünschtes Chaos, das noch forciert wurde, weil die beiden großen Parteien ARENA und FMLN mehr Beobachter aufgestellt hatten als erlaubt. Die Beobachter sollen teilweise hinter den Wählern gestanden und über deren Schulter bei der Stimmabgabe zugesehen haben. Auch hatte ARENA in der Nähe eines Wahllokals in großen Mengen Nahrungsmittel in mit der Parteiflagge bedruckten Beuteln verteilen lassen. Was für Auswirkungen das auf Wähler hat, die von der Hand in den Mund leben, darüber muß kaum spekuliert werden.

 

In El Salvador galt am Tag vor, während und nach den Wahlen das 'ley seca', das besagte, daß in diesem Zeitraum weder Alkohol verkauft noch konsumiert werden durfte. Dies sollte für den reibungslosen Ablauf der Wahlen sorgen, hatte jedoch auch zur Folge, daß - nach Aussage des Geschäftsführer eines großen internationalen Hotels in San Salvador - am Tag vor in Kraft treten des Gesetzes ein Auto mit mehreren Kisten Alkohol vorgefahren sei und die Kisten in das Zimmer des zentralen Wahlausschusses gebracht worden seien.

 

Auch wenn es am Wahltag keinen Betrug gegeben hat, so fand er nach Angaben eines Mitarbeiter des zentralen Wahlausschusses schon vor den Wahlen statt, und zwar durch die mediale Überpräsenz der ARENA, die ihre Wahlpropaganda aus der Kasse des jetzigen Präsidenten Calderón Sol (ARENA) finanzieren konnte. Der Präsident hatte nämlich die alleinige Verfügungsgewalt über eine Kasse von 80 Millionen. US-$, über die er keinerlei Rechenschaft ablegen mußte. Aus dieser Kasse ist der ARENA-Wahlkampf mitfinanziert worden. Außerdem hat die Regierungspartei viele Regierungsstellen in den Wahlkampf eingebunden und so Personen- und Materialressourcen freigesetzt, die die anderen Parteien zu keinem Zeitpunkt hatten. Einen faden Beigeschmack hinterläßt die vorschnelle Selbstdeklaration von Francisco Flores zum Wahlsieger. Schon 2 ½ Stunden nach Schließung der Wahllokale erklärte er sich mit 53 % der gewonnenen Stimmen zum Sieger, ohne daß eine einzige offizielle Zahl von seiten des zentralen Wahlausschusses bekannt gegeben worden war. Denn leider funktionierte die Stimmenauszählung nicht so schnell wie erhofft. Erst gegen 21.30 Uhr konnte ein erstes Ergebnis (nach Auszählung von ca. 25 % der Stimmen) bekannt gegeben werden.

 

Alles bleibt beim Alten

 

Kurz nach Ostern will sich Francisco Flores mit der Frage der Besetzung seines Kabinetts beschäftigen. Bereits kurz nach den Wahlen haben sich Mitglieder seiner Familie und der Familie des jetzigen Präsidenten ins Gespräch gebracht und werden wohl auf irgendeinen gutbezahlten Versorgungsposten gehievt werden. Insgesamt ist davon auszugehen, daß es weder in der Politik noch in der Ämterbesetzung gravierende Änderungen geben wird, auch wenn Flores versprochen hatte, eine neue Form des Regierens und der Politik einzuführen. Der jetzige Regierungskurs der Privatisierung und einseitigen Stärkung der Wirtschaft wird weiter voran getrieben werden, die sozialen Belange der Bevölkerung bleiben weiterhin auf der Strecke. Das Wahlsystem ist allerdings wieder stark in die Kritik geraten und es wird ernsthaft über die Einführung der Wahl am Wohnort nachgedacht, was sicherlich eine größere Wahlbeteiligung mit sich bringen würde. Auch wird über die Einführung eines allgemein gültigen Ausweispapieres nachgedacht, mit dem überall wählen gehen könnte.

 

Wurden die Präsidentschaftswahlen von 1994 noch als die "Wahlen des Jahrhunderts" angekündigt, so kann man die diesjährigen Wahlen als die "langweiligsten Wahlen des Jahrhunderts" bezeichnen. Keine der Parteien konnte in der Wahlkampagne überzeugen, bereits Wochen vor der Wahl konnte man davon ausgehen, daß Flores die Wahlen gewinnen würde. Das Einzige was noch nicht fest stand, war, ob er die erforderliche absolute Mehrheit im ersten oder zweiten Wahlgang bekommen würde. Die Wahl, so unspektakulär sie auch war, eröffnet jedoch viele neue Szenarien und Perspektiven bis zur nächsten Wahl der Abgeordneten im Jahr 2000. Bis dahin wird sich einiges in der Parteienstruktur und -landschaft verändert haben.