Militär statt Miss Universum

Präsidentschaftswahlen in Venezuela

von Sabine Hesse

Am sechsten Dezember wurde in Venezuela ein Mann zum Staatspräsidenten gewählt, der vor einigen Jahren noch versucht hatte, dieses Amt mit militärischer Gewalt zu erringen. Hugo Chávez Frías, damals Admiral der Luftwaffe, unternahm am vierten Februar 1992 einen Putschversuch gegen den damaligen Präsidenten Carlos Andrés Pérez und versprach schon bei seiner Festnahme, daß er wiederkommen werde. Wer hätte damals gedacht, daß er am zweiten Februar 1999 als demokratisch gewählter Volksvertreter die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte, genau zwei Tage vor dem siebten Jahrestag des gescheiterten Staatsstreiches?

 

Das Wahlergebnis war deutlich: Hugo Chávez bekam 56 Prozent, sein stärkster Rivale Enrique Salas Römer immerhin 40 Prozent der Stimmen, während für Irene Sáez Conde nur drei Prozent abfielen – eine klägliche Niederlage für die ehemalige Miss Universum, die im gesamten ersten Halbjahr 1998 die Favoritin unter den Präsidentschaftskandidaten gewesen war. Ihre Schönheit reichte den Venezolanern offensichtlich nicht als Qualifikation für das höchste Staatsamt, ebensowenig wie ihre Erfolge als Bürgermeisterin eines Nobelviertels in den Außenbezirken von Caracas. Es ist etwas anderes, in einem aufgeräumten Elitestädtchen eine Verwaltungsreform durchzuführen, als ein Land zu regieren, in dem Korruption und Schmiergeldzahlungen der Alltag sind, und in dem mittlerweile 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben.

 

Diese Umstände hatte Hugo Chávez zum Mittelpunkt seines Wahlkampfes gemacht. Er wetterte gegen den aufgeblähten und korrupten Verwaltungsapparat, gegen die wenigen Reichen, die die Ressourcen des Landes unter sich aufteilen, gegen Steuerhinterziehung und die Beschneidung von Sozialprogrammen. Mit seinen linksnationalistischen Parolen versammelte er ein ganzes Parteienbündnis hinter sich, in dem sich neben Sozialisten und Kommunisten auch fünf ehemalige Minister des scheidenden Präsidenten Rafael Caldera einfanden. Vor allem aber fand er mit seinen vollmundigen Wahlversprechen die Zustimmung des Volkes. Im ehemals so reichen Erdölstaat Venezuela sind nach neuesten Schätzungen 4 Millionen Kinder unterernährt, die sogenannte Mittelklasse mußte seit 1978 einen Kaufkraftverlust von 30 Prozent hinnehmen. Die Agenda Venezuela, der ehrgeizige Reformplan der Regierung Caldera von 1996, scheiterte an der halbherzigen Durchführung.

 

Die angestrebte Liberalisierung der Wirtschaft reduzierte sich auf eine Gesetzesreform zur 'Flexibilisierung' des Arbeitsmarktes. Die Privatisierungswelle, mit der die Staatsfinanzen aufgebessert werden sollten, weitete sich dafür auf Teile der Sozialversicherung und des Gesundheitssystems aus, so daß sich die medizinische Versorgung des Landes immer weiter von internationalen Standards entfernt. Durch den Verfall der Erdölpreise wurden die Staatseinnahmen 1998 empfindlich geschmälert, so daß die Regierung im laufenden Hauhaltsjahr immer wieder Kürzungen verabschieden mußte, die sich in der Summe auf 4,3 Milliarden US-Dollar belaufen. 

 

Chávez versprach als Abhilfe zunächst eine Aussetzung der Schuldenzahlungen Venezuelas an das Ausland, sowie eine ”gerechtere Verteilung des Besitzes” im Inland. Die nationale Elite und vor allem internationale Investoren zeigten sich daraufhin mißtrauisch bis bestürzt. Auch die inländische Presse machte gegen den ”gewalttätigen Chaoten” mobil, der im Falle seiner Wahlniederlage einen erneuten Putsch nicht ausschloß. Das alles änderte nichts an seinen glänzenden Ergebnissen in Beliebtheitsumfragen, doch wurde Chávez mit der Zeit etwas vorsichtiger. Hatte er im Juli noch mit der Enteignung von Ferienhäusern reicher Venezolaner und anderen Gewaltmaßnahmen gedroht, setzte er sich in den Monaten vor der Wahl mehrmals mit Vertretern von in- und ausländischen Unternehmen und Banken zusammen und gab sich auch in seinen Reden gemäßigter. 

 

Die angestammten Parteien AD und Copei, die vier Jahrzehnte lang die Politik des Landes bestimmt hatten, waren gegen den Aufstieg der parteiunabhängigen Präsidentschaftsanwärter machtlos. Zu sehr sind sie in innerparteilichen Streitigkeiten verstrickt, zu farblos waren ihre eigenen Kandidaten. Den Vorschlag, mit dem ebenfalls unabhängigen Kandidaten Henrique Salas Römer ein ”Anti-Chávez-Bündnis” zu gründen, schlugen sie aus. Auch Salas Römer, immerhin gelernter Volkswirt und erfahrender Gouverneur des Bundesstaates Carabobo, zierte sich und bestand auf seiner Unabhängigkeit, um das Vertrauen seiner Wähler nicht zu verlieren. Als man sich angesichts von Chávez Übermacht eine Woche vor der Wahl doch noch entschloß, eine Einheitsfront zu bilden, war es zu spät, die Niederlage war besiegelt.

 

Der strahlende Sieger gab sich jedoch trotz aller Angriffe gegen ihn versöhnlich und sagte in einem Fernsehinterview, er halte die Rolle der Opposition in einer Demokratie für außerordentlich wichtig. Seine ersten Maßnahmen werden laut seinen Äußerungen eine Bekämpfung des Haushaltsdefizits sein. Deregulierung der Wirtschaft kündigte er ebenso an, trotzdem befürchten viele Beobachter ein protektionistisches Programm mit Preiskontrollen und Handelshemmnissen. Insgesamt reagierte die Wirtschaft jedoch wie so häufig pragmatisch: schon vor der Wahl hatten einige ausländische Großunternehmen dem klaren Favoriten Wahlhilfe versprochen, darunter auch der Coca-Cola-Konzern. Daß Chávez wegen seines Putsches die Einreise in die USA verboten ist, stört das US-amerikanische Unternehmen nicht. Die Börsenkurse stiegen in den ersten drei Tagen nach der Wahl überraschen um 46 Prozent – bleibt abzuwarten, was für ein Wirtschaftsprogramm der neue Präsident bei seinem Regierungsantritt vorstellt.