Das Glück ist ein Pfeifen

Filme aus und über Kuba auf den 49. Internationalen Filmfestspielen von Berlin

von Sonja Hofmann

Nach dem Erfolg des brasilianischen Regisseurs Walter Salles, der im letzten Jahr mit seinem Film Central do Brasil den Goldenen Bären gewann, ließ sich auf den 49. Berliner Filmfestspielen nicht ein einziger lateinamerikanischer Wettbewerbsbeitrag finden. Lediglich Wim Wenders' neuestes Werk, die Dokumentation über Ry Cooders Musikprojekt Buena Vista Social Club, die als Sondervorführung außer Konkurrenz gezeigt wurde, ließ die Zuschauer im Zoopalast für 100 Minuten in kubanische Son-Rhythmen abtauchen. Doch dafür wartete das Forum mit der Präsentation verschiedener argentinischer und kubanischer Produktionen auf, die von den Regisseuren selbst vorgestellt wurden. Für die beiden kubanischen Filmemacher und Freunde Fernando Pérez und Rolando Díaz kein Neuland, waren sie doch bereits in vergangenen Jahren mit ihren Filmen auf der Berlinale zu Gast.

 

Ein Film über "die Suche nach der Glückseligkeit in Kuba am Ende dieses Jahrhunderts", so beschreibt der Regisseur Fernando Pérez, dessen letzter Spielfim Madagascar 1995 ebenfalls im Forum der Berlinale gezeigt wurde, sein neues Werk. La vida es silbar, auf dem 20. Filmfest von Havanna mit dem Premio Coral für den besten Film, die beste Regie und die beste Kamera ausgezeichnet, ist vor allem ein Film über Havanna und die Suche nach dem persönlichen Glück dreier Protagonisten: Mariana, eine junge Ballettänzerin, die die Rolle der Giselle zu tanzen ebenso begehrt wie die Körper junger Männer, Elpidio, ein junger Musiker, der als kleiner Junge von seiner Mutter - mit dem symbolischen Namen Cuba - verlassen wurde, weil er nicht nach deren Wünschen geriet und Julia, eine Altenpflegerin, die bei der Arbeit Gähnanfälle bekommt und bei dem Wort "Sex" in Ohnmacht fällt. Verbunden sind alle durch den gleichen Ausgangspunkt: sie wuchsen als verlassene Kinder im Waisenhaus auf. Für Fernando Pérez sind Leere und Abwesenheit Bestandteile eines jeden Menschen und so definiert sich auch das persönliche Glück vor allem in seiner Suche, die auch die Suche nach der eigenen Identität ist. Alle drei Charaktere müssen Entscheidungen treffen und versuchen, die Angst vor der Wahrheit, vor den Worten und den Ideen dahinter zu überwinden, um ausgehend von der Wahrheit den Neuanfang zu wagen.

 

Die Fäden in der Hand hält dabei die 18jährige Bebé, die die drei Geschichten parallel erzählt und ihren Protagonisten zu mehr Lebensfreude verhelfen will. Für sie steht jedenfalls fest: das Glück ist wie ein Pfeifen.

 

Fernando Pérez hat mit La vida es silbar den Bruch vom traditionell-realistischen kubanischen Kino zum poetisch-metaphorischen Film vollzogen. Dabei ließ er sich von den vielfältigen Realitäten in den Bildern Magrittes ebenso inspirieren wie von der ihm bereits eigenartig und verwirrend genug erscheinenden Realität im heutigen Havanna selbst. Vor einer allzu überladenen metaphorischen Bildsprache bewahrt uns die Fähigkeit des Humors, Gesetzmäßigkeiten außer Kraft treten zu lassen. Wenn am Malecón flanierende Kubaner bei Worten wie "Freiheit" und "Doppelmoral" gleich reihenweise in Ohnmacht sinken, zeigt sich, daß sich auf solche Weise Kritik ebensogut wie in realistischen Filmen üben läßt.

 

Auch in dem spielerischen Dokumentarfilm Si me comprendieras von Rolando Díaz geht es um das Problem, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Der Titel entstammt einem Bolero, denn eigentlich wollte Díaz einen Musikfilm drehen. Stattdessen machte er dann aber die Aufgabe, geeignete Laiendarsteller für den Film zu finden, zum Thema eines anderen Films: das dokumentarische Porträt von acht Kubanerinnen, die, auf den Straßen Havannas gecastet, für die Hauptrolle in dem geplanten Musical in Frage kämen. Herausgekommen ist der erste Film eines Kubaners über das Leben schwarzer Frauen in Havanna. Eine Sozialstudie, die neben den Alltagsproblemen Themen wie Nationalismus, Ausreise und Trennung der Familien aufgreift, vor allem jedoch das in Kuba brisante aber weitgehend ignorierte Problem des Rassismus. Für Rolando Díaz ging es darum, Klischees zu entlarven und das Dogma des "Nichtrassismus" auf Kuba zu entmystifizieren. Schließlich reflektiere jede einzelne der Darstellerinnen Aspekte der Geschichte des Landes. Der Film wurde, wie auch La vida es silbar, auf dem Filmfest von Havanna aufgeführt, jedoch mit ungleich geringerem Erfolg. Zwar reagierte vor allem der schwarze Teil der Bevölkerung sehr bewegt auf den Film und die Jury vergab eine "Besondere Erwähnung". Diese Auszeichnung wurde aber während der offiziellen Preisverleihung im Teatro Marx in Havanna nicht erwähnt. Scheint, als hätte der auf Teneriffa lebende Díaz kein Glück bei den kubanischen Behörden, zumal auch sein letzter, sehr humorvoller Film Melodrama, den er 1996 auf der Berlinale präsentierte, bislang nicht in kubanischen Kinos gezeigt werden konnte. Bleibt zu hoffen, daß er mit dem weiterhin geplanten Musical, in dem eine der acht Frauen die Hauptrolle erhalten soll, endlich die kubanischen Kinos erobern wird.

 

Wim Wenders erfreut uns bereits diesen Sommer mit einem musikalischen Filmereignis. Von dem amerikanischen Gitarristen Ry Cooder, seinem langjährigen Freund, der die Filmmusik zu Paris, Texas und Am Ende der Gewalt geschrieben hat und ihm begeistert von seiner Kubareise und den Aufnahmen für die Buena Vista Social Club-Platte erzählte, angesteckt, begleitete er Cooder Anfang 1998 mit einem kleinen Filmteam nach Kuba, um Musiklegenden wie Compay Segundo, Rubén González, Ibrahim Ferrer, Omara Portuondo und Eliades Ochoa bei Studioaufnahmen sowie in ihrem Alltag in Havanna zu beobachten. Als Cooder 1996 die Klassiker des kubanischen Son in Havanna aufspürte, besaß der Pianist Rubén González bereits seit zehn Jahren kein Klavier mehr und hatte arthritische Finger, während Son-Interpret Ibrahim Ferrer sich vergessen und verarmt als Schuhputzer verdingte. Doch die Musik trugen sie nach wie vor in sich und Wenders war fasziniert von der "Ehrlichkeit, Erfahrung und Leichtigkeit", die in ihr liegt. Diese Leichtigkeit und Unmittelbarkeit versucht Kameramann Jörg Widmer mit der Steadycam einzufangen, die Musik spricht für sich selbst und Wenders tritt als Regisseur hinter seinen Stars zurück. Studioaufnahmen werden mit Konzerten gegengeschnitten, den einzigen, die der Buena Vista Social Club gegeben hat. Im April 1998 traten die "Super-Abuelos" in Amsterdam auf, und im Juli 1998 ging ihr persönlicher amerikanischer Traum in Erfüllung: ein Auftritt in der legendären Carnegie Hall. Man kann sich im Kinosessel zurücklehnen und sich treiben lassen in der Begeisterung der Konzertbesucher, den Lebensberichten der "Soneros", den Handkamerabildern von Havanna und in dem virtuosen Spiel von Rubén González, der in einem weitläufigen Saal Ballettschülerinnen mit seinem Klavierspiel beschenkt. "In Kuba fließt die Musik wie ein Strom", sagte Ry Cooder. Und Wenders verstand es, sich auf ein Mittreiben zu beschränken, um den kubanischen Musikern ein filmisches Denkmal zu setzen. Bundesweiter Starttermin von Buena Vista Social Club ist der 17. Juni.