Diktatoren enden nie gut

Pinochet vor Gericht?

von Udo Loeffler

Augusto Pinochets Auslieferung nach Spanien war in greifbare Nähe gerückt. England gab in einem ersten Urteil dem Auslieferungsantrag des spanischen Staates statt und verweigerte dem chilenischen Ex-Diktator die diplomatische Immunität. Nun wurde dieses Urteil wieder aufgehoben, weil einer der Lordrichter als befangen galt. Im Januar wird das Verfahren neu aufgerollt. Doch das Beharren Spaniens auf seiner Zuständigkeit für den Fall Pinochet hat der internationalen Strafverfolgung einen wichtigen Impuls gegeben. Es hat aber auch neue Konflikte geschaffen, denn nun müssen sich viele Länder wieder ihren längst vergessen geglaubten Diktatoren erinnern.

 

Ich war nur ein Diktatorenanwärter“, erklärte Augusto Pinochet vor seiner Abreise nach London in einem Interview,“...denn die Geschichte lehrt einen, daß Diktatoren nie gut enden.“ Ironische Worte, die er vielleicht bald bereuen könnte, denn der chilenische Ex-Diktator steht in England immer noch unter Hausarrest und harrt erneut der Entscheidung, ob er nun nach Spanien ausgeliefert wird oder nicht. Im November hatte ihm das höchste englische Gericht die diplomatische Immunität schon aberkannt und der englische Innenminister Jack Straw dem spanischen Auslieferungsantrag stattgegeben. Nun hat eine andere Kammer der Lordrichter das erste Urteil für null und nichtig erklärt, weil einer der Lordrichter befangen gewesen sei. Lord Hoffman hat für Amnesty International Spenden gesammelt und seine Frau ist eingetragenes AI-Mitglied. Im Januar soll neu verhandelt werden. Pinochet muß sich so oder so auf einen längeren Aufenthalt in England einstellen. Gleichgültig wie die neuen Lordrichter entscheiden werden, jede Partei wird danach in Berufung gehen können. Freunde des greisen Ex-Diktators haben deshalb ein Landhaus angemietet, um ihm die Wartezeit so erträglich wie möglich zu gestalten. Eigentlich wollte er nur nach England reisen um sich einer Bandscheibenoperation zu unterziehen und eventuell seiner alten Freundin Margaret Thatcher einen Besuch abzustatten. Die ‘Eiserne Lady’, die er während des Falkland-Krieges unterstützte, verwöhnt er bei seinen Aufenthalten in Großbritannien gern mit Konfekt - ganz Kavalier alter Schule. Doch er hatte nicht mit dem umtriebigen spanischen Untersuchungsrichter Baltasar Garzón gerechnet, der das Verschwinden spanischer Staatsbürger während der Militärdiktaturen in Argentinien und Chile untersucht. Dieser will Pinochet in Spanien wegen Völkermord, Terrorismus und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht bringen und ersuchte am 16. Oktober via Interpol um die Verhaftung Pinochets in London. Kaum stand der 83jährige Rekonvaleszent unter Hausarrest, stritt man sich in London und Madrid um die juristischen Kompetenzen. Dabei quälten sich die Briten mit der Frage, ob sie einen mit Diplomatenpaß reisenden Ausländer verhaften dürfen oder nicht. Auch in Spanien teilten nicht alle die Auffassung Garzóns, daß Spanien im Fall Pinochet überhaupt zuständig sei.

 

Pinochet ein Diplomat?

 

Am 25. November verweigerten die fünf Lordrichter - entgegen der Entscheidung des High Court - Pinochet die diplomatische Immunität, weil die Argumente der Verteidigung gegen die Verhaftung sie nicht überzeugen konnten. Die Verteidigung machte geltend, daß der Diplomatenstatus eine souveräne Entscheidung sei, die kein anderer Staat antasten dürfe. Doch Diplomaten müssen nach internationalen Konventionen in dem Land, das sie besuchen, akkreditiert sein oder sich auf einer amtlichen Mission der Regierung befinden. Beides trifft im Fall Pinochet nicht zu: Er war weder in England als Diplomat akkreditiert, noch befand er sich auf einer amtlichen Mission der Regierung, obwohl die chilenische Regierung dies im Nachhinein glauben machen wollte. Pinochets Anwälte erklärten die Verhaftung ihres Mandanten auch deshalb für illegal, weil er als ehemaliges Staatsoberhaupt nicht für Handlungen während seiner Regierungszeit belangt werden könne. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit schützt die diplomatische Immunität nach dem Völkerrecht aber nicht vor weltweiter Strafverfolgung.

 

Außerdem, so fragten die britischen Staatsanwälte kritisch, gehörten Mord und Folter wohl kaum zu der normalen Amtstätigkeit eines Regierungschefs. Schwerer noch wog die Tatsache, daß viele Verbrechen des chilenischen Diktators unmittelbar nach seinem blutigen Putsch 1973 verübt wurden, als Pinochet de facto noch gar nicht Staatschef war.

 

In Spanien stellte Generalstaatsanwalt Jesús Cardenal das Vorgehen des Untersuchungsrichters Garzón in Frage: „Für Aktionen der Militärdiktaturen ist die spanische Justiz nicht kompetent“. So sieht es auch der chilenische Präsident Eduardo Frei, der Chilenen nur in Chile vor Gericht gestellt sehen will. Doch die Audiencia Nacional, die höchste Strafkammer Spaniens, entschied, daß spanische Gerichte nach dem nationalen Strafgesetz von 1985 sehr wohl zuständig seien, und zwar bei Genozid, Terrorismus und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Vorgehen Spaniens ist so ungewöhnlich nicht, denn es steht im Einklang mit dem Völkerrecht. Nur wurde von dieser universellen Zuständigkeit bislang kaum Gebrauch gemacht. Dieses berechtigt Staaten zur Verfolgung eben dieser Verbrechen und zwar auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Die Staatsangehörigkeit der Täter oder Opfer spielt dabei keine Rolle.

 

Die Schaffung eines Strafgerichts mit internationaler Zuständigkeit wird immer dringlicher, das zeigt nicht nur der Fall Pinochet, sondern auch das Gerangel zwischen Italien, der Türkei und Deutschland um die Auslieferung des kurdischen PKK-Führers Abdullah Öcalan. Kai Ambos, Völkerrechtler in Freiburg, sieht in dem gerade gegründeten Internationalen Strafgerichtshof von Rom noch keine Alternative für die aktuellen Fälle, weil dieser erst in sieben bis acht Jahren seine Arbeit aufnehmen wird und nicht rückwirkend ermitteln darf. Theoretisch kann auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Ad-hoc-Tribunal gründen. Wie zum Beispiel den Internationalen Gerichtshof im holländischen Den Haag, der Kriegsverbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien aburteilt. Voraussetzung für die Gründung solcher Tribunale ist aber, daß der internationale Frieden auf dem Spiel steht. Das dürfte sowohl bei Pinochet als auch bei Öcalan schwer zu begründen sein.

 

Parallelen zu Öcalan

 

Die Globalisierung der Justiz ist sicher sinnvoll, aber es entstehen dadurch auch neue Konflikte. Auf der einen Seite wird es für Diktatoren, auch mit diplomatischer Immunität, keine Schlupfwinkel mehr in dieser Welt geben und die internationale Gemeinschaft kann als Ankläger für die Länder einspringen, die ihre Rechtspflicht versäumt haben. Doch viele Staaten sind schmutzige Kompromisse eingegangen, um ihre Diktatoren loszuwerden. Um der Demokratie und des inneren Friedens willen hat man diesen Straffreiheit gewährt und einen Schlußstrich unter die Vergangenheit gezogen. Ob das Land nun Argentinien, Chile, Guatemala, El Salvador, Brasilien oder - mit Einschränkungen - Südafrika heißt.

Die internationale Strafverfolgung kann nicht nur die Stabilität dieser Länder gefährden - wie die Drohungen des Militärs in Chile belegen -, sondern auch die Gespenster der Vergangenheit in Ländern wecken, die sich an ihre unrühmliche Vergangenheit schon gar nicht mehr erinnern. Wie zum Beispiel Spanien. Der chilenische Präsident Eduardo Frei wirft den Spaniern vor, nach vierzig Jahren Franco-Diktatur kein Verfahren über Menschenrechtsverletzungen durchgeführt zu haben, wie Spanien es jetzt von Chile verlange.

 

Zwischenzeitlich hat sich im Fall Pinochet eine neue Variante der internationalen Konfliktvermeidung abgezeichnet. Der Ex-Diktator sollte unter der Bedingung nach Chile ausreisen dürfen, daß man ihn dort vor Gericht stellt. Eine absurde Idee, denn in Chile genießt er als Senator immer noch diplomatische Immunität und die Amnestiegesetze schützen ihn vor einer Anklage. Selbst wenn Pinochet mit einem Prozeß rechnen müßte, kann das Militär, das ihm gegenüber stets loyal war, die Abtretung des Verfahrens an die Militärjustiz verlangen. Und dann wäre eine Verurteilung noch viel unwahrscheinlicher.

 

Daß Spanien sich aber für den Fall Augusto Pinochet zuständig fühlt und dies auch vehement vertreten hat, war ein wichtiger Schritt in Richtung internationaler Strafverfolgung. Auf daß Diktatoren in dieser Welt in Zukunft nicht mehr ganz so ruhig schlafen können.

 

Augusto Pinochet

 

“Ich oder das Chaos” lautete das Motto Augusto Pinochets, als er 1973 den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende stürzte und seine sechzehnjährige Diktatur einläutete. Pinochet, an der Spitze einer Militärjunta, löste das Parlament auf, ließ alle politischen Parteien verbieten und linksgerichtete Oppositionelle verhaften. Über 3000 Menschen fielen seinem Regime zum Opfer. „Ich erlaube, daß das Unkraut wächst, aber ich reiße es mit der Wurzel aus“ lautet eine andere Maxime des Diktators. Der 83jährige zeigt auch heute noch keine Spur von Reue und sein Zynismus ist charakteristisch. 1990, als sein demokratisch gewählter Nachfolger Patricio Aylwin nach Massengräbern in Santiago de Chile suchen ließ, wünschte er den “Leichensuchern viel Glück” und den Fund grausam zugerichteter und übereinandergestapelter Leichen kommentierte er mit den Worten: “Da sehen Sie, welch enorme Sparsamkeit”. 

 

Augusto Pinochet Ugarte wurde am 25. November 1915 in Valparaiso geboren und durchlief nach der Schule eine klassische Armeekarriere. 1969 wurde er Brigadegeneral. 1973 empfahl Heereschef General Carlos Prats bei seiner Ablösung Pinochet als Nachfolger - wegen dessen Loyalität. 1977 verurteilten die Vereinten Nationen die Menschenrechtsverletzungen in Chile, doch Pinochets Präsidentschaft wurde durch ein Referendum 1978 um weitere elf Jahre verlängert. Als er diesen Vorgang 1988 wiederholen wollte, verkalkulierte er sich, denn die Mehrheit der Bevölkerung verlangte eine demokratische Verfassung. Doch bevor Pinochet Chile in die Freiheit entließ, sicherte er sich noch einen Senatorenposten auf Lebenszeit und blieb bis in das Jahr 1998 Chef der Streitkräfte.

 

Baltasar Garzón

 

Mit der Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet am 16. Oktober in London gelang ihm der internationale Durchbruch. Die Rede ist nicht von einem Filmstar, sondern von dem 43jährigen spanischen Untersuchungsrichter Baltasar Garzón. Der bekannteste, aber auch umstrittenste Jurist Spaniens hat sich noch nie mit Bagatellen abgegeben, sondern jagt lieber Drogenbarone, korrupte Politiker, ETA-Terroristen und ehemalige Diktatoren. Mittlerweile stapeln sich auf seinem Schreibtisch in der Audiencia Nacional, dem höchsten spanischen Strafgericht, Dutzende von Verfahren. Bei diesem Arbeitspensum stellt sich die Frage, ob auch für ihn die internationale Konvention - ein Tag hat 24 Stunden - gilt. Die Verurteilung des sozialistischen Ex-Innenministers José Barrionuevo und seines Staatssekretärs Rafael Vera zu zehn Jahren Haft wegen Staatsterrorismus im Juli dieses Jahres geht auch auf das Konto von “El Tenaz” (“Der Zähe”). Unter anderem deshalb sehen seine Gegner in dem 1955 als Sohn eines Bauern im andalusischen Jaén geborenen Garzón einen geltungssüchtigen Karrieristen, der sich an den Sozialisten rächen will. 1993 überredete Ministerpräsident González ihn für die Sozialisten zu kandidieren. Anstatt Innenminister zu werden, speiste Gonzalez den ehrgeizigen Untersuchungsrichter dann mit dem Posten eines Staatssekretärs ab. Nach einem Jahr im Dienst der Regierung wendete er dieser frustriert den Rücken zu und verbrachte die Wochenenden wieder in seinem Büro in der Audiencia Nacional. Sein Versuch allerdings, González als Drahtzieher des Staatsterrorismus zu entlarven, scheiterte.

 

Seit zwei Jahren nun ermittelt Garzón, über dessen Privatleben trotz seiner Popularität kaum etwas an die Öffentlichkeit dringt, gegen argentinische Militärs. Während der Militärdiktatur in Argentinien verschwanden auch zahlreiche spanische Staatsbürger. Diese Ermittlungen zogen ihm schon vor geraumer Zeit den Unmut des argentinischen Präsidenten Carlos Menem zu, der ihn als “geltungssüchtige Diva” bezeichnete und sich jedwede Einmischung in die Souveränität seines Landes verbat. Doch Garzón ließ nicht locker und entdeckte eine Verbindung zu Chile: Die “Operation Condor”. Die chilenische und argentinische Diktaturen arbeiteten bei der Ermordung unliebsamer Oppositioneller, auch im Ausland, Hand in Hand. Der Aufenthalt Pinochets in London eröffnete dem verbissenen Jäger Garzón die einmalige Gelegenheit, nun endlich einen der Hauptverantworlichen zur Verantwortung zu ziehen.